Internationale Tagung der GWZO Leipzig und der TU Berlin, Fachgebiet Kunstgeschichte
Seitdem die kunsthistorische Forschung begonnen hat sich kritisch mit ihrer Geschichte im „Dritten Reich“ auseinanderzusetzen, gerät auch die Rolle der Fachdisziplin während des Zweiten Weltkriegs zunehmend in den Blick. Dabei galt und gilt das Interesse in erster Linie den Handlungen der deutschen Besatzer: den Fotokampagnen des Marburger Instituts, der Übernahme von Lehrstühlen und Ämtern, der Gründung neuer Institutionen, vor allem aber den Aktionen des organisierten Kunstraubs. Weniger Beachtung hat die Situation in den besetzten Gebieten selbst gefunden. Hier sahen sich die Fachvertreter mit reichsdeutschen Kollegen konfrontiert, die den Krieg als Möglichkeit begriffen, ihre eigenen Forschungsperspektiven und -interessen durchzusetzen. Der Verdrängungsdruck führte zu Konflikten – persönlichen Konkurrenzen, fachinternen Kontroversen, kulturpolitischen Machtkämpfen –, deren Folgen von der Marginalisierung „unbequemer“ (im Sinne der deutschen Besatzer) Positionen bis hin zur offenen Repression reichten. Doch nicht alle Diskurse der Zwischenkriegszeit wurden mit der Besetzung unterbrochen; gerade im Bereich regionalgeschichtlicher Studien konnten sie neu ausgerichtet und unter veränderten Vorzeichen fortgeführt werden. Damit boten sich in einigen Ländern auch Möglichkeiten der Kollaboration mit deutschen Stellen und der Profilierung in gemeinsamen Projekten.
Nach dieser Konfrontation und ihren Folgen für die universitäre Lehre, die Museen und die Denkmalpflege fragt eine gemeinsam vom Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin und dem Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig organisierte Tagung.Dabei wird eine transnationale Perspektive eingenommen, die auf die besetzten Gebiete im Osten, Westen und Norden ebenso gerichtet ist wie auf die Gebiete der Verbündeten,beispielsweise Italien oder Ungarn. Die Vergleichskriterien entstehen aus dem Spannungsfeld von Kunstgeschichte und ihren jeweiligen kulturpolitischen Rahmenbedingungen während der Kriegsjahre: Welche Prozesse der Umstrukturierung, Neuorientierung, Anpassung oder Auflösung sind zu beobachten? Welche gesetzlichen Vorgaben waren richtungsweisend? Welche Wissenschaftler und fachwissenschaftlichen Positionen konnten sich an öffentlichen Kultureinrichtungen etablieren? Welche Handlungsmuster sind dabei zu erkennen? Wie wurden Inhalte und Methoden der Wissenschaft, beispielsweise der „Kulturbodenforschung“, in der kunsthistorischen Praxis umgesetzt? Und schließlich: Wie wirkten Okkupationen und Annexionen auf die reichsdeutsche Kunstgeschichte zurück?
Die Tagung findet von 27. bis 29. April 2012 am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin statt.TU Berlin, Hauptgebäude, Raum H 2036 Straße des 17. Juni 135, 10 623 Berlin
Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Tagungssprachen sind Englisch und Deutsch.
Organisation:Prof. Dr. Magdalena Bushart (TU Berlin)
Dr. Agnieszka Gasior (GWZO Leipzig)
Dr. Alena Janatková (HU Berlin)
www.kunstgeschichte.tu-berlin.deKontakt: magdalena.bushart@tu-berlin.de
Freitag, 27.04.201214.00 Magdalena Bushart (Berlin)
Begrüßung
Sektion 1: Universitäten/ForschungseinrichtungenModeration Hans Aurenhammer (Frankfurt a. M.)
14.30 Christian Fuhrmeister (München)
Deutsche Kunstgeschichte und/versus Kulturpropaganda in Italien vor/nach 1943
15.20 Nikola Doll (Berlin)
Die Kunsthistorische Forschungsstätte in Paris. Ansätze und Motive zur Institutionalisierung der deutschen Kunstgeschichte in Frankreich (1940–1944)
16.10 Kaffee
16.30 Agnieszka Gasior (Leipzig)
Zwei Facetten der Institutionalisierung der Kunstgeschichte im Generalgouvernement: Positionen deutscher und polnischer Kunsthistoriker
17.20 Sabine Arend (Berlin)
„Besondere Aufgaben der Kunstgeschichte im Warthegau“. Die Kunstgeschichte an der Reichsuniversität Posen – Tätigkeitsfelder und Handlungsspielräume deutscher Kunsthistoriker im besetzten Polen
Samstag, 28.04.2012Sektion 2: Denkmalpflege/KunstschutzModeration Beate Störtkuhl (Oldenburg)
9.30 Elena Franchi (Vicenza)
Strategies and Techniques to Protect Artistic Heritage: German Art Historians and the Work of the Kunstschutz in Italy in the Second World War
10.20 Jens Hoppe (Frankfurt a. M.)
Dr. Karl Heinz Esser – Selbstverständnis und Tätigkeit eines beim Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg tätigen Kunsthistorikers im besetzten Baltikum
11.10 Kaffee
11.40 Christina Kott (Paris)
Die belgische Denkmalpflege unter deutscher Besatzung: Anpassungs-, Lern- und Abgrenzungsprozesse
12.30 Marieke C. Kuipers (Delft)
Denkmalpflege und „Kunstschutz“ in den Niederlanden, 1939-45
13.20–15.00 Mittagspause
Sektion 3: Wissenschaftsstrategien/KulturverwaltungModeration Michaela Marek (Leipzig)
15.00 Inga Lena Ångström Grandien (Stockholm)
Andreas Lindblom’s The Art History of Sweden (Sveriges konsthistoria), 1942-44: From what Point of View is it written and why?
15.50 Giendre Jankeviciute (Vilnius)
Lithunian Art History under Nazi Occupation: Nikolai Vorobiov and his Views on Vilinus Baroque School
16.10 Kaffee
16.40 Alena Janatková (Berlin)
Nationalgalerie-Landesgalerie: Der Wandel einer „Kunstinstitution“ im Protektorat Böhmen und Mähren (1939-45)
17.30 Marina Dmitrieva (Leipzig)
Die Tätigkeit des russischen „Archäologischen Kondakov-Instituts“ in Prag unter dem deutschen Protektorat
Sonntag, 29.04.2012Sektion 4: Ahnenerbe/KulturbodenforschungModeration Magdalena Bushart (Berlin)
10.00 Jorunn Sem Fure (Oslo)
Organisation Ahnenerbe in Norwegen 1942-1944
10.50 Robert Born (Leipzig)
Zwischen Siebenbürgen und Norwegen. Die Forschungen von Hermann Phleps zur Holzarchitektur und deren politische Instrumentalisierung
11.40 Kaffee
12.10 Bohunka Koklesová (Bratislava)
Art History in the Period of „Shaky Totalitarism“
13.00 Gábor Pataki (Budapest)
„Kulturbodenforschung“ versus „ungarische Kulturüberlegenheit“. Deutsch-ungarische kulturelle und kunsthistorische Debatten während des Zweiten Weltkriegs