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Titel-Raub der Nazis

1998
1970
1945
Spiegel 31 May 2011
Gunde Woebke-Ekert

"Es war die absolute Perversion"


Späte Verbeugung: Leo Trepp bei seiner Ehrung 2010 an der Universität Würzburg

Unter den Nazis erkannten deutsche Unis Tausenden Akademikern ihre Doktortitel ab - die "Depromotion" war eine große Demütigung für die, denen ohnehin fast nichts blieb. Gunda Wöbken-Ekert erklärt am Beispiel Würzburg, wie akribisch die Unis das Nazi-Unrecht umsetzten.
 
Man müsste von ihnen allen erzählen: Den Promovierten im Nazi-Deutschland, denen die Machthaber und ihre Helfer in den Hochschulen neben ihren Lebenswerken, ihren Bürgerrechten auch noch sauber und ordentlich ihre akademische Würde nahmen.

Von Hans Martin Hammelbacher, Jurist, der nach seiner Promotion an der Sorbonne und der London School of Economics weiterstudierte, um dann in einem Herrenbekleidungsgeschäft in New York Regale nachzufüllen.

Oder von Isidor Bettmann, der bei Röntgen die Strahlendiagnostik erlernt hatte und die Technik einsetzte, um als begnadeter Unfallchirurg und Orthopäde Patienten in seiner Spezialklink zu behandeln. Er starb nach zwei Jahren im Exil, ohne den Verlust seines Lebenswerkes verwunden zu haben.

Sicher auch von Max Strauß, der in den zwanziger Jahren die größte Kassenpraxis in Würzburg besaß. Er hatte ein großes Herz für Menschen mit wenig Geld. Als die Gestapo ihn 1937 grundlos festnahm, versuchte er, sich das Leben zu nehmen. Nach seiner Freilassung schloss er die Praxis und emigrierte in die Vereinigten Staaten.

Und von den anderen Rechts- und Staatswissenschaftlern, Medizinern und Philosophen denen, als sie bereits am Boden lagen, ihre Alma Mater auch noch ihre Doktortitel raubte.

Jetzt, endlich, hat die Uni Würzburg am Montag 184 Wissenschaftler rehabilitiert, denen ihre Titel zwischen 1933 und 1945 aberkannt worden sind. Wie an den meisten Universitäten sprach man auch in Würzburg nur in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg noch ab und an über einzelne von ihnen, dann versandete die Diskussion. Die Ausgestoßenen wurden vergessen. "Ich wusste von ihnen überhaupt nichts", sagt der Zivilrechtler Christoph Weber, der erste Nachforschungen anstieß, nachdem ihn ein emeritierter Kollege auf das Unrecht angesprochen hatte.

"Ein Ausschnitt des großen Unrechts, Ausdruck desselben Geistes"

Die Aufarbeitung dauerte lang. Zweieinhalb Jahre verbrachte Webers Team in Archiven, Bibliotheken und Ministerien, um Namen zu finden und das zugefügte Unrecht zumindest in Jahreszahlen und Orten benennen zu können. Die Uni-Unterlagen über die Depromotionen waren im Krieg verbrannt. "Wir wussten jahrelang nicht einmal, dass Personalakten und Studentenkarteien den Krieg in irgendeinem Raum überstanden hatten", sagt der Universitätsarchivar Marcus Holtz. "Das ist sicherlich einer der Gründe, dass wir so spät angefangen haben."

Würzburg sei eines der Schlusslichter unter den Hochschulen, die dieses historische Kapitel bearbeiten, sagt Weber. Doch als er davon erfahren hatte, habe es für ihn nie zur Debatte gestanden, es nicht zu tun. "Die Wegnahme des Titels mag aussehen wie ein kleiner verwaltungsmäßiger Akt, doch es ist ein Ausschnitt des großen Unrechts, es ist Ausdruck desselben Geistes", sagt er. Die Titel zurückzugeben sei nur ein Akt der Entschuldigung, eine Verbeugung, nicht mehr.

Dazu fällt mir ein Foto aus dem vergangenen Jahr ein. Mein mittlerweile verstorbener Mann Leo Trepp inspiziert eine Plakette, die ihm um den Hals hängt. Zeichen seiner Ehrenmitgliedschaft, die ihm die Universität Würzburg gerade verliehen hatte. Ebenfalls eine Verbeugung. Eine Geste. Zu seinem 75-jährigen Promotionsjubiläum.

Er war der letzte Jude, der vor 1945 in Würzburg seinen Doktor in Romanistik und Philosophie machte. Als jemand, der schon 1935 ein Ausgestoßener war, ohne Kontakt zu anderen Studenten. Er promovierte mit einer gelben Immatrikulationskarte statt der weißen, mit einem "magna cum laude", statt des verdienten "summa", und unter großer Eile, weil sein Doktorvater jederzeit mit dem völligen Verbot der Promotion für Juden rechnete.

"Sie waren Studenten hier, wo ich heute bin"

Eigentlich erkannten die Nazis den Doktor ab, wenn sie jemanden strafausbürgerten. Weil Leo Trepp nach den Pogromen vom 9. November nur unter Vorlage eines Visums und unter der Bedingung aus dem Konzentrationslager entlassen wurde, Deutschland binnen zwei Wochen "freiwillig" zu verlassen, ersparten sich die Machthaber wahrscheinlich weitere Mühen. Mein Mann behielt seinen Titel.

Der Besuch zu seiner Ehrung 2010 in Würzburg war wichtig für meinen Mann, obwohl ihm Gesten an sich nichts bedeuteten. Wie konnten sie auch? Als er zehn war, sprach er Französisch und Hebräisch so gut wie Deutsch und übersprang eine Klasse, weil er sich langweilte. Mit 23 Jahren stand er als Landesrabbiner von Oldenburg fünfzehn Gemeinden vor.

Im Rabbinerseminar in Berlin hatte man ihm eine glänzende Zukunft vorausgesagt. Die Vereinigten Staaten ereichte er mit zehn Mark in der Tasche. Die Hälfte seiner Familie sollte in den nächsten Jahren ermordet werden. "Mach Schabbes daraus", sagte er immer, wenn Menschen Festtagsreden hielten. Das sollte heißen: "Mach dir einen schönen Tag, mehr kommt eh nicht dabei raus".

Was ihn immer wieder nach Deutschland brachte, in seine gestohlene Heimat, wie er es nannte, war die Hoffnung, dass er Menschen überzeugen konnte, wirklich aus der Vergangenheit zu lernen. Ihr Geschichtsverständnis mit ihrer Lebensweise zu dokumentieren, Gesten in eine Haltung umzuwandeln. Nicht für ihn und nicht für andere Überlebende. Sie sollten es für sich selbst tun. In Würzburg traf mein Mann auf Menschen, die das verstanden hatten.

Penibel eingehaltene Ordnung mitten im größten Unrecht

Menschen wie Caroline Rupp, 28 Jahre alt, Jurastudentin und wissenschaftliche Assistentin, "das Herz des Projekts", nennt sie Christoph Weber. Sie hat versucht, die tatsächlichen Geschichten der Menschen zu erzählen, ihre Leben abzubilden. Das gelingt nicht immer, manchmal fehlt ihr selbst das Todesdatum. Doch wer die alten Dekanatsakten wälzt und Oxford anruft, um einen einzigen Satz wie "Dr. Elli Caspari konnte in Großbritannien zunächst nur als Krankenschwester tätig sein" zu schreiben, muss etwas wirklich wollen.

Rupp sagt, sie habe während der zweieinhalb Jahre Bindungen entwickelt. "Ich habe mir vorgestellt, dass sie Studenten hier waren, wo ich heute bin. Ich hatte das Gefühl, ich lerne sie über Raum und Zeit hinaus kennen." Umso furchtbarer war es für sie, wenn sie sah, dass Ärzte und Anwälte, die sich nach Frankreich oder die Niederlande hatten retten können, am Ende doch ermordet wurden.

Neben den Biographien beschreibt sie auch die juristische Perspektive der Nazi-Untaten an den Hochschulen. Manchmal stockt einem beim Lesen der Atem. Das Erschreckendste an diesem Dokument ist die geschilderte Bürokratie. Die penibel eingehaltene Ordnung in einem Verfahren, dessen Fundament sich aus Unrecht und Unordnung zusammensetzte.

1936 emigrierte der Internist Emanuel Firnbacher nach Palästina. 1939 erkannte ihm die Universität seinen Doktortitel ab, weil ihn die deutschen Behörden strafausbürgern wollten. Weil der Arzt aber bereits die Staatsbürgerschaft des britischen Mandatsgebiets angenommen hatte, war die Strafausbürgerung wirkungslos. Denn das geltende Recht im Deutschen Reich unter Hitler - wenn man das Recht nennen kann - sah eine Depromotion unter diesen Umständen nicht vor. Die Universität nahm ihren Beschluss zurück, Firnbacher blieb Doktor.

"Das hat mich am meisten belastet", sagt Rupp, "zu sehen, dass alles in Verfahrenformen gegossen wurde, dass man im größten Verbrechen den Buchstaben des Gesetzes treu blieb. Es war die absolute Perversion."

Akkurate Nazis: Auch an die Deportierten wurde gedacht

Am 25. November 1941 erging eine Verordnung, die regelte, dass ein Jude, der nicht strafausgebürgert worden war, seine deutsche Staatsangehörigkeit verlor, wenn er sich im Ausland befand - was für meinen Mann zutraf, der damals in Amerika lebte. Oder aber dann, "wenn er seinen gewöhnlichen Aufenthalt später im Ausland nimmt, mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland".

Damit wurden die Deportationen in die Vernichtungslager vorbereitet. Selbst die Nazis wollten sich nicht nachsagen lassen, die eigenen Bürger systematisch zu ermorden. Sobald die Deportationszüge die Grenze erreichten, verloren die Opfer ihre Staatenzugehörigkeit und damit den staatlichen Schutz. In beiden Fällen fiel ihr gesamter Besitz automatisch an den Staat.
Ob mit der neuen Verordnung von 1941 allen Juden automatisch die Promotion entzogen wurde, lasse sich mit Sicherheit nicht sagen, sagt Rupp. Die Systematik der Gesetze spreche eher dagegen. Wahrscheinlich ist der andere Gedanke gar nicht zu ertragen.

"Mich beschäftigt das noch sehr", sagt Rupp. Ihre Haltung zum Recht hat sich verändert. "Ich habe gesehen, was für ein gefährliches Instrument es sein kann", sagt Rupp, "und wie sehr wir aufpassen müssen, dass nicht unter dem Deckmantel des Rechts Unrecht passiert." Sie wird am Montag bei dem Festakt in der Neubaukirche dabei sein. Es wird mehr sein als eine Geste.

http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,765111,00.html
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