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Staccato von Vorgängen

1998
1970
1945
Sueddeutsche.de 1 March 2012
By Evelyn Vogel

Aufarbeitung beschlagnahmter jüdischer Kunstsammlungen

München - Sie kamen mit Möbelpackern und wussten genau, was sie wollten: einfach alles. Als im Winter 1938/39 die Geheime Staatspolizei bei jüdischen Kunstsammlern und -händlern in München vor den Türen stand, ging sie nach detaillierten Listen vor. Listen, die nach der im April 1938 erlassenen 'Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden' erstellt worden waren. Innerhalb weniger Tage beschlagnahmten die Nazis 65 Kunstsammlungen von jüdischen Kunsthändlern und Privatpersonen, verbrachten diese ins National- und Stadtmuseum, wo sich die Direktoren der staatlichen und städtischen Museen bedienen konnten. Den Rest verscherbelte der damalige Gauleiter Adolf Wagner, der zugleich Kunstminister war, so weit es ging.

Seit Juni 2009 arbeitet ein Forschungsprojekt der Museen in München in Zusammenarbeit mit der Arbeitsstelle für Provenienzrecherche in Berlin die Enteignung jüdischer Kunstsammlungen durch die Nationalsozialisten auf. Nun wurden erstmals Ergebnisse des Projekts im Jüdischen Museum vorgestellt: Von November 1938 bis Februar 1939 wurden 2000 Gemälde, Skulpturen und Antiquitäten von 65 jüdischen Kunstsammlern in München, Garmisch und Rottach am Tegernsee beschlagnahmt. Unter ihnen so bekannte Namen wie Bernheimer, Caspari und Pringsheim.

Dass diese Ergebnisse nicht still und leise verkündet wurden, dafür hatten die Freunde des Tel Aviv Museum of Art Deutschland (Tamad) gesorgt, in dem sie die Präsidentin der israelischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sowie Kunstminister Wolfgang Heubisch eingeladen hatten. Und auch viele Museumsdirektoren waren gekommen: Klaus Schrenk von den Staatsgemäldesammlungen, Renate Eikelmann vom Nationalmuseum, Helmut Friedel vom Lenbachhaus, Isabella Fehle vom Stadtmuseum, um nur einige zu nennen. Auf dem Podium stellte die Leiterin der Provenienzforschung der Pinakotheken, Andrea Bambi, das Projekt vor, die ihre Mitarbeiter Vanessa-Maria Voigt und Horst Keßler im Gespräch mit Bernhard Purim vom Jüdischen Museum erläuterten. Alle Ergebnisse sollen im kommenden Jahr publiziert werden.

Die Informationen, bei wem und wie viel beschlagnahmt wurde, basiert im wesentlichen auf einer 2007 im Münchner Stadtmuseum entdeckten Akte mit dem Titel 'Ehemaliger Judenbesitz - Wiedergutmachungsakt'. Darin wird unter dem euphemistischen Schlagwort 'Sicherstellung' detailliert aufgelistet, wo die Nazis, unterstützt von ihren Helfern - darunter auch Museumsdirektoren wie Hans Buchheit vom Nationalmuseum und Ernst Buchner von den Staatsgemäldesammlungen - zuschlugen. Voigt nannte die Beschlagnahmungen 'systematisch und akribisch', es sei 'ein Staccato von Vorgängen' gewesen, so Bambi. Keßler beschrieb die Vorgehensweise am Beispiel des Kunstsammlers und Textilhändlers Isidor Bach.

95 Prozent der beschlagnahmten Kunstgegenstände sollen nach dem Krieg an ihre jüdischen Eigentümer zurückgegeben worden sein. Doch dass um Restitution auch im Jahr 2012 noch gerungen wird, belegen zwei Münchner Streitfälle: die 'Sumpflegende' von Paul Klee im Lenbachhaus und Pablo Picassos 'Madame Soler' in der Pinakothek der Moderne.

 

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