News:

Nazis stehlen bei "Judenaktion" 2000 Kunstwerke

1998
1970
1945
Welt Online 27 February 2012
By Peter Issig

Im Winter 1938/39 plünderten die Nazis die Wohnungen jüdischer Kunstsammler in München. Provenienz-Forscher recherchierten 70 Biografien der Opfer der "Judenaktion".

Die Aktion war akribisch geplant. Alles wurde aufgelistet und protokolliert. In der "Hauptstadt der Bewegung" war aber nicht nur die Bürokratie effektiv. Auch das Zusammenspiel zwischen Polizei, Museumsdirektoren und Kunstkennern klappte. Man kannte sich, man half sich.

Foto: dpa/DPA Die Nazis raubten jüdischen Kunstsammlern Gemälde, Skulpturen, Antiquitäten. Durch Provenienzforschung konnte der ursprüngliche Besitzer des Stilllebens von Willem Kalf aus dem Jahre 1653, Josef Block, wiedergefunden werden. Doch viele Werke bleiben bis heute verschwunden

Die Beute bei der sogenannten "Judenaktion" von November 1938 bis Februar 1939 war beträchtlich. Rund 2000 Kunstwerke –Gemälde, Skulpturen, Antiquitäten – wurden aus den Wohnungen von 72 Münchner Familien entwendet. Die Opfer waren renommierte Sammler wie die Familie Bernheimer, aber auch unbekannte Kunstliebhaber, die nur ein Einzelstück besaßen. Gemeinsam war ihnen, dass sie Juden waren.

70 Biografien jüdischer Kunstsammler geklärt

Im Juni 2009 starteten die staatlichen und städtischen Museen in München ein in Deutschland einmaliges Forschungsprojekt. Es wird von der Arbeitsstelle Provenienzrecherche- und -forschung Berlin gefördert: Die Kunsthistoriker Vanessa-Maria Voigt und Horst Kessler sollten das "Schicksal jüdischer Kunstsammler und Händler in München 1939 bis 1945" klären.

Jetzt stehen sie vor dem Abschluss, im Mai sollen die 70 Biografien fertiggestellt sein. Am Dienstag werden sie auf einer internen Veranstaltung der Freunde des Tel Aviv Museum of Art Deutschland im Jüdischen Museum über ihre Arbeit berichten.

Die recherchierten Lebensläufe sollen in einem Buch veröffentlicht werden – zur Dokumentation des wohl größten Kunstraubs in München und als Grundlage für weitere Nachforschungen.

Museumsdirektoren halfen der Gestapo

Denn noch längst sind weder alle Erben der Kunstwerke ermittelt, noch ist der Verbleib aller Werke geklärt, die "sichergestellt" wurden, wie es damals verharmlosend hieß. In den Wintermonaten 1938/39 erschien bei den jüdischen Kunstsammlern die Geheime Staatspolizei und beschlagnahmte, was wertvoll erschien.

Verantwortlich für die Aktion war Adolf Wagner, Gauleiter für München und Oberbayern, der auch Innen- und Kultusminister war. Er war gut informiert. Schon im April 1938 mussten Juden ihren Besitz beim Finanzamt auflisten.

Die Gestapo beschlagnahmte aber noch mehr. "Man kann davon ausgehen, dass Münchner Museumsdirektoren und Kunsthändler Tipps gaben, wo etwas zu holen ist", sagt Provenienzforscherin Voigt. Die Kollaboration erfolgte ganz offen.

Museumschefs und ihre Mitarbeiter sowie Kunsthändler-Kollegen begleiteten die Gestapo als Sachverständige. Bevor Spediteure die Kunst in das neue Studiengebäude des Bayerischen Nationalmuseums abtransportierten, erhielten die Bestohlenen ein Protokoll.

500 Seiten beschreiben detailliert den Raubzug

Diese Schriftstücke sind die Hauptquelle für die Provenienzforscher. Im Jahr 2007 tauchte im Stadtmuseum eine bislang unbeachtete Akte auf. 500 Seiten beschreiben detailliert den Raubzug.

In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv und den Sammlungen wurden auf dieser Grundlage Biografien der Besitzer und die Wege der Kunstwerke rekonstruiert: Am 19. November 1938 beispielsweise erhielt der Chemiker Moritz Bloch, der in der Habsburgerstraße?2 in Schwabing wohnte, ein entsprechendes Dokument ausgehändigt: Name, Anschrift und Zeugen wurden vermerkt, dann folgte die Aufzählung der Kunstgegenstände.

Eine Plastik, sieben Teppiche, eine Kommode und 18 Gemälde – darunter das Bildnis eines jungen Mannes mit Hut von Wilhelm Leibl, einem der wichtigsten Vertreter des Realismus.

Moritz Bloch und sein Sohn Kurt hatten eine chemische Fabrik in Aubing, wo sie Klebstoffe und Tierarzneimittel herstellten. Als ihre Wohnung geplündert wurde, durften sie schon nicht mehr auf das Firmengelände. Zwei Monate später wurde das Unternehmen zwangsverkauft, die Blochs flohen nach England und in die USA.

1947 kehrte der Sohn nach München zurück. Zwei Jahre später erhielt er seine Fabrik zurück, im März 1950 beschloss die Wiedergutmachungsbehörde, dass Kurt Bloch zwölf der 27 geraubten Stücke zurückbekommen würde. Geld für die fehlenden Gegenstände gab es nicht.

Ein Gemälde von Franz von Liszt fehlt bis heute

Die Kunstwerke hatten wie die meisten anderen eine Tour durch Bayerns Sammlungen gemacht. Die Museumsdirektoren konnten sich billig bedienen. Was sie nicht ausstellen wollten, ließ der Kultusminister in das aufgelöste Kunst- und Antiquitätenhaus Bernheimer am Lenbachplatz bringen. Dort residierte inzwischen quasi als staatlicher Hehler die Münchner Kunsthandelsgesellschaft.

Nach dem Krieg wurden viele Kunstwerke ausfindig gemacht. Sie waren in Central Collecting Points gebracht worden, auch aus dem Kloster Ettal, wo die Bestände der Pinakotheken eingelagert waren. Unter der Inventar-Nummer 161 war ein Lenbach-Porträt des Komponisten Franz von Liszt, es gehörte einst dem Sammler Sigmund Bernstein. Bis heute ist unklar, wo das Gemälde blieb.

http://www.welt.de/regionales/muenchen/article13890532/Nazis-stehlen-bei-Judenaktion-2000-Kunstwerke.html
© website copyright Central Registry 2024