News:

Wissenschaftliche Sensation im Tresor der NSDAP

1998
1970
1945
Welt Online 31 August 2012

Im NS-"Verwaltungsbau” in München sammelten US-Spezialisten nach 1945 Hitlers Raubkunst. Jetzt wurden zwei Stahlschränke im Keller geöffnet. Darin: ein kunstgeschichtliches Meisterwerk.

Das Manuskript aus dem braunen Stahlschrank 1/5
Archive Photos

Erwin Panofsky (1892-1968) wurde in Hannover geboren, war Professor in Hamburg und musste nach 1933 in die USA emigrieren. Dort lehrte er an der New York University und am Institute for Advanced Studies in Princeton.

In München ist das lange verschollen geglaubte Manuskript von Erwin Panofskys Hamburger Habilitation über Michelangelo wiederaufgetaucht – und zwar ausgerechnet in einem Panzerschrank im früheren Verwaltungsbau der NSDAP. Das legendenumwobene Werk des Kunsthistorikers, der von den Nazis 1934 ins Exil gezwungen wurde, ist allerdings durch eine absurde Wendung erst nach 1945 in dieses Gebäude gelangt und dort vergessen worden. Zahlreiche andere Kulturgüter sind während des Bildersturms des Dritten Reiches verschwunden und nur zum Teil wieder aufgetaucht.

Die beiden mehr als 70 Jahre alten Safes im Keller des Münchner Zentralinstituts für Kunstgeschichte (ZI) waren nicht mehr zu öffnen – die Schlüssel fehlten. Also ließ Stephan Klingen, Leiter der Fotosammlung in der renommierten Forschungseinrichtung, die mit "Photothek" beschrifteten Stahlschränke aufbrechen. Der eine war leer, im anderen fanden sich Unterlagen des ZI-Gründungsdirektors Ludwig Heinrich Heydenreich.

Erwin Panofskys verschollene Habilitation

Warum der Kunsthistoriker (1903-1978), dessen Nachlass in der Münchner Staatsbibliothek liegt, Unterlagen aus seiner Zeit als ziviler Mitarbeiter des militärischen Kunstschutzes in Italien während des Zweiten Weltkrieges sowie Unterlagen aus der ZI-Zeit hier unterbrachte, ist unklar. Jedoch spricht viel dafür, dass es sich um aus seiner Sicht brisante Papiere gehandelt haben könnte. Darunter war nämlich auch ein seit Jahrzehnten verschollen geglaubtes und längst legendenumwobenes Opus Magnum der Kunstgeschichte: Die Habilitationsschrift von Heydenreichs Hamburger Lehrer Erwin Panofsky über die Gestaltungsprinzipien Michelangelos.

Genau 20 Jahre ist es her, dass der zwei Generationen jüngere Kunsthistoriker Horst Bredekamp Panofskys vermisstes Werk zu rekonstruieren versuchte. Das allein zeigt, welche Bedeutung das Werk bekommen hat, wahrscheinlich mehr, als wenn es gedruckt erschienen und in Dutzenden wissenschaftlichen Bibliotheken greifbar gewesen wäre.

Doch nicht nur die Wiederentdeckung des Manuskripts sorgt für Aufsehen. Besonders der Fundort heischt Aufmerksamkeit. Denn der Panzerschrank, in dem sich Heydenreichs Papiere fanden, stand einst in der Hauptregistratur der NSDAP; darin wurden Mitgliederunterlagen der Parteikartei verwahrt. Denn das ZI hat seit seiner Gründung seinen Sitz im ehemaligen "Verwaltungsbau" der NSDAP im so genannten Partei-Viertel rund um den Königsplatz in der nördlichen Innenstadt, der Maxvorstadt.

Zentraler Sammelpunkt für Kunst

Das 1934/35 errichtete Haus war einer der ersten vollendeten Großbauten des Dritten Reiches, in dem sich die Kombination von martialisch vergröbertem Neoklassizismus und NS-Symbolik spiegelte. Es kam weitgehend unbeschädigt über den Zweiten Weltkrieg, während andere Gebäude schwer beschädigt, zum Teil wie die ehemalige offizielle NSDAP-Parteizentrale in der Brienner Straße, das "Braune Haus" nach 1945 gesprengt wurden. Auf dessen Grundstück soll 2014 das NS-Dokumentationszentrum München eröffnet werden, das heftig umstritten ist.

Die US-Militärregierung richtete im NSDAP-Verwaltungsbau 1945 den zentralen Sammelpunkt für Kunst in Mitteleuropa ein. An Auslagerungsstellen wie Bergwerken, abgelegenen Kirchen und Kellern entdeckte Kunstwerke wurden zunächst hierher gebracht, um dann an ihre rechtmäßigen Eigentümer oder an Museen weitergegeben zu werden.

Doch ausgerechnet Panofskys Manuskript hatte ein ganz anderen Weg hinter sich. Die in Hamburg 1920 angenommene Habilitation befand sich wohl 1933, als der als Jude von den Nazis verfolgte Panofsky die Leitung des dortigen Kunsthistorischen Instituts aufgeben und emigrieren musste, noch in seinem Dienstzimmer. Jedenfalls spricht alles dafür, dass sein Schüler und zeitweiliger Nachfolger Heydenreich das handschriftlich korrigierte und ergänzte Werk an sich nahm. Erst lange nach 1945, als der inzwischen hochangesehene Kunsthistoriker das ZI bereits zu internationalem Ruf geführt hatte, dürften die 334 Blatt in einen der vielen alten Stahlschränke des Verwaltungsbaus gekommen sein.

Das Beispiel der Sammlung Sachs

Damit unterscheidet sich das Schicksal dieses Werkes von dem vieler anderer Kulturgüter, die in der Nazizeit verloren gingen. Ein bekanntes, vor Gericht jahrelang heftig umstrittenes Beispiel ist die Plakatsammlung von Hans Sachs (1881-1974). Der Berliner Zahnarzt hatte aus Interesse so viel Gebrauchsgrafik wie möglich angehäuft – insgesamt 12.300 Plakate und rund 18.000 weitere Stücke kleinerer Formate. Als Sachs 1935 emigrieren musste, beschlagnahmte die Gestapo seine Sammlung, die später als verschollen galt.

Der Eigentümer, der sich in die USA hatte retten können, bekam 1961 eine Entschädigung ausgezahlt. Fünf Jahre später wurde bekannt, dass ein Teil seiner Sammlung den Krieg überstanden hatte und ins Ost-Berliner Museum für Deutsche Geschichte gelangt war. Während Hans Sachs damit zufrieden war, strengte sein Sohn Peter Jahrzehnte später Prozesse gegen das Deutsche Historische Museum an, in dessen Bestände die Sammlung übergegangen war. Mitte März 2012 urteilte der Bundesgerichtshof, dass Peter Sachs nach Rückzahlung der Entschädigung rechtmäßiger Eigentümer der Sammlung ist. Derzeit wird über Modalitäten der Rückgabe verhandelt.

Weitere Funde nicht ausgeschlossen

Andere geraubte Kulturgüter gingen dagegen vollständig verloren. Etwa die in einem "sichergestellten" Haus einer Berliner Freimaurerloge zusammengeführten Bestände "verbotener", teilweise wohl pornografischer Bücher. Zwangsverpflichtete jüdische Bibliothekare mussten sich um diese nur der Gestapo zugängliche Bibliothek kümmern. Sie ging bei einem Luftangriff zugrunde.

Auch von der zusammen gestohlenen Kunstsammlung Hermanns Görings sind viele Werke verschollen. Das bekannteste Beispiel ist Franz Marcs "Der Turm der blauen Pferde", der 1937 in der Hetzausstellung "Entartete Kunst" zu sehen war und von einigen Augenzeugen noch nach 1945 angeblich gesehen worden ist. Seither hat sich jedoch jede Spur verloren.

Immer wieder gibt es aber Zufallsfunde verschollener Kulturgüter, zuletzt die expressionistischen Skulpturen, die 2010 im Bombenschutt in verfüllten Keller der Berliner Innenstadt auftauchten. Wie genau sie dorthin gekommen sind, ist noch ungeklärt. Auf jeden Fall hat auch das mit der Nazizeit zu tun. Weitere Funde wie jetzt im Münchner ZI sind also keineswegs ausgeschlossen.

http://www.welt.de/kultur/article108899257/Wissenschaftliche-Sensation-im-Tresor-der-NSDAP.html
© website copyright Central Registry 2024