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Kunstkrimi um Schiele-Blätter aus der Sammlung Leopold

1998
1970
1945
Profil 6 October 2012
Von Marianne Enigl und Christa Zöchling

Leuchtende Augen soll Rudolf Leopold bekommen haben, wenn er auf eines seiner schönsten Schiele-Blätter zu reden kam: das „Mädchen mit dem hochgeschlagenen Rock und dieses wie ein Herz gemaltes und gezeichnetes Geschlecht“. Ein Wiener Händler habe ihm die Aktstudie 1955 in einem Konvolut angeboten, er habe das unverhoffte „Sammlerglück“ genützt und begeistert zugegriffen. So ist es in der Familie überliefert.


Die Blätter werden inzwischen als hochwertige Arbeiten aus der besten Schaffensperiode Egon Schieles hoch geschätzt. Auf die Frage, woher sie kommen, hätte man im Leopold Museum gern die Antwort gehört, mit ihnen sei alles in bester Ordnung. Schlechter Nachrichten über NS-Raubkunst im Haus ist man inzwischen überdrüssig. Vor bald 15 Jahren wurde in New York Schieles „Wally“ beschlagnahmt, weil das Bild aus jüdischem Besitz enteignet worden war. Der aufsehenerregende Fall war 1998 Anlass für Österreichs Kunstrückgabegesetz – ausgerechnet die Leopold Museum Privatstiftung ist davon ausgenommen, weil zur Rückgabe enteigneter Kunst nicht verpflichtet.

Für die Aktstudien Schieles wurde der Provenienzforscher des Museums, Robert Holzbauer, mit der Spurensuche beauftragt. Sie führte zu Figuren und Lebensumständen, die auch in einem politischen Kriminalroman vorkommen könnten: Gut und Böse, NS-Profiteur und Lebensretter finden sich darin in ein und derselben Person – einem im nationalsozialistischen Wien stationierten türkischen Konsul, der in einer einzigartigen Aktion einen jüdischen Kunst- und Antiquitätenhändler aus dem Deportationszug geholt hatte. Ob Unrecht in der Geschichte der Kunstwerke liegt, bleibt bis auf Weiteres ein Geheimnis.

Als Rudolf Leopold die beeindruckenden Blätter 1955 kaufte, hatten sie eine wahre Odyssee hinter sich. Sie waren 1948 im Rahmen einer Egon-Schiele-Gedächtnisausstellung der Albertina aufgetaucht. Vermutlich wurden sie damals erstmals in der Öffentlichkeit gezeigt, denn sie galten als „Erotika“, und als solche waren sie mit der Prüderie der Jahrzehnte davor kaum vereinbar. In der Sammlung Leopold, die sich seit 1994 nicht mehr im Besitz der Familie befindet, da sie für 160 Millionen Euro an öffentlichen Geldern in eine gemeinnützige Privatstiftung eingebracht wurde, fanden sich zur Herkunft des Konvoluts lediglich drei Zettel: die Albertina-Aufstellung über neun von ihnen, in der als Besitzer ein fremdländischer Name vermerkt war, die Visitenkarte eines österreichischen Händlers, der sich vom Hausknecht zum Handlanger für NS-Raubkunst hochgedient hatte, sowie eine Bestätigung über Rudolf Leopolds Ratenzahlung.

Etwa 1000 Schilling zahlte Leopold damals pro Stück. Von dem ehemaligen Konvolut, das aus 29 Schiele-Blättern und einer nicht näher beschriebenen Zeichnung von Gustav Klimt bestand, befinden sich heute vermutlich nur noch elf Zeichnungen in der Sammlung Leopold. Die anderen unterlagen dem Prinzip, das der studierte Augenarzt Leopold mit „Kaufen, sieben, verkaufen und tauschen“ umschrieb. Als Vorbesitzer hat man nun den türkischen Diplomaten Behçet Özdogancı identifiziert.

Der 1939 von Ankara nach Wien entsandte türkische Generalkonsul Özdogancı war bisher ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Es scheint von ihm nicht einmal ein Foto zu existieren, und das türkische Außenministerium hält die Akten der Jahre 1938 bis 1945 unter Verschluss. Er war, anders als sein Berliner Kollege, kein Sympathisant der Nazis, aber auch kein erklärter Gegner. „Mit Geschick hat er es verstanden, sich einer Bekundung seiner Einstellung zum Dritten Reich zu entziehen“, heißt es in NS-Akten.

Der Berufsdiplomat war unverheiratet, wohnte im Konsulat in Wien-Wieden – und muss über sehr viel Geld verfügt haben. Nach Ansicht von Expertin Gabriele Anderl steht er für jene NS-Kunstraub-Profiteure, „die besonders schwer zu fassen sind: Sie tauchten wie aus dem Nichts auf und kauften auch 1943 und 1944 noch in großem Stil ein, als rundum schon Bomben fielen.“

Als im Frühjahr 1943 im Dorotheum die prachtvolle Einrichtung des Ringstraßenpalais von Ernst und Gisela Pollack, inzwischen Teil des jüngst eröffneten Luxushotels Ritz-Carlton, unter den Hammer kam, saß der Konsul im Auktionssaal neben hochrangigen Nazis, die Mobiliar und Kunstobjekte für ihre arisierten Villen in Döbling suchten.

In der Kunstsammlung der Pollacks hatten sich sechs alte flämische Gobelins befunden, für die Wiens Teppichhändler gemeinsam die stolze Summe von 120.000 Reichsmark boten. Özdogancı sicherte sich die außergewöhnlichen Tapisserien für 200.000 Reichsmark – zum Vergleich: Für eine ebenso hohe Summe hatte August Eigruber, Gauleiter von Oberdonau, im besetzten Frankreich Kunst kaufen lassen. Der damals 40-jährige türkische Konsul soll Berichten zufolge jede Woche im Dorotheum ein und aus gegangen sein, Bilder, Teppiche und Schmuck ersteigert haben, angeblich im Auftrag der türkischen Regierung. Das Auktionsgut diene der Ausschmückung des Außenministeriums in Ankara, hatte er angegeben. Dass es sich dabei meist um NS-Raubgut handelte, müsse dem Konsul bekannt gewesen sein, sagte nach dem Krieg ein Angestellter des Dorotheums.

Beraten wurde der Diplomat bei seinen Käufen von einem jüdisch-türkischen Kunsthändler namens Berthold Marion Löwenstein. Die Zusammenarbeit der beiden lässt auf gegenseitigen Nutzen schließen, wobei der türkische Jude allerdings keine andere Wahl hatte. Die Türkei stand ihren jüdischen Staatsbürgern während der NS-Herrschaft wenig hilfreich zur Seite. Türkische Juden, die während des Kriegs in den von Deutschland besetzten Ländern gestrandet waren, wurden in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert, wenn sich ihre Regierung geweigert hatte, sie „heimzuschaffen“, wie die Nazis es 1943 ultimativ verlangt hatten. Nur einzelne Diplomaten setzten sich für ihre Juden ein, verzögerten den Amtsweg, versorgten sie mit provisorischen Papieren; auch der Bruder des Wiener Konsuls, der in Paris stationiert war, soll geholfen haben.

Konsul Özdogancı war den Nationalsozialisten schon 1942 verdächtig geworden. Sie beanstandeten, dass er sich für seine Sekretärin – „die Halbjüdin Biach“, so der Polizeibericht – eingesetzt habe, als diese ein Klavier angeblich überteuert verkaufen wollte. Löwenstein, Özdogancıs Kunstberater, befand sich direkt im Visier der Nazis. Sein Vater war noch türkischer Staatsangehöriger gewesen, doch den Sohn betrachtete die Gestapo als „staatenlos“. Auf dem Foto im Akt der Ausländerpolizei wirkt Löwenstein elegant, trägt Oberlippenbart, in seiner Krawatte steckt eine Perlennadel. Seinen kleinen Laden hatte er 1939 schließen müssen. Im Winter 1941/42, als Tausende Juden aus Wien zur Ermordung nach Minsk deportiert wurden, wurde Löwenstein mit Aufenthaltsverbot belegt. Das deutsche Außenministerium in Berlin hätte „keine Bedenken“ gehabt, den damals 63-Jährigen zu deportieren, es wurde jedoch die Klärung seiner Staatsangehörigkeit durch türkische Stellen empfohlen. Generalkonsul Özdo­gancı stellte ihm daraufhin ein Papier aus, wonach er bis auf Weiteres als Türke gelte und beschäftigte ihn offiziell im Konsulat. Damit schien Löwenstein geschützt.

Doch am 25. Mai 1943 um sechs Uhr Früh holte die Gestapo ihn gemeinsam mit seiner 86-jährigen Mutter Rosa aus der Wohnung in Wien-Erdberg und brachte beide „zur Wohnsitzverlegung“ direkt in einen Deportationszug. Vermutlich hatte Löwensteins nichtjüdische Frau das türkische Generalkonsulat alarmiert. Dieses verlangte im Büro des NS-Reichsstatthalters „sofortige Intervention, dass Löwenstein aus dem Transport herausgenommen wird“. Diesem Ansinnen wurde nach hektischen Telefonaten mit der Gestapo stattgegeben. Der Deportationstransport fuhr an diesem Tag mit 204 Menschen aus Wien in das Konzentrationslager Theresienstadt. Laut dem Experten Gerhard Ungar vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes sind Rosa und Berthold Löwenstein in Wien die bisher einzigen bekannten Fälle, in denen Menschen noch aus dem Zug in die Vernichtung herausgeholt worden seien.

Das Tauziehen um den Geretteten ging jedoch weiter. Der NS-freundliche türkische Botschafter in Berlin bedrängte das Wiener Konsulat, Löwenstein zu entlassen. Dieses erweiterte jedoch seinen Schutz und ließ ihn sogar im Konsulat wohnen. Über Löwensteins Mutter hatten Berliner NS-Stellen befunden, „sie kann nach Theresienstadt abbefördert werden“. Die alte Frau starb Mitte 1944 in einem Wiener Sammellager. Der Fall ihres Sohnes wurde nun vom Reichssicherheitshauptamt zur Entscheidung an Adolf Eichmann weitergereicht, der auch für die Juden aus neutralen Ländern wie der Türkei zuständig war.

Doch vor Eichmanns Letztentscheidung bewahrte den kleinen Wiener Kunsthändler die große Politik. Im Sommer 1944 brach Ankara die diplomatischen Beziehungen mit dem Deutschen Reich ab – und Berthold Löwenstein wurde vom ­Konsulat als „Reisemarschall und Kammer­diener“ für den offiziellen Diplo­maten­austausch angemeldet. Der Protokollchef des Berliner Außenamts, Freiherr von Dörnberg höchstpersönlich, stellte fest, man wolle „bezüglich der Mitnahme der sog. Hausjuden keine Schwierigkeiten machen“ und es bestünden „keine Bedenken, auch den Herrn Lövenstain (sic) in die Aktion miteinzubeziehen“. Schlusssatz: „Es ist der Wunsch des Führers, den Türken besonders entgegenzukommen, und wir wollen sie deswegen nicht vergrämen.“

Es ist durchaus denkbar, dass Berthold Löwenstein Konsul Özdogancı auch die Schiele-Blätter vermittelt hat. Sein kleines Geschäft war an der Ringstraße jenem Antiquariat benachbart gewesen, das über den Nachlass des 1935 verstorbenen Schiele-Händlers Gustav Nebehay verfügte. Von den nun untersuchten Schiele-Zeichnungen befand sich eine laut Provenienzforscher Holzbauer in einem Verzeichnis Nebehays aus dem Jahr 1918/19.

Özdogancı berief man in Ankara zum Vizechef des Protokolls im Außenamt. Er und sein Bruder wurden 1946 wegen ihrer Kunstkäufe angezeigt. In Diplomatenkreisen hatte sich herumgesprochen, sie hätten in Schweizer Bankdepots NS-Raubgut eingelagert. Doch die Anzeige wurde niedergelegt, die Objekte sollen Kopien gewesen sein. Schiele-Blätter waren nicht in den Depots gewesen.

Diese Schiele-Werke, nach denen damals keiner fragte, sind erst 1948 nachweisbar, 1955 ließ Özdogancı sie in Wien feilbieten. Sie waren wie durch ein Wunder im Land geblieben. Vermutlich befanden sie sich in den Eisenbahnwaggons, in die er sein Umzugsgut nach Ankara hatte packen lassen, die aber kriegsbedingt im November 1944 in Wien nicht mehr abgefertigt wurden. Ob der Konsul in Wien tatsächlich für die türkische Regierung eingekauft hatte, steht zu bezweifeln. Aus dem Umfeld der österreichischen Botschaft in Ankara hieß es fünf Jahre nach Kriegsende, Özdogancı sei wegen Verdachts auf dubiose Auslandsgeschäfte pensioniert worden. Die wertvollen Gobelins aus dem Ringstraßenpalais wollte er Anfang der 1950er-Jahre an die Erbin des im KZ Theresienstadt umgekommenen Besitzerpaars Pollack veräußern, doch diese besaß die von ihm geforderte Summe nicht. So brachte er sie bei Sotheby’s in London um eine halbe Million Pfund zur Versteigerung ein, zog sie jedoch kurz vor Auktionstermin zurück. Im Katalog findet sich handschriftlich dazu das Attribut „royal“ geschrieben, die Spur der Gobelins hat sich seither verlaufen.

Wie der doppelgesichtige türkische Konsul die Schiele-Blätter in die Hände bekam und wem sie vor ihm gehörten, bleibt somit weiter offen. Es gibt bislang keine Hinweise, dass sie ihren Vorbesitzern abgepresst oder enteignet worden wären. Es gibt aber auch kein Dokument, welches das Gegenteil bewiese. Die elf erotischen Schiele-Arbeiten in der Sammlung Leopold sind übrigens nur selten zu sehen: Wegen ihrer großen Lichtempfindlichkeit können sie jeweils nur für kurze Zeit gezeigt werden.

 

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