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Mit kriminalistischen Methoden der Raubkunst auf der Spur

1998
1970
1945
Oldenburger Onlinezeitung 10 July 2013

Oldenburg – Fast 70 Jahre ist der Zweite Weltkrieg her und erst jetzt forschen viele Museen nach NS-Raubkunst in ihren Beständen. Im Oldenburger Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte ist Dr. Marcus Kenzler zuständig für die Provenienzforschung und bereits mehrfach fündig geworden.

2011 bekam Museumsdirektor Dr. Rainer Stamm grünes Licht für diese befristete Stelle. Inzwischen ist sie bis Herbst 2015 verlängert worden. „Das ist ein guter Anfang“, freut sich Stamm. Denn Kenzler hätte Jahrzehnte zu tun, um sämtliche Bestände daraufhin zu untersuchen, ob es sich um Hehlerware handelt. Nichts anderes ist NS-Raubkunst. Und die will Stamm nicht in einer Ausstellung hängen haben oder im Depot verwahren. „Wir möchten klären, ob in unserem Museum Objekte lagern oder gar ausgestellt sind, die uns nicht gehören“, stellt er klar.

1998 unterzeichnete die Bundesrepublik neben 43 weiteren Staaten die Washingtoner Erklärung. Die besagt, dass „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu suchen“ und „eine gerechte und faire Lösung zu finden“ sei. Das ist eine Aufforderung an sämtliche deutschen Museen, Bibliotheken und Archive, ihre Bestände zu prüfen und zurückzugeben, was zurückgegeben werden muss. Nämlich jene Bilder, Skulpturen oder Möbel, die die Nazis während ihrer Herrschaft vor allem jüdischen Bürgern abgenommen haben.

Gerade in Weser-Ems war das sehr früh der Fall, weil bereits bei den Landtagswahlen am 29. Mai 1932 die NSDAP die absolute Mehrheit bekam. Das war acht Monate vor Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933. Oldenburg war somit das erste Land, das von Nazis regiert wurde. Sie richteten in und um Oldenburg “Sammellager” für Raubkunst ein. „Dahin gelangten die sogenannten Hollandmöbel“, erzählt Kenzler. „Denn auch in Holland und Ostfriesland gingen die Nazis zu Werke. So auch in dem ostfriesischen Ort Weener, der 1940 judenfrei wurde.”



Diese Kommode gehörte einer Jüdin aus Weener. Dabei handelt es sich zweifelsfrei um Raubkunst. Foto: Museum

Daher stammte die Jüdin Rosa Sara Israels, die ihre Wohnung auf Weisung der Nazis mit ein paar Habseligkeiten verlassen musste. Zuvor wurde sie genötigt, dem Auktionator Ernst Heimsath aus Oldenburg aus der Moltkestraße 5 einen Auftrag für ihre Wohnungsauflösung zu geben. „Der liest sich so, als hätte sie das freiwillig getan“, berichtet der 40-Jährige Kenzler. Sie bekam etwas Geld dafür und musste sich davon ihre Fahrkarte nach Oldenburg kaufen, wo sie bei einer Jüdin in der Achternstraße unterkam. Zwei Monate später wurde sie nach Berlin und von dort aus ins KZ Theresienstadt gebracht.

„Ihre Kommode habe ich in unserem Museum entdeckt“, erzählt Kenzler. „Am 16. März 1940 als die Kommode in unser Haus kam, hat Heimsath eine sogenannte Judenauktion in der dafür vorgesehenen Halle an der Ziegelhofstraße 36 in Oldenburg veranstaltet. Ein Mitarbeiter des Museums – wer es war kann nur vermutet werden – hat dort für 250 Reichsmark die Kommode ersteigert.“

Und so grausam das klingen mag, aber die Akribie, mit der die Nationalsozialisten damals vorgegangen sind, kommt Kenzler heute zugute. „So existieren sämtliche Inventarbücher seit 1921, aus denen exakt hervorgeht, welche Exponate wann und von wem ins Museum kamen. Kenzler muss jetzt die Nachkommen von Rosa Sara Israels, die 1856 geboren wurde, aufspüren. Inzwischen hat er die Spur aufgenommen und dank des Staatsarchivs, der Familienkundler und des Internets einige Urenkel in den USA gefunden.

Zwei hat er bereits angeschrieben und hofft so, auch die Adresse des dritten Urenkels zu bekommen. Denn sie alle haben Anspruch auf die Kommode. „Ob sie sie haben wollen, wissen wir nicht. Es besteht auch die Möglichkeit, dass das Museum ihnen die Kommode abkauft“, erklärt Kenzler, der bei seiner Arbeit kriminalistischen Spürsinn entwickeln und viel Zeit in ein Objekt stecken muss. Das gilt auch für die vielen Gemälde. Eines davon, das schwer in Verdacht stand, Raubkunst zu sein, ist das “Stillleben mit Reiterfigur” von Emil Nolde. Es hängt im Prinzenpalais und wird gern von anderen Museen ausgeliehen. Als es im vergangenen Jahr nach Hamburg gehen sollte, hat der Provenienzforscher das Bild zuvor genau unter die Lupe genommen.


Provenienzforscher Dr. Marcus Kenzler hat das “Stillleben mit Reiterfigur” von Emil Nolde vollständig entlastet. Foto: zb

„Wenn es sich um Raubkunst gehandelt hätte, wäre es für uns ein schwerer Schlag gewesen“, sagt er. „Aber darum geht es hier nicht“, stellt er klar, „selbst wenn es wehtut.“ Das Bild war ursprünglich im Besitz des jüdischen Kunsthändlers Alfred Hess. Kenzler arbeitete sich durch einen dicken Ordner und stellte fest, dass die Witwe des Kunsthändlers keine Lebensperspektive in Nazi-Deutschland hatte und sich bereits in der Schweiz aufhielt. Sie beschloss, dieses Bild und verschiedene andere an Museen im Ausland zu verleihen. So kam Noldes Stillleben über die Schweiz in eine Ausstellung des Carnegie Institutes nach Pittsburgh, USA.

Danach gelangte das Bild in den 50er Jahren zum Verkauf in zwei New Yorker Galerien. 1961 kam es in die Schweiz in eine Verkaufsausstellung. Dort wurde es regulär von einem Galeristen erworben und schließlich 1962 ans Landesmuseum für 65.000 DM verkauft. Heute ist es mit zwei Millionen Euro versichert, berichtet Kenzler. „Natürlich ist uns nach der Recherche ein Stein vom Herzen gefallen. Wir waren froh, es rechtmäßig erworben zu haben.“

Die Spurensuche hat rund sechs Wochen gedauert. „Allerdings ging das so schnell, weil eine Kollegin in den USA für uns ins dortige Archiv gegangen ist und geholfen hat, den Fall aufzuklären. Das Netzwerk der Provenienzforscher wird größer und die Kollegen leisten alle Amtshilfe“, erzählt er und denkt oft darüber nach, dass er fast 70 Jahre nach Kriegsende dieses beschämende deutsche Kapitel aufarbeiten muss.

Nach dem Krieg haben sich die Kanadier darum gekümmert und eine Reihe von Objekten an ihre Besitzer zurückgegeben. Als sie abzogen hatte hier kaum ein Mensch mehr Interesse daran, sich mit dem Thema zu befassen. „Man wollte nach vorne blicken, den Krieg und seine Folgen vergessen“, sagt Kenzler. „Die Provenienzforschung stand da nur im Weg.“ Erst mit dem neuen Museumsdirektor hat sich das in Oldenburg geändert. Er will dieses Kapitel möglichst vollständig aufarbeiten. Wie das gehen soll, ist allerdings noch offen. Es handelt sich schätzungsweise um 25.000 Objekte, die Kenzler akribisch untersuchen müsste, um herauszufinden, ob sie auf legale Weise ins Museum gekommen sind oder es sich um Raubkunst handelt. (zb)



Mit Hilfe von Inventarbüchern kann Marcus Kenzler die Spur der Objekte zurückverfolgen. Foto: Museum





Mitunter verrät die Rückseite eines Bildes etwas über seine Herkunft. Foto: Museum


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