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Private Geschäfte - Private Business: The case of the Gurlitt Beckmann now in LACMA

1998
1970
1945
Frankfurter Allgemeine Zeitung 2 February 2014
Von Andreas Rossmann

  Der NS-Kunsthändler Hildebrand Gurlitt kaufte 1944 bei Max Beckmann im Exil das Gemälde „Bar, braun“. Heute hängt es in County Museum of Art in Los Angeles. Ist das ein Restitutionsfall?

© akg-images Vergrößern Die Kaufumstände liegen im Dunkeln: Max Beckmanns Werk „Bar, braun“, datiert auf 1944

Auf eine Milliarde Euro hatte der „Focus“ die Sammlung Gurlitt taxiert. Eine maßlose Übertreibung, die die Sensation des Falles aufbauschen sollte. Nur wenn viel Geld im Spiel ist, schafft Kunst es in die „Tagesschau“. Inzwischen bewegen sich die Schätzungen zwischen fünfzig bis hundert Millionen Euro, sogar von einer „Blase“ wird gesprochen. Als ginge es, passt natürlich zum Kunsthandel, „nur“ um Geld und nicht auch, wie die Debatte zeigt, um Zeitgeschichte, Recht und Moral, Diskriminierung und Verfemung, Raub und Beute, sowie um kollektives Verdrängen und Vergessen, die in der späten Konfrontation mit dem „Schatz“ hervortreten. Jedes einzelne Werk ist mit Lebensgeschichten verflochten, Provenienzen erzählen von Geschäften, aber auch von Flucht, Verfolgung und Vernichtung. Ein Bild kann persönliche Schicksale und gesellschaftliche Zusammenhänge erhellen, sein Weg durch verschiedene Hände und Verhältnisse Auskunft geben über die Zeit und die Protagonisten.

„Bar, braun“ (1944) von Max Beckmann, ein Gemälde, das auch ähnliche Titel wie „Braune Bar“, „In der Bar“ oder „Französische Bar“ trägt, ist so ein Bild. Als Nummer 1951/1 steht es auf der Liste mit etwa hundertfünfzig Positionen, die der US High Commissioner for Germany am 15. Dezember 1950 aus dem Central Collecting Point Wiesbaden (CCP) an Hildebrand Gurlitt zurückgibt und ihm als Eigentümer überträgt. Doch findet es sich nicht unter den 1280 Werken, die am 28. Februar 2012 von der Staatsanwaltschaft Augsburg in der Schwabinger Wohnung seines Sohnes Cornelius Gurlitt beschlagnahmt werden. Schon früh – und lange vor Beckmanns Gouache „Der Löwenbändiger“, die im Herbst 2011 bei Lempertz in Köln versteigert wird – haben es die Erben von Hildebrand Gurlitt verkauft.

Die Karriere, die es seitdem gemacht hat, und wie es überhaupt in den Besitz der Gurlitts gekommen ist, erzählt eine Geschichte, die, verwickelt und spannend, durch die Gewinn- wie auch die Dunkelzonen des internationalen Kunstmarktes führt. Dass es sich um „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“ handelt, ist so wenig offenkundig wie das Gegenteil. Das macht „Bar, braun“ zu einem interessanten (Grenz-)Fall.

Von Stuttgart in die Vereinigten Staaten

Schon dreieinhalb Jahre nach dem tödlichen Autounfall von Hildebrand Gurlitt im November 1956 taucht „Bar, braun“ im Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer auf. Das Gemälde erweist sich erstmal als Ladenhüter: Das Beckmann-Werkverzeichnis, „Katalog der Gemälde, bearbeitet von Erhard Göpel und Barbara Göpel“ (Bern, 1976) vermerkt zur Provenienz „Ketterer Auktion, 20. Mai 1960, nicht verkauft“; Ketterer publiziert aber als erzielten Preis „21.000 DM“. Der Händler hat es wohl selbst erworben, denn das nächste Mal erscheint es 1971 im „Lagerkatalog Moderne Kunst VII“ der Galerie, die von 1963 bis 1985 ihren Sitz in der Steueroase Campione d’Italia am Luganer See hat. Diese Provenienz wird auch im Katalog von Sotheby’s als letzte genannt, das „Bar, braun“ bei seiner Auktion am 26. Juni 1984 in London anbietet. Wieder findet das Bild keinen Käufer, sondern bleibt „bei 90.000 Pfund auf der Strecke“ (F.A.Z. vom 16.7.1984).

Gut drei Jahre später, bei der Auktion „Deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts“, die Sotheby’s am 28. Oktober 1987 in München veranstaltet, erreicht es mit 550.000 DM, damals 183 700 Pfund, etwas mehr als den doppelten Preis: Marvin Fishman, Bauunternehmer in Milwaukee, ersteigert es für seine Expressionisten-Sammlung (F.A.Z. vom 7.11.1987), die in den 1990er Jahren in mehreren europäischen Museen gastiert. Dreizehn Jahre später, bei der Herbst-Auktion 2000 von Sotheby’s in London, beträgt die Taxe bereits 500.000 bis 700.000 Pfund (F.A.Z. vom 9.9.2000); zugeschlagen wird das Bild für 1,2 Millionen Pfund, die ein amerikanischer Sammler bereitstellt (F.A.Z. vom 21.10.2000). Neuer Besitzer ist der Industrielle Robert Looker (1922 bis 2012), dessen Erben das Gemälde zu seinen Ehren dem Los Angeles County Museum of Art (Lacma) überlassen. Am 4. November 2013, dem Tag, an dem der Fall Gurlitt im „Focus“ steht, wird die Schenkung bekanntgegeben.

Der Verkauf ist dokumentiert, die Umstände nicht

In einem Kommentar zu der „bemerkenswerten Donation“ schreibt das Lacma auf seiner Website, dass Beckmann, als er das Bild malte, „völlig mittellos“ und „das Leben unter den verarmten Verhältnissen im besetzten Holland äußerst schwierig“ gewesen sei. Was das für die Umstände des Verkaufs bedeutet und ob es sich mithin um ein restitutionsbefangenes Werk handelt, wird aber – aus Rücksicht auf den großzügigen Spender? – nicht erörtert, und das obwohl das Lacma, das 1991 mit der weltweit beachteten Ausstellung „Degenerate Art“ Furore machte, hierfür eine besondere Sensibilität besitzen müsste.

Die zehn Jahre im Amsterdamer Exil gelten als Beckmanns produktivste Phase. Der Künstler, der vor 1933 – auch durch Verkäufe an Museen – sehr gut verdient und auf großem Fuß gelebt hatte, ist in seiner materiellen Existenz zwar geschädigt, doch nagt er nicht am Hungertuch. Bis 1940 unterstützt ihn Stephan Lackner mit einem monatlichen Salär von zweihundert Dollar, danach ist er auf seine Ersparnisse und Gelegenheitsverkäufe angewiesen. Die Konstellation, in der die Kunsthistoriker Erhard Göpel (1906 bis 1966) und Hildebrand Gurlitt (1895 bis 1956) ihn am 13. und 14. September 1944 in Amsterdam besuchen und das Gemälde erwerben, ist alles andere als symmetrisch: So ausgeliefert, dass ihm das Bild abgepresst wird, ist Beckmann nicht, von einem regulären Verkauf, wie er vor 1933 stattgefunden hätte, kann aber auch nicht die Rede sein.

Dass Gurlitt das Werk erwirbt und nicht geschenkt bekommt, geht aus dem Original der bisher unvollständig veröffentlichten Tagebüchern von Mathilde Q. Beckmann hervor: „heute kam unerwartet Göpi (d. i. Erhard Göpel): Tiger mit ihm und Gurlitt bei Lütjens. Kauften franz. Bar, Fisch, Südl. Landschaft – die Reise“, notiert sie am 13. September 1944. Göpel und Gurlitt, die beide – der eine in den Niederlanden, der andere in Frankreich – Haupteinkäufer für den „Sonderauftrag Linz“ waren (wobei Gurlitt daneben auch private Geschäfte machte), können die Bilder ungehindert nach Deutschland bringen (lassen). Gurlitt lebt damals in Dresden, wohin er 1942 von Hamburg aus ins Haus seiner Eltern zurückgezogen war. Im März 1945 flieht er nach Aschbach bei Bamberg, wo die Amerikaner einen Teil seines an drei Orten versteckten Kunstbesitzes im Mai 1945 konfiszieren und zum CCP Wiesbaden verbringen.

Geschätztes Werk

Am 15. Dezember 1950 bekommt Gurlitt den Bestand aus dem CCP zurück. Schon 1947 hatte das Städelsche Kunstinstitut in Frankfurt, vom 29. Juni bis 3. August, „Bar, braun“ in der Schau „Max Beckmann“ gezeigt und dafür von der amerikanischen Militärregierung in Wiesbaden die Genehmigung erhalten, es mit drei anderen Bildern von Beckmann (darunter auch „Der Löwenbändiger“) auszuleihen. Danach ist das Exponat, so belegt es die Museumsakte, an den CCP zurückgegangen. Ob das Bild 1950 auch in der Beckmann-Ausstellung, die der seit 1948 von Hildebrand Gurlitt geleitete Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf (vom 26. Februar bis 21. April 1950) ausrichtete, zu sehen war, ist den Unterlagen im Stadtarchiv nicht zu entnehmen. Der Ketterer-Katalog von 1971 vermerkt ungenau „Kunstverein Düsseldorf 1948-1950“, der „Katalog der Gemälde“ (Bern, 1976) „nicht im Verzeichnis der Ausst. Düsseldorf 1950“.

„Ich habe die Ehre, Sie zu der Eröffnung der Ausstellung, die am Samstag, den 28.6.47, nachmittags 16 Uhr im Städelschen Kunstinstitut stattfindet, herzlichst einzuladen und Sie zu bitten, während des Aufenthaltes Gast der Stadt Frankfurt am Main zu sein“, schreibt Oberbürgermeister Walter Kolb am 31. Mai 1947 an „Professor Max Beckmann“ nach Amsterdam. Der freut sich in seiner Antwort vom 17. Juni, dass „ich von dort einen Freundschaftsbeweis bekomme, wo ich so schöne Zeiten und ein so bitteres Ende erlebt hatte“, nennt aber auch die Schwierigkeiten, die seinem Besuch im Wege stehen: Erstens habe er die Einreisegenehmigung in die amerikanisch besetzte Zone noch nicht erhalten, und zweitens „befinde ich mich in Vorbereitung für einen längeren Aufenthalt in Amerika und die Abreise geht sehr bald vonstatten“. Am Ende kommt Beckmann nicht nach Frankfurt, und das obwohl er bis 22. August auf sein Visum in die Vereinigten Staaten warten muss und sich erst am 29. August nach New York einschifft.

Angebliches Geschenk

Gurlitts Verdienste um Beckmann sind unbestreitbar. Noch 1936 hatte er ihm in seinem Hamburger Kunstkabinett eine Ausstellung ausgerichtet. Darauf nimmt Gurlitt in einer Erklärung zu der Liste des CCP Bezug, die Willi Korte im Nationalarchiv in Washington entdeckt hat: „Das Bild Nr. 1951/1 von Beckmann ist ein persönliches Geschenk meines Freundes Max Beckmann an mich“, behauptet er – „Wiesbaden am 13. Dezember 1950“ – zwei Tage, bevor er das Konvolut zurückerhält. Beigelegt ist ein Schriftstück von (dem späteren linken Verleger) Manfred Pahl-Rugenstein, in dem dieser – ebenfalls „Wiesbaden, am 13. Dezember 1950“ – „an Eides statt nach bestem Gewissen und meiner besten Erinnerung“ erklärt: „Das Bild Nr. 1951/1 von Beckmann hat Herr Dr. Gurlitt als Geschenk von Beckmann selbst erhalten, weil er sich in Deutschland so sehr für seine Kunst eingesetzt hatte. Dr. Gurlitt hat z.B. es als einziger gewagt, 1936 in Hamburg eine Beckmann-Ausstellung zu veranstalten. Zu dem Bild gehörte ein Kärtchen Beckmanns mit einer Bestätigung, das Dr. Gurlitt mir hocherfreut zeigte.“ Es ist eine Erklärung, wie sie damals so und so ähnlich vielfach abgegeben wurde, doch vermittelt sie, ohne dass das explizit gesagt wird, den Eindruck, Beckmann habe das Bild Gurlitt im Zusammenhang mit der Ausstellung von 1936 geschenkt.

Dazu passt, dass ein einziges der 65 Gemälde, die in Frankfurt (überwiegend aus der Amsterdamer Phase) ausgestellt wurden, falsch datiert ist: „34. In der Bar um 1935“ heißt es im Katalog. Vielleicht ein Versehen, wie es immer vorkommen kann. Doch der große Abstand und die unpräzise Zeitangabe, die Ungereimtheiten und Tricks in den Erklärungen von Gurlitt und Pahl-Rugenstein sowie die angebliche Schenkung sind Indizien dafür, dass Absicht dahinter steckt. Wie es zu dem Fehler kam, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Doch „klar ist“, so der Provenienzforscher Willi Korte, „wer daran ein Interesse gehabt haben muss: Hildebrand Gurlitt. Für mich ist das ein eindeutiger Restitutionsfall.“

„Gurlitt braune Bar. Recht traurig“

Geschenkt und nicht verkauft habe ihm Beckmann, so Gurlitt genau zwei Wochen vor dessen Tod, das Bild. Wozu brauchte er diese Lüge? Mayen Beckmann, die Enkelin von Max Beckmann, sagt im Gespräch mit dieser Zeitung, „vielleicht, weil er (Gurlitt) vor den Amerikanern gut dastehen wollte“. Aber hatte er das Ende 1950 noch nötig? Als plausibler erscheint es, dass Gurlitt die Londoner Erklärung (vom 5. Januar 1943) kannte, deren achtzehn Unterzeichnerstaaten (darunter auch die Exil-Regierung der Niederlande) sich das Recht vorbehalten, jede Übertragung und jede Veräußerung von Eigentum für nichtig zu erklären, die in besetzten Gebieten stattgefunden haben.

Vor allem aber kann ihm die knallharte Restitutionspolitik der Amerikaner nicht entgangen sein, die in den ersten Nachkriegsjahren große Bestände en bloc nach Frankreich und in die Niederlande rückabgewickelt haben. Hätte Gurlitt das Bild „Bar, braun“, wie Pahl-Rugenstein suggeriert, schon früher als Geschenk erhalten, wäre es, wenn nicht unmöglich, so doch schwieriger gewesen, es ihm als Eigentum streitig zu machen. Doch dafür hätte das Bild auch früher („um 1935“) gemalt werden müssen – und nicht erst 1944 in den besetzten Niederlanden.

Mayen Beckmann hält den Erwerb des Bildes durch Gurlitt für „clean“ und denkt nicht daran, es zurückzufordern. Aber sie sagt auch: „Natürlich wäre Max Beckmann damals lieber schon in den USA und in der Situation gewesen, einen besseren Preis für das Bild zu bekommen.“ Auch nach dem Krieg hat sich Beckmann in Briefen mehrfach freundlich über Gurlitt („guter Mann auch für Verkäufe“, „ganz netter Kerl“) geäußert und ihm mit einem Entlastungsschreiben (vom 6. August 1946) bei der Entnazifizierung geholfen. In den noch unveröffentlichten Passagen seines Tagebuchs, so berichten Susanne Kienlechner und Christian Fuhrmeister vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, die sie entziffert haben, findet er für das Duo Göpel und Gurlitt am 13. September 1944 in der ihm eigenen Telegrammstilkürze weniger höfliche Worte: „Tragik Nichtverkaufen wollens. Gurlitt braune Bar. Abends Dick und Doof bei mir. Recht traurig.“

Ein Stück deutscher Geschichte

Max Beckmann war kein Jude, doch seine Kunst war als „entartet“ gebrandmarkt, und er lebte in Amsterdam, so notiert er am 4. Mai 1940 in seinem Tagebuch, „im Stadium der vollkommensten Unsicherheit über meine Existenz“ wie auch in ständiger Angst davor, noch zur Wehrmacht eingezogen zu werden. Und Gurlitt war, bei allen Verdiensten um Beckmanns Werk, kein privater Sammler, sondern ein Kunsthändler, der für Hitler tätig war, die Protektion des Regimes genoss und über große finanzielle Mittel und weit reichende Vollmachten verfügte. Eine Verweigerung Beckmanns hätte ihm persönlich schaden können.

Auch wenn in diesem Fall niemand auf Restitution pochen dürfte, wäre eine solche Forderung nicht unbillig. Zumindest entspräche sie den Prinzipien der Rückgabe-Politik der Amerikaner in den ersten Jahren nach Kriegsende. Mit „Bar, braun“ ist der Fall Gurlitt in Amerika angekommen und bis an die Westküste geschwappt. Das Museum in Los Angeles, das viel für die Darstellung deutscher Kunstgeschichte geleistet hat, trägt mit dieser Schenkung auch ein Stück Last deutscher Geschichte. Wird es das in Zukunft dokumentieren?

 

 

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