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Was der Fall Gurlitt lehrt - What the Gurlitt case teaches

1998
1970
1945
Zollnern-Alb-Kurier 25 April 2014
Von Lena Grundhuber

Das Ulmer Museum hatte dieser Tage Grund zu feiern. Ein Gemälde von Oskar Kokoschka, "Genfer See II", war zurückgekehrt. 1937 von den Nazis als "entartet" beschlagnahmt und später versteigert, kam es als Geschenk aus einer amerikanischen Privatsammlung. Gerade wurde es aufgehängt - während in Berlin ein anderer Kokoschka abgehängt wurde. "Pariser Platz in Berlin" hing pikanterweise im Arbeitszimmer von Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Pikant deshalb, weil es unter NS-Raubkunstverdacht geriet; womöglich hatte eine jüdische Galeristin es einst unter Druck verkaufen müssen.

Komplizierte Einzelfälle? Ja klar. Aber genau darum geht es in der Debatte, die mit dem "Fall Gurlitt" einen Namen, ein Gesicht - und eine neue Brisanz bekommen hat. Erst seit bekannt wurde, dass Cornelius Gurlitt jahrzehntelang den Kunstschatz seines Vaters, des Nazi-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, versteckt hielt, hat eine breite gesellschaftliche Diskussion über den Umgang mit Werken zweifelhafter Herkunft begonnen.

Man muss für die Enthüllung dankbar sein. Und zwar in mehrerlei Hinsicht: Die Gurlitt-Debatte mag mit dem Ruf nach Aufklärung stellenweise hysterisch begonnen haben. Provenienzrecherche ist, um Ingeborg Berggreen-Merkel von der Kunstfund-Task-Force zu zitieren, kein 100-Meter-Lauf, sondern ein Marathon. Inzwischen wird die pauschale (und nun auch aufgehobene) Beschlagnahme des Gurlittschen Besitzes zu Recht kritisiert.

Doch die Aufregung hat eben auch Ergebnisse gezeitigt. Endlich kann das Konvolut untersucht werden, kann vielleicht ein bisschen Unrecht abgegolten werden. Denn Cornelius Gurlitt hat - freilich erst nach monatelangem Druck - zugestimmt, seine Bilder von der Task-Force prüfen zu lassen und gegebenenfalls zurückzugeben. Die Einigung war wohl der denkbar eleganteste Weg - denn die Selbstverpflichtung der Museen, NS-Raubgut auch nach Ablauf von Verjährungsfristen zurückzuerstatten, gilt nicht für Privatleute. Chancen auf Rückgabe haben wohl in erster Linie die Erben verfolgter Juden. Öffentliche Sammlungen in Deutschland haben dagegen kaum Aussicht, jene Werke zurückzubekommen, die 1937 als "entartete Kunst" beschlagnahmt wurden. Was dem Ulmer Museum widerfuhr, war pures Entgegenkommen von privater Seite.

Der "Fall Gurlitt" reicht mittlerweile weit über sich selbst hinaus. Inzwischen steht er symbolhaft für die mindestens ambivalente Rolle des Kunstbetriebs in der NS-Zeit. Museen, Händler, Auktionatoren, das spiegelt sich in vielen Puzzle-Teilen, haben nicht nur kollaboriert, um avantgardistische Kunst zu "retten". Sie haben sich teils auch an der Judenverfolgung bereichert - im Unterschied zu anderen Wirtschaftszweigen noch Jahrzehnte nach dem Krieg.

Wer Stefan Koldehoffs Buch "Die Bilder sind unter uns" liest, dem schwindelt vor dem dort geschilderten Ausmaß an Gier, Gemeinheit, Verrat und Verdrängung. Der Publizist kommt zu dem Schluss: "Der deutsche Kunsthandel profitierte wie wohl keine zweite Branche von der bald nach Hitlers Machtübernahme einsetzenden systematischen Verfolgung und Ausplünderung der Juden in Deutschland und in den besetzten Nachbarstaaten." Nicht nur Koldehoff fordert deshalb ein deutsches Raubkunstgesetz. Ob dies die moralische Dimension jedes Falls erfasst, ist jedoch fraglich.

Es hängt von Cornelius Gurlitt selbst ab, ob der "Fall Gurlitt" im Nachgang noch Vorbildfunktion bekommen kann: Für Museen und Privatleute, die nicht erst auf das Schreiben eines Rechtsanwalts aus Übersee warten sollten - sondern einst geraubtes Gut von sich aus restituieren.


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