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Der Sammler war empört - The collector was indignant

1998
1970
1945
Frankfurter Allgemeine Zeitung 7 May 2014
Von Julia Voss und Stefan Koldehoff

Das Rätselraten um das weitere Schicksal von Cornelius Gurlitts Kunstschatz ist vorbei. Der verstorbene Sammler hat seine Bilder dem Kunstmuseum Bern vermacht. Doch viele Fragen bleiben offen.


Eines der Bilder aus Gurlitts Sammlung: Bernhard Kretschmars „Straßenbahn“

Nach Cornelius Gurlitts Tod beschäftigte die Öffentlichkeit vor allem eine Frage: Wer erbt die Sammlung? Und was wird dann mit der Sammlung passieren? Zumindest die erste Frage scheint nun geklärt: Cornelius Gurlitt vermacht seinen Bilderschatz dem Kunstmuseum Bern. Über diese Entscheidung scheint niemand stärker überrascht zu sein als das Kunstmuseum Bern.

In einer verblüffend offenen Pressemitteilung hieß es dazu, die Nachricht habe wie „ein Blitz aus heiterem Himmel eingeschlagen“. Und weiter: „Heute, den 7.Mai 2014 wurde das Kunstmuseum Bern durch Herrn Christoph Edel, den Rechtsanwalt des gestern, den 6.Mai 2014 verstorbenen Herrn Cornelius Gurlitt, telefonisch wie schriftlich informiert, dass Herr Cornelius Gurlitt die privatrechtliche Stiftung Kunstmuseum Bern zu seiner unbeschränkten und unbeschwerten Alleinerbin eingesetzt habe.“

Alte Geschäftsverbindungen

Für die Entscheidung dürfte es mindestens zwei Gründe geben: Zum einen hatte Cornelius Gurlitt entschieden, seine Bilder ins Ausland zu geben, weg aus der deutschen Heimat, wo ihn der Umgang der Behörden mit seinem Fall nachhaltig empört haben soll. Das ist nachvollziehbar. Bis heute ist beispielsweise unklar, auf welcher rechtlichen Basis die Augsburger Staatsanwalt den gesamten Bilderbestand beschlagnahmte. Die angegebenen Steuerdelikte rechtfertigen nach Meinung von zahlreichen Juristen das Vorgehen nicht. Staunen kann man auch über die Fülle an Details, die aus den staatsanwaltlichen Ermittlungen bis heute an die Presse durchsickern. Ebenso wenig war in der Vergangenheit verhindert worden, dass Berichte über eine Durchsuchung an die Öffentlichkeit gelangten, bei der in Gurlitts Schwabinger Wohnung schon 2012 rund 1280 Kunstwerke gefunden wurden.

Ein zweiter Grund dafür, das Kunstmuseum Bern als Erben einzusetzen, könnte in einer alten Geschäftsverbindung liegen. Über den Berner Kunsthändler Kornfeld hatte Gurlitt bereits in der Vergangenheit einige Werke verkauft. Ob dieser seinem Kunden riet, sich an das Berner Museum zu wenden, ist unbekannt. Der Galerist wollte sich auf Anfrage dieser Zeitung nicht dazu äußern. Nach Angaben des Museums „bestanden zu keiner Zeit irgendwelche Beziehungen zwischen Herrn Gurlitt und dem Kunstmuseum Bern“.

Kann das Museum nun sein Glück nicht fassen? Es sollte nicht überraschen, dass sich das Haus verhalten freudig zeigt. „Dessen Stiftungsrat und Direktion“, so die Auskunft, „sind einerseits dankbar und freudig überrascht, wollen andererseits aber auch nicht verhehlen, dass das großartige Vermächtnis ihnen eine erhebliche Verantwortung und eine Fülle schwierigster Fragen aufbürdet, Fragen insbesondere rechtlicher und ethischer Natur. Zu einer konkreten, sachbezogenen Stellungnahme sehen sie sich vor Einsicht in die relevanten Akten und vor einem ersten Kontakt mit den zuständigen Behörden nicht in der Lage.“

Wie viele Bilder bleiben am Ende übrig?

Wo also ist der Haken? Auf den ersten Blick fügt sich Gurlitts Sammlung – die Werke von Matisse, Picasso, Manet, Monet oder Chagall – in den Bestand des Hauses ein. Die Museumssammlung reicht von der Gotik bis zur Gegenwart, berühmt sind die Werke moderner Kunst. Die Schweiz zählt zu den Unterzeichnern des „Washingtoner Abkommens“, womit die Provenienzforschung und mögliche Restitutionen sichergestellt sein dürften. Niemand weiß allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt, was dann noch von Gurlitts Sammlung übrig bleibt. Eine Berner Journalistin formuliert die Schreckensvision gegenüber dieser Zeitung. Es sei „nicht zu erwarten, dass man im Kunstmuseum Freude daran haben“ werde: „Die guten muss man zurückgeben, der Rest verstopft das Depot.“ Die Task Force Schwabinger Kunstfund geht von 458 verdächtigen Bildern aus, Gurlitts Anwälte sprechen stets von nur rund vierzig. Zu den sechzig Kunstwerken, die im Salzburger Haus von Gurlitt sichergestellt wurden, liegen keine Zahlen vor. Unsicher ist auch, ob sie im Testament berücksichtigt sind.

Für die Anspruchsteller ist die Lage weiterhin undurchsichtig. Der Erbe des Breslauer Sammlers und NS-Opfers Max Freudenberg etwa, aus dessen geplünderter Sammlung mutmaßlich ein bei Cornelius Gurlitt gefundenes Liebermann-Gemälde stammt, hat den Freistaat Bayern und die Bundesrepublik auf Rückgabe verklagt – sind sie nach Aufhebung der Beschlagnahme noch die richtigen Adressaten, oder ist es nun Gurlitts Erbe in der Schweiz? Von dem Matisse-Gemälde, dem vermutlich teuersten Werk, das in der Schwabinger Wohnung sichergestellt wurde, hieß es schon Ende März, die Rückgabe an die Erben stehe unmittelbar bevor. Zurückgegeben ist das Bild bis heute nicht.

Welche Werke also auf Dauer in der Sammlung Gurlitt verbleiben können, ist weiterhin offen. Sicher ist, dass das Berner Museum, wenn es das Erbe annimmt, eine der weltweit größten Sammlungen von Landschaftsgemälden Louis Gurlitts besitzen wird. Dass diese Gemälde des Urgroßvaters rechtmäßig zum Eigentum von Cornelius zählen, ist unbestritten. Derweil kündigt das bayerische Kulturministerium an zu überprüfen, ob die gesamte Sammlung unter deutsches Kulturgut fällt – womit die Ausfuhr unmöglich wäre.

 

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/der-fall-gurlitt/gurlitts-erbe-der-sammler-war-empoert-12927945.html
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