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Deutsche Museen greifen nach Gurlitts Erbe - German museums reach for Gurlitt inheritance

1998
1970
1945
Die Welt 15 May 2014
Von Lucas Wiegelmann und Sally-Charell Delin

Der verstorbene Kunsthändler Cornelius Gurlitt hat seine Bildersammlung dem Berner Kunstmuseum vermacht. Doch einige deutsche Museen erheben nun selbst Ansprüche. Mit einer umstrittenen Begründung.


Das Grab von Helene und Hildebrand Gurlitt, den Eltern des verstorbenen Cornelius Gurlitt, in Düsseldorf

Noch ist der genaue Inhalt seiner beiden Testamente gar nicht öffentlich. Noch weiß niemand, was alles zu seinem Erbe gehört. Aber die Sammlung des verstorbenen Kunsthändler-Sohnes Cornelius Gurlitt, die rund 1500 Werke umfasst, weckt bereits Begehrlichkeiten. Eigentlich hat Gurlitt sie dem Kunstmuseum Bern vermacht. Doch damit wollen sich einige deutsche Museen nicht abfinden. Und prüfen nun diskret, ob sie nicht auch einen Teil vom Kuchen abbekommen können.

"Wir werden erst einmal nicht verhindern können und wollen, dass die Sammlung Gurlitt in die Schweiz geht", sagt etwa Ulrike Lorenz, Direktorin der Kunsthalle Mannheim. "Wir gehen vielmehr davon aus, dass sie im Kunstmuseum Bern in guten, verantwortungsvollen Händen wäre. Aber die Stadt Mannheim prüft selbstverständlich, ob und wie wir unseren juristischen Anspruch auf eventuell vorhandene Werke aus der ,Aktion Entartete Kunst' aufrechterhalten."

Nach "Welt"-Informationen recherchieren derzeit auch andere Museen in ganz Deutschland, welche Ansprüche man am Gurlitt-Erbe geltend machen könnte, darunter die Kunsthalle zu Kiel und das Museum der bildenden Künste Leipzig.

"Das Thema wird besonders dringlich"

Gerhard Finckh, Direktor des Wuppertaler Von der Heydt-Museums, sagt: "Wir haben schon im vergangenen Jahr die Staatsanwaltschaft Augsburg dazu aufgefordert, zu prüfen, welche Bilder der Gurlitt-Sammlung ursprünglich aus unserem Bestand stammen. Es ist ganz klar, dass wir die zurückhaben wollen." Er wolle die Behörde in den nächsten Tagen noch einmal schriftlich an die Ansprüche erinnern. "Jetzt, da die Bilder ins Ausland gehen sollen, wird das Thema besonders dringlich", so Finckh.

Hintergrund ist die sogenannte Aktion Entartete Kunst der Nazis. 1937 ließ der NS-Staat rund 17.000 Kunstwerke beschlagnahmen, die nicht Hitlers Naturalismus-Vorliebe entsprachen. Betroffen waren unter anderem Werke des Expressionismus, Kubismus und Dadaismus und Künstler wie Max Ernst, Oskar Kokoschka und Käthe Kollwitz. Im Mai 1938 wurde die Aktion mit einem "Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst" untermauert.

Die eingezogenen Werke sind zu unterscheiden von sogenannter Raubkunst: Von Raubkunst spricht man, wenn die Nazis Privatsammler enteignet oder sie zum Verkauf zu unangemessen niedrigen Preisen gedrängt haben. Die "Aktion Entarteter Kunst" zielte dagegen auf Bilder, die sich in öffentlichen Sammlungen befanden. Damit hat sich der Staat gewissermaßen selbst enteignet.

380 Werke der "Aktion Entartete Kunst"

Viele dieser Bilder landeten in der Sammlung des von den Nazis autorisierten Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt. Manche verkaufte er. Andere behielt er für sich und vererbte sie später seinem Sohn Cornelius Gurlitt. Als dessen Münchner Wohnung im Frühjahr 2012 von der Staatsanwaltschaft durchsucht wurde, fanden die Ermittler rund 380 Werke, die der "Aktion Entartete Kunst" zugeordnet werden konnten, also einst in staatlichen deutschen Museen hingen. Das sind fast so viele wie die Werke, die unter Raubkunst-Verdacht stehen (rund 450 Werke).

Ob die Museen heute noch einen Anspruch auf diese Kunstwerke haben, ist umstritten. Anders als bei der Raubkunst gibt es keine anerkannte moralische Verpflichtung, die "Aktion Entartete Kunst" rückgängig zu machen. Bereits kurz nach dem Krieg setzte sich die Einsicht durch, dass Museen entsprechende Bilder nicht zurückverlangen können, eben weil der NS-Staat mit den eigenen Bildern nach seinem Belieben verfahren konnte.

Außerdem wäre eine vollständige Aufarbeitung uferlos: Fast jedes deutsche Museum könnte dann Ansprüche anmelden – und müsste sich gleichzeitig Rückgabeforderungen gefallen lassen. Entsprechend verzichten viele Häuser, darunter etwa das Museum Ludwig und das Wallraf-Richartz-Museum in Köln, ausdrücklich auf Rückführungswünsche im Fall Gurlitt.

Die Museumsleiter sind hin- und hergerissen

Marcus Dekiert, Direktor des Wallraf-Richartz-Museums, sagt: "Ich denke, dass die Rechtslage relativ klar ist. Das Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst wurde nach dem Krieg weder von den Alliierten noch vom bundesrepublikanischen Gesetzgeber kassiert. Und zwar mit Bedacht. Das kann man sehr bedauern, aber damit ist es eigentlich nicht möglich, dass staatliche Museen Restitutionsansprüche stellen."

Andere Museumsleiter aber sind hin- und hergerissen. Sie wissen, dass Nazi-Kunstpolitik kein Gewinnerthema ist. Sie wissen aber auch, welche Werke auf dem Spiel stehen. Die Verlockung ist groß. Das Essener Folkwang-Museum etwa verlor 1937 unter anderem Bilder von Max Beckmann, Wassily Kandinsky, Ernst Ludwig Kirchner, August Macke, Franz Marc, Karl Schmidt-Rottluff und Christian Rohlfs.

Alle diese Werke haben gemeinsam, dass ihr Verbleib ungeklärt ist. Und dass sie zuletzt in Hildebrand Gurlitts Besitz nachweisbar waren, wie aus der "Entartete Kunst"-Datenbank der FU Berlin hervorgeht. Befinden sie sich immer noch in der Gurlitt-Sammlung? Versucht Essen, es herauszufinden? Die Folkwang-Leitung hält sich bedeckt. Man lässt ausrichten: "Das Museum Folkwang gibt zur dargestellten Lage und den Vorgängen zurzeit keinen Kommentar."

"Das muss fair aufgearbeitet werden"

Der Wuppertaler Museumsdirektor Finckh spricht dagegen offen. "Es geht nicht an, dass sich, wie im Fall Hildebrand Gurlitt, Deutsche an Deutschen bereichern können", sagt er. "Das war ein Skandal erster Güte. Dass der Sohn später solche Bilder nach und nach verscherbelte, um sein Leben zu bestreiten, ist eine zweite Ungerechtigkeit. Das muss fair aufgearbeitet werden."

In seinem Von der Heydt-Museum seien 1937 ungefähr 500 Werke beschlagnahmt worden. "Das war ein unglaubliches Massaker, das der Staat damals in einem kommunalen Haus angerichtet hat." Finckh fordert, dass die sogenannte Washingtoner Erklärung, die Restitutionen für private Sammler regelt, auch auf deutsche Museen angewendet wird. Sprich: dass die Museen die Werke zurückfordern können.

Und auch seine Mannheimer Kollegin Ulrike Lorenz wünscht sich einen neuen Umgang mit dem Thema. "Bisher ist es so, dass sich die Museen bei Werken ,entarteter' Kunst große Zurückhaltung auferlegen, was Restitutionsfragen betrifft, denn viele Museen sind Opfer und ,Täter' zugleich, das heißt, ,entartete Kunst' kann sich in vielen Museumssammlungen finden", sagt sie.

"Nicht, dass man da eine riesige Lawine lostritt und am Ende jedes Museum von jedem Museum Werke zurückfordert. Die Frage ist nur: Trägt diese Haltung auch für die lange Zukunft? Wir merken ja immer wieder, dass die Geschichte uns einholt. Der Fall Gurlitt ist dafür fast zu einem Sinnbild geworden."

 

http://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article128046391/Deutsche-Museen-greifen-nach-Gurlitts-Erbe.html
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