News:

Zurück zu den Erben? Geklauter Frühlingssturm in Darmstadt - Return to the heirs? Stolen Spring Storm in Darmstadt

1998
1970
1945
HR Online 30 July 2014
 

Die Mathildenhöhe ist in Aufruhr: Ein bedeutendes Gemälde aus der städtischen Kunstsammlung hat sich als Raubkunst aus der Nazizeit entpuppt. Und dieser Fund ist vielleicht nur die Spitze des Eisbergs - denn niemand weiß, wie viele geraubte Werke sich noch in der Sammlung befinden...


Ludwig von Hofmann (1861–1945) Frühlingssturm, 1894/95, Öl auf Leinwand, 196 x 146 cm Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt.

"Frühlingssturm" heißt das Werk von Ludwig von Hofmann: Ein nackter Jüngling läuft mit zwei jungen Frauen in den Armen am Ufer vor grünem und blauem Meer unter einem Himmelsgewölbe mit großen, weißen Wolken. Das Licht, das auf die Oberkörper der drei Personen fällt, wirkt fast gelblich – wie das der aufgehenden Sonne. Der Jüngling und eine der Frauen schauen entrückt in die Ferne.

Ludwig von Hofmann hat mit dem Gemälde 1894 offenbar die Stimmung der Zeit getroffen. Das Bild gehört zu den Attraktionen der aktuellen Ausstellungen auf der Darmstädter Mathildenhöhe mit dem Titel "Dem Licht entgegen". Gezeigt wird, wie Künstler und Architekten vor 100 Jahren in der Darmstädter Jugendstilsiedlung Künstlerkolonie den Aufbruch ins neue, 20. Jahrhundert sahen.

"Ansprüche der Erben sind berechtig"

Im Mai hat Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch (Bü' 90/Die Grünen) als Kulturdezernent die Ausstellung mit dem Bild "Frühlingssturm" eröffnet. Und jetzt muss Partsch zugeben, dass die Stadt das Bild nicht rechtmäßig erworben hat. "Das war für uns völlig überraschend, dass das Bild plötzlich auf dieser Lost Art Liste auftauchte", so Partsch. "Aber die Ansprüche der Erben sind berechtig."

Es war offenbar leicht zu überprüfen. "Das lässt sich nachvollziehen", erklärte Partsch gegenüber dem Hessischen Rundfunk. Es sei in der Tat so, dass dieses Bild 1934 auf einer Zwangsversteigerung aus dem Besitz Mosse herausging. 1941 sei es dann in die städtische Kunstsammlung aufgenommen worden, so der Darmstädter Oberbürgermeister.

Provenienzforschung muss verstärkt werden

Partsch würde das Bild gerne in Darmstadt behalten. Es gehört zu den wichtigen Zeugnissen jener Zeit, als auf der Mathildenhöhe die Künstlerkolonie entstand. Die Stadt will mit den Erben des Kunststammlers Rudolf Mosse, dessen Sammlung von den Nazis zerschlagen wurde, verhandeln. "Wenn sie bereit wären uns das Bild zu überlassen – es ist ein bedeutendes Werk des Jugendstils – dann haben wir Interesse daran", so Jochen Partsch. Und er fügt hinzu: "Ja, das wird die Stadt Geld kosten, das ist klar.

Die andere Frage, die sich nun stellt: Wie viele der 15.000 Werke aus der städtischen Kunstsammlung wurden noch zwischen 1931 und 1945 erworben und sind damit möglicherweise früheren Besitzern weggenommen worden? "Es gibt eine Anzahl von Bildern, die auch in dieser Zeit erworben sind", sagt Oberbürgermeister Jochen Partsch, "und im Grunde ist es so, dass wir die Nachforschung, also die Provenienzforschung verstärken müssen. Das ist aber eine Frage des Personals. Wir brauchen da ja Historiker, Kunsthistoriker." Vor allem durch den Fall Gurlitt habe die Provenienzforschung eine deutliche Dynamik bekommen.


Jochen Partsch

Museen müssen ihre Bestände untersuchen

Nach dem Fund der Gurlitt-Sammlung wurde die sogenannte Tast-Force "Schwabinger Kunstfund" eingesetzt. Deren Leiterin Ingeborg Berggreen-Merkel nimmt die Museen und Sammlungen, die eigene Nachforschungen bisher unterlassen haben, in Schutz – so auch die Stadt Darmstadt. "Ich glaube, dass die Museen sehr, sehr wohl wissen, dass sie ihre Bestände untersuchen müssen", so Berggreen-Merkel. "Ich möchte, dass so viel wie möglich wieder zurück gegeben wird, wenn es geklaut ist, wenn es abhanden gekommen ist, wenn es erpresst worden ist. Das ist, glaube ich, unser aller Verantwortung, der wir uns verpflichtet fühlen."

Es wird wohl auch noch in den nächsten Jahren so sein, dass rechtmäßige Erben ihre möglichen Ansprüche selbst geltend machen müssen, wie beim Werk „Frühlingssturm“ in der städtischen Kunstsammlung Darmstadt. „Wir sind als Stadt gar nicht in der Lage, bei 15.000 Werken alles direkt zurück zu verfolgen, wo das herkommt“, erklärt Oberbürgermeister Jochen Partsch. „Im Einzelfall, wie es hier ist, haben wir das überprüft – und es ist in der Tat so, dass das ein Fall ist, der berechtigterweise Anspruch stellt."

Ein Beitrag von Stephan Willert für hr2-kultur


http://www.hr-online.de/website/rubriken/kultur/index.jsp?rubrik=5986&key=standard_document_52547851
© website copyright Central Registry 2024