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Was aber bleibt, sind Madonnen - What remains are Madonnas

1998
1970
1945
Frankfurter Allgemeine Zeitung 18 July 2014
Von Stefan Koldehoff

Drei Jahre lang lagen zwei Tondi in ihren prächtigen Rahmen im dunklen Tresorraum des Auktionshauses Van Ham im Kölner Süden. Sie standen im Zentrum eines Streits: Die ganze Geschichte zwischen Zuschreibung und Restitutionsanspruch.


Maria und Jesus, ein Engel und Johannes der Täufer von Sandro Botticelli und Werkstatt, geschätzt auf 250.000 bis 300.000 Euro

ei Jahre lang lagen die beiden Tondi in ihren prächtigen Rahmen im dunklen Tresorraum des Auktionshauses Van Ham im Kölner Süden. Gelegentlich nur kamen Experten, um sich die beiden Bilder anzusehen oder sie naturwissenschaftlichen Untersuchungen zu unterziehen. Nun endlich dürfen die beiden mehr als fünfhundert Jahre alten Holztafeln zurück ans Tageslicht. Wenn Van Ham nach der Sommerpause sein neues Gebäude an der Hitzelerstraße eröffnet, werden sie in der hellen Empfangshalle hängen - als Vorboten der Altmeisterauktion am 14. November.

Seit durchgesickert ist, dass die Rundbilder in Köln aufgerufen werden, steht das Telefon nicht still. Ausführliche Untersuchungen in den vergangenen Monaten haben nämlich ergeben, dass sich die Tondi zwei der wichtigsten Werkstätten der Renaissance zuschreiben lassen: das eine mit Maria und Jesus, einem Engel und Johannes dem Täufer der von Sandro Botticelli und das andere mit Maria und Jesus und den Heiligen Franziskus und Hieronymus der von Filippino Lippi. Maßgebliche Experten wie Keith Christiansen vom Metropolitan Museum of Art in New York, sein Vorgänger Everett Fahy, der heute für Christie’s arbeitet, und der Leipziger Renaissance-Experte Frank Zöllner haben die Zuschreibungen an die Maler und ihre Werkstätten bestätigt. Die Materialanalysen ergaben zudem die Verwendung von etwa einer Anhydrit-Gips-Grundierung und Pigmenten, die Ende des 15. Jahrhunderts in Italien und konkret in der Toskana üblich waren. Das Holz der Bildträger stammt laut dendrochronologischen Untersuchungen ebenfalls aus dieser Zeit.

Lempertz versteigerte die Bilder 1943

Alle Probleme waren mit diesen kunsthistorischen und -technologischen Expertisen allerdings keineswegs gelöst. Beide Bilder nämlich haben eine Restitutionsgeschichte, die Van-Ham-Inhaber Markus Eisenbeis in den vergangenen drei Jahren mit viel Geduld und externer Unterstützung durch den Rechercheur Nicholas Randall untersuchen ließ und für die er in langwierigen Verhandlungen mit den aktuellen Besitzern eine Lösung finden musste. Im Jahr 1943 nämlich waren beide Bilder schon einmal in Köln versteigert worden - im Auktionshaus Lempertz am Neumarkt. Die Auktion 420 vom 2. und 3. Juni 1943 zählte zu einer ganzen Reihe von Versteigerungen, bei denen auch Kunst aus ehemals jüdischem Besitz unter den Hammer kam - häufig ohne Zustimmung und Wissen ihrer ehemaligen Besitzer. Am 2. Juni 1943 wurden auch die beiden Werke aufgerufen, die nun erneut den Besitzer wechseln sollen: Losnummer 7, damals als „Schule Sandro Botticelli“ und Losnummer 40, damals als „Filippino Lippi zugeschrieben“. Käufer war der Pharmaunternehmer B. aus dem Siegerland mit Wohnsitz in Köln.


Maria und Jesus mit den Heiligen Franziskus und Hieronymus von Filippino Lippi und Werkstatt, geschätzt auf 30.000 bis 50.000 Euro

Die Geschichte der beiden Werke konnte er kaum kennen: Einlieferer war eine Bank, die im Lempertz-Katalog nur mit den Buchstaben „La“ abgekürzt wurde. Der Katalog wies auch nicht darauf hin, dass sich beide Bilder ursprünglich in jüdischem Besitz befunden hatten. Sie stammten aus der Sammlung des Kunsthändlers Leonardus Salomon, der sich 1911 in „Léo Nardus“ umbenannt hatte. Als er sich 1921 entschloss, nach Tunesien zu ziehen, vertraute der Dreiundfünfzigjährige seine Kunstsammlung, um sie vor dem Klima Nordafrikas zu schützen, dem befreundeten Sammer Arnold van Buuren an.

Sieben Jahre später vereinbarten beide gemeinsames Eigentum an den Werken und das Recht, dass beide davon verkaufen durften und die Erlöse geteilt wurden. Im September 1940, vier Monate nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande, verlangten die deutschen Besatzer von van Buuren eine Aufstellung seines Besitzes - sein Vater war Jude. Aus der Liste mit dem Titel „Kollektion van Buuren/Nardus“ geht hervor, dass sich die beiden Madonnenbilder zu diesem Zeitpunkt noch in Van Buurens Haus in Haarlem befanden. Bald darauf allerdings wurden sie und Dutzende weiterer Bilder durch die „Deutsche Revisions- und Treuhand A. G.“ als „feindliches Vermögen“ konfisziert und an die Bank Lippmann, Rosenthal & Co. (LiRo) überstellt. Die Bank mit dem jüdisch klingenden Namen hatten die Nationalsozialisten in der Amsterdamer Sarphatistraat eigens gegründet, um das Vermögen geplünderter jüdischer Familien und Unternehmen in den Niederlanden zu Geld zu machen.

Enteignung jüdischen Besitzes im Zweiten Weltkrieg

Arnold van Buuren und seine Frau Juliette Polak wurden deportiert und am 23. April 1943 im Konzentrationslager Sobibor ermordet. Sechs Wochen später versteigerte das Auktionshaus Lempertz in Köln die Botticelli und Lippi zugeschriebenen Tondi aus ihrem Besitz. Nach Recherchen, die der Historiker Gerard Aalders in seinem Buch „Geraubt! Die Enteignung jüdischen Besitzes im Zweiten Weltkrieg“ veröffentlicht hat, gehörte das deutsche Unternehmen zu den Hauptverwertern von jüdischem Eigentum, das die Deutschen in den Niederlanden beschlagnahmt hatten. Die Abrechnung zwischen Lempertz und der LiRo-Bank vom 21. Juni 1943 belegt, dass Losnummer 7 für 19 000 und Losnummer 40 für 16 000 Reichsmark zugeschlagen wurden. Am selben Tag überwies Lempertz mit Verrechungsscheck 1030478 einen Gesamterlös von 271 539,06 Reichsmark für die 39 von der Bank eingelieferten Werke auf ein LiRo-Konto beim Kölner Bankhaus I. R. Stein. Die Abrechung wurde „Mit deutschem Gruss!“ unterzeichnet. Noch bis vor wenigen Jahren hingen die beiden Tondi in der Villa des rheinischen Unternehmers, der sie damals erwarb. Als er 1957 starb, gingen Unternehmen und Kunstsammlung zunächst an seine Tochter und den Schwiegersohn, nach deren Tod dann an die Enkel über. Ein Beirat und ein Nachlassverwalter wachen seither über die Zukunft der Firma und ihres Besitzes.

Stilistisch weist das Botticelli-Bild in Komposition und Ausführung große Ähnlichkeit mit anderen Werken des Renaissance-Meisters und seiner Gehilfen auf. Die Untersuchungen ergaben, dass das Mariengesicht mit Hilfe einer Lochpause aus Pergament auf die Grundierung übertragen wurde. Der restliche Körper wurde wie die Begleitfiguren frei gezeichnet. In seinem stilistischen Gutachten geht Gaudenz Freuler, Titularprofessor für Kunstgeschichte an der Universität Zürich, davon aus, dass mehrere Personen aus Botticellis Werkstatt beteiligt waren und die Nebenfiguren sogar von ihm selbst gemalt sein könnten. Für das zweite Bild lassen sich solch klare Aussagen nicht treffen, die Tafel wurde im Lauf der Jahrunderte mehrfach stark gereinigt, retuschiert und verputzt. Die aufwendigen Untersuchungen waren auch deshalb sinnvoll, weil der amerikanische Milliardär Peter A. B. Widener Léo Nardus zwischen 1904 und 1909 den Verkauf mehreren Fälschungen vorgeworfen hatte.

Nach dem Krieg teilten die Erben van Buuren und Nardus die verbliebene Sammlung und die Rechte an etwaigen Restitutionen unter sich auf. Nardus, der erst 1955 in Tunesien starb, beauftragte seine Tochter Flory mit der Suche nach seinen Bildern. Sie schloss dafür ein Abkommen mit einem Pariser Bankier, der die Recherchen finanzierte und dafür am Erlös beteiligt wurde. 2007 restituierte der niederländische Staat zwei Renaissance-Porträts an die Familie. Worauf sich die Nardus-Erben mit denen des Ersteigerers von 1943 im Hinblick auf die Tondi geeinigt haben, wird offiziell nicht mitgeteilt. „Seitens der Erben von Léo Nardus werden keinerlei Ansprüche hinsichtlich dieser beiden Werke geltend gemacht“, teilt Van Ham nur mit. Das Botticelli-Bild wird im November für moderate 250 000 bis 300 000 Euro aufgerufen, der Lippi-Tondo wegen seines schlechten Erhaltungszustands für 30 000 bis 50 000 Euro.

 

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