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Lebensläufe der Beraubten - Lives of the Dispossessed

1998
1970
1945
Handelsblatt 20 October 2014
Von Lucas Elmenhorst

Unter welchen Umständen wurde jüdischen Sammlern in der NS-Zeit ihre Kunst weggenommen? Woran scheiterten ihre Bemühungen um Rückgabe nach dem Krieg? Melissa Müller und Monika Tatzkow beleuchten 15 beispielhafte Schicksale.


Ausschnitt aus dem Cover des Buches "Verlorene Bilder Verlorene Leben" von Melissa Müller und Monika Tatzkow.

Cornelius Gurlitt ist längst zum Thema für gesellschaftlichen Small Talk geworden. Fast 70 Jahre nach Kriegsende hat die Sammlung Gurlitt eine überfällige, jahrzehntelang vernachlässigte Diskussion über NS-Raubkunst und den Umgang mit ihr ins Rollen gebracht. Das überrascht. Denn dass Juden im NS-Staat systematisch drangsaliert und rücksichtslos um ihren Besitz gebracht wurden, ist nie ein Geheimnis gewesen. Es hat nur die längste Zeit weder die Öffentlichkeit noch Politiker oder Feuilletons interessiert.

Die fortgesetzten vielfältigen Demütigungen, denen Juden im „Dritten Reich“ ausgesetzt waren und die mit dessen Ende mitnichten aufhörten, sondern sich im Rahmen der so genannten Wiedergutmachungsverfahren im Deutschland der Nachkriegszeit fortsetzten, wird wohl kaum jemand nachvollziehen können, der ihnen nicht selbst ausgesetzt war.

Kunsthändler und Versteigerer profitierten

Überzeugend vermitteln die 15 von Melissa Müller und Monika Tatzkow, Gunnar Schnabel, Thomas Blubacher und Pieter den Hollander beschriebenen beispielhaften Schicksale jüdischer Sammler und ihrer Familien eine beklemmende Ahnung hiervon. Schätzungsweise 600.000 Kunstwerke aus jüdischen Sammlungen raubten die Nationalsozialisten. Von diesem „größten Kunstraub aller Zeiten“ profitierten vor allem Kunsthändler und Auktionshäuser, die von den Nationalsozialisten mit der „Überleitung des in jüdischem Besitz befindlichen Kunst- und Kulturguts in arischen Besitz“ beauftragt waren.

Für die Neuauflage ergänzten die Autorinnen das 2009 erstmals erschienene Werk daher um einen sehr instruktiven Überblick über den internationalen Kunsthandel seit 1933, ein unrühmliches Kapitel, das eine eigene Abhandlung wert wäre.

Blockade durch Ausfuhrverbot


Amerikanische Museumsbesucher vor dem frisch restitutierten Bildnis "Adele Bloch-Bauer I" (1907) von Gustav Klimt.

Die Restitution von Ernst Ludwigs Kirchners „Berliner Straßenszene“ aus dem Berliner Brücke-Museum an die Erben von Alfred Hess ebenso wie die der fünf Gemälde von Gustav Klimt aus dem Wiener Belvedere an die Erben von Adele und Ferdinand Bloch-Bauer lösten in der Öffentlichkeit meist nur Bedauern über den Verlust unersetzlicher Museumsstücke aus. Wie absurd die in diesem Zusammenhang wiederholt geäußerte Forderung nach einem Schlussstrich ist, wird beim Lesen der Einzelschicksale deutlich, die Müller und Tatzkow stellvertretend für Hunderte von anderen Sammlerfamilien für dieses Buch vorbildlich recherchiert und minutiös aufbereitet haben. Leider verzichtet der Band weitgehend auf Fußnoten und Nachweise, was ihn damit für die weitere Forschung nur bedingt verwendbar macht.

Vergebliche Bemühung um Rückgabe

Das Buch ist auch angesichts der Fluchtumstände der Familien mit bemerkenswert vielen zeitgenössischen Fotografien opulent bebildert. Es vermittelt ohne jeden pathetischen Ton einen plastischen Eindruck von der großartigen privaten, jüdischen Sammlerkultur im deutschsprachigen Raum, die die Nationalsozialisten unwiederbringlich vernichteten.

Eindringlich beschreiben die Autoren, auf welche anhaltenden Widerstände diese Sammler nach dem Krieg – und teils bis heute – stießen, als sie sich bei den Museen und Behörden meist vergeblich um die Rückgabe ihrer entzogenen Kunstwerke bemühten. Insbesondere Österreich versuchte wiederholt, Restitutionen zu blockieren, indem es die zu restituierenden Kunstwerke schlicht mit einem Ausfuhrverbot belegte.

Unschärfen der Darstellung

So beeindruckend die Rechercheleistung der Autoren ist, so irritierend sind indes die Unschärfen bei der Darstellung der Familie Hess. Bekanntermaßen erwarb der Frankfurter Sammler Carl Hagemann, ein Freund und Förderer Ernst Ludwig Kirchners, dessen „Berliner Straßenszene“ 1936/1937 über den Kölner Kunstverein von der Familie Hess. Dass die Höhe des Kaufpreises bis heute ungeklärt ist, ist korrekt. Allerdings schrieb Hagemann dazu in einem Brief an Kirchner: „Freilich ist der Preis sehr hoch“, was darauf schließen lassen könnte, dass der Preis damit über dem damaligen Verkehrswert lag. Warum verschweigen dies Schnabel und Tatzkow? Auch erwähnen sie pikanterweise nicht, dass die Familie Hess zuvor bereits vergeblich Kirchners Schlüsselwerk „Potsdamer Platz“, das wichtigste und wertvollste Stück aus der Sammlung Hess, vonder Berliner Nationalgalerie zurückverlangt hatte. Dies scheiterte allerdings daran, dass ein Foto das Werk schon 1931 in der Wohnung des neuen Eigentümers, des Krefelder Sammlers Hermann Lange, zeigte und damit einen NS-verfolgungsbedingten Entzug klar und eindeutig widerlegen konnte.

Dennoch bleibt das große, unbestreitbare Verdienst dieses Buches, aus der eindrucksvollen Menge dieser heute weitgehend vergessenen jüdischen Sammlerfamilien einige von ihnen stellvertretend wieder in die öffentliche Erinnerung geholt zu haben. Die aktuellen Diskussionen um die Rückgabeforderungen der Erben der Familien Goudstikker, Cassirer oder Lissitzky-Küppers erscheinen nach der Lektüre dieses Buches zwangsläufig in einem anderen Licht.

Lucas Elmenhorst ist Rechtsanwalt und Kunsthistoriker bei dtb rechtsanwälte in Berlin

 

http://www.handelsblatt.com/panorama/kunstmarkt/juedische-sammler-lebenslaeufe-der-beraubten/10861942.html
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