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Die Papageien sind unbedenklich - The Parrots Are Unproblematic

1998
1970
1945
Kreiszeitung 22 October 2014
Von Johannes Bruggaier

Auf der Vorderseite ist ein Gemälde immer noch am Spannendsten. Wer es umdreht, blickt meist nur auf braunen Karton, hier und da ein Klebezettelchen, Bleistiftgekrakel oder Stempelaufdrucke. Seit einiger Zeit jedoch erfährt die so lange verschmähte Rückansicht der Museumsstücke eine ungeahnte Würdigung.


Auch hübsch: Rückseite eines Bildes von Karl Peter Burnitz.

Los ging es mit der sogenannten „Washingtoner Erklärung“, einem 1998 getroffenen Abkommen, in dem sich 44 Staaten dazu verpflichteten, in ihren Museumsdepots nach Raubkunst der NS-Zeit zu fahnden. Plötzlich gewannen die bislang eher unbedeutend anmutenden Bleistiftnotizen, die Zettelchen und Stempelchen auf den Bildrücken an Bedeutung, waren es doch vor allem sie, die Aufschluss über bisherige Besitzer des Objekts geben konnten.

Vor einem Jahr dann wurde bekannt, dass ein Münchener Kunsterbe seit Kriegsende Tausende Kunstwerke in seiner Privatwohnung gebunkert hatte, viele davon mit ungewisser Provenienz. Zusätzlich befeuert von Hollywood und einem Blockbuster zum Thema Raubkunst („Monuments Men“), erregte die Frage nach der Herkunft eines Bildes das Publikum bald mehr als das Bild selbst.

Die Kunsthalle Bremen zeigt nun auch die Rückseite mancher Bilder, inklusive Bleistiftvermerke und Stempelzeichen. Es geht in dieser Ausstellung um „drei Bremer Sammler und die Wege ihrer Bilder im Nationalsozialismus“. Die Schau ist so etwas wie ein Zwischenbericht zur Bremer Umsetzung des Abkommens von Washington. Ihre Motivation wurzelt vor allem im Bemühen um einen transparenten Umgang mit der heiklen Provenienzfrage. Und Transparenz bedeutet nicht allein einen Blick hinters Bild, sondern auch eine Dokumentation von Familienverhältnissen.

Max Liebermanns „Papageienallee“ aus dem Jahr 1902 etwa, eines der wohl bedeutendsten Stücke der Bremer Kunsthalle, war einst im Besitz des jüdischen Kunstsammlers Eduard Arnhold in Berlin, der es später seiner Tochter Elisabeth vermachte. 1942 verkaufte diese das Werk an den Bremer Sammler Heinrich Glosemeyer: ein Deal, bei dem sich bereits die Kunsthalle das Vorrecht auf einen späteren Ankauf sicherte.

Die Tochter eines jüdischen Sammlers verkauft im Jahr 1942 ein Bild? Diese Konstellation schien überaus verdächtig, zu befürchten war, dass Arnholds Tochter Elisabeth unter Druck gesetzt worden war. Bei der Recherche jedoch, erklärt Provenienzforscherin Brigitte Reuter, habe sich herausgestellt, dass Elisabeth nicht leibliche Tochter des Ehepaars Arnold war, sondern ein christliches Adoptivkind. Reuter nimmt das als Beweis: erstens für die Unbedenklichkeit des damaligen Verkaufs und zweitens für eine Grundproblematik der Washingtoner Erklärung. Denn ließe sich die Adoptivgeschichte heute nicht mehr nachvollziehen, stünde Liebermanns „Papageienallee“ nun zu Unrecht unter Raubkunstverdacht.

Doch reicht die nichtjüdische Identität der Erbin wirklich aus, um die Herkunft eines Werkes als unbedenklich zu deklarieren? Könnte Elisabeth nicht auch ihre Adoptivverwandtschaft zum Verhängnis geworden sein?

In der Tat, sagt Reuter, seien zahlreiche weitere Indizien notwendig, im Fall des Liebermann-Bildes etwa ein Parteiverfahren der NSDAP gegen Elisabeths Mann Carl Clewing. Der gegen ihn erhobene Vorwurf „nichtarischer Versippung“ zeige einerseits, dass tatsächlich auch schon eine Adoptivkindheit relevant sein konnte. Andererseits belegten die Dokumente des Verfahrens ebenso deutlich, dass dem Ehepaar Clewing trotz „Versippung“ nicht der private Kunstbesitz streitig gemacht werden sollte.

Es ist ein langer Weg zu gehen, bis ein Werk das Etikett „Erwerbsgeschichtlich unbedenklich“ erhalten kann. Und wie der Fall Liebermann beweist, ist es nicht immer in erster Linie die kunsthistorische Kompetenz, die zu seinem Ziel führt.

Diese ist schon stärker im Fall des Kunstsammlers Arnold Blome gefordert, dessen Biografie bemerkenswert anmutet, weil sich in ihr das Künstler- mit dem Sammlerleben vereint und dieses Leben einerseits im Widerspruch zum Nationalsozialismus steht, sich andererseits mit diesem arrangieren muss. Um der wegen angeblicher Bevorzugung „undeutscher Kunst“ angedrohten Verstaatlichung des Hauses zu entgehen, musste die Kunsthalle vom Erwerb zeitgenössischer Werke Abstand nehmen und konzentrierte sich fortan auf Kunst des 19. Jahrhunderts sowie deutschen wie italienischen Barock. Im Zuge einer solchen Sammlungserweiterung kaufte Blome 1939 bei einer Versteigerung von beschlagnahmten Werken zwölf Zeichnungen an, zwar im Auftrag der Bremer Kunsthalle, allerdings ohne Abnahmegarantie für die ersteigerten Blätter. Die allermeisten Objekte seiner eigenen Sammlung hatte Blome dagegen aus den Händen von Künstlerkollegen erhalten: ein Grund für die weitgehende Unbedenklichkeit seiner später der Kunsthalle vermachten Bilder.
Es ist der Ausstellung ein redliches Bemühen um Transparenz zu bescheinigen, eine schlüssige historische Einordnung und auch ein klares Bekenntnis zum Nichtwissen bei jenen Bildern, deren Herkunft noch nicht einwandfrei entschlüsselt werden konnte. Beispielhaft an einem Bild mit dem Titel „Zwei Mädchen“ des Impressionisten Fritz von Uhde werden die Schwierigkeiten dieser Recherche eindrucksvoll veranschaulicht – angefangen bei fehlender Überlieferung von Bildmaßen des Originals über unvermittelte Titeländerungen bis hin zu einer 30 Jahre währenden Phase ohne jegliche Informationen über den Verbleib des Werks. Und doch bleibt dem Betrachter letztlich nur sein Vertrauen in die Stichhaltigkeit der Beweisführung: etwa, dass das Verfahren gegen den Ehemann der „Papageienallee“-Besitzerin tatsächlich unmissverständlich eine Verschonung des Kunstbesitzes ergeben hat.
Lohnenswert ist der Ausstellungbesuch aber auch ohne Spurensuche auf Bildrückseiten. Denn was provenienztechnisch unbedenklich scheint – Max Liebermanns „Papageienallee“, Erich Heckels „Haus in Dangast“ oder Jan Fyts „Jagdstillleben“ –, das ist eines ganz gewiss: großartige Kunst.

Bis 4. Januar in der Kunsthalle Bremen. Öffnungszeiten: Di. 10-21 Uhr, Mi.-So. 10-17 Uhr.

 

http://www.kreiszeitung.de/kultur/kunsthalle-bremen-durchsucht-depot-nach-moeglicher-ns-raubkunst-laesst-oeffentlichkeit-daran-teilhab-4194673.html#
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