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Vorbesitzer gesucht - Previous Owners Sought

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Bayernkurier 31 October 2014
von Florian Christner

Detektivarbeit: Das Bayerische Nationalmuseum hat die Herkunft von 72 Skulpturen aus der Sammlung Hermann Göring erforscht

München - Anders als vielleicht der spektakuläre Bilderfund bei dem inzwischen verstorbenen NS-Kunsthändler-Sohn Cornelius Gurlitt vermuten lässt, erforschen staatliche Museen schon lange die Herkunft von Kunstwerken, die von den Nationalsozialisten geraubt worden sein könnten. Das Bayerische Nationalmuseum in München zum Beispiel ließ in den vergangenen zwei Jahren die Geschichte von 72 Skulpturen aufarbeiten, die einst der NS-Politiker Hermann Göring zusammengerafft hatte. Die Ergebnisse präsentiert das Museum nun öffentlich im Internet und in einer kleinen Ausstellung.

Skulpturen aus der Sammlung Hermann Göring. Sie sind derzeit im Bayerischen Nationalmuseum zu sehen.Bild: Bayerisches Nationalmuseum / fkn

Der Münchner Kunsthändler Walter Bornheim wird sich gefreut haben: Zum 12. Januar 1941 ging der „Stehende Ritter“ als Geschenk der Stadt Berlin an Hermann Göring. Die 1,20 Meter hohe Lindenholz-Skulptur aus Österreich, datiert auf die Zeit um 1520, war vorher im Besitz Bornheims. Dieser kassierte dafür satte 38000 Reichsmark von der Stadt Berlin.

Nur: Woher Bornheim die Skulptur hatte, ist bis heute unklar. Sie gehörte einst wohl dem Berliner Kunstsammler Adolph Thiem, der später nach San Remo übersiedelte. Thiem starb 1923. Wie, wann und über welche Zwischenstationen der „Stehende Ritter“ aus der Sammlung Thiem letztendlich zu Bornheim gelangte, bleibt im Dunklen. Über die Kunsthandlung Julius Böhler in München? Über einen Kölner Kunsthändler namens Ludwig Hart? Das Bayerische Nationalmuseum weiß es nicht.

An diesem Beispiel zeigt sich das Problem der Provenienzforschung, wie die Erforschung der Herkunft von Kunstwerken im Fachjargon heißt. In vielen Fällen fehlen einfach die schriftlichen Quellen, die einen lückenlosen Nachweis möglich machen würden, woher ein Kunstwerk kommt. Speziell bei NS-Raubkunst ist das schwierig. Denn die Nazi-Sammler hatten sicher kein Interesse daran, die Vorbesitzer ihrer geraubten Kunstwerke sauber zu dokumentieren. Und wenn es doch Informationen gab, gingen diese in den Wirren der letzten Kriegstage oft verloren.

Hermann Göring hatte in der NS-Zeit eine selbst nach heutigen Maßstäben enorme Kunstsammlung angehäuft. An die Kunstwerke war er durch Kauf, Raub, Nötigung, Erpressung oder Beschlagnahmung gekommen - oder er ließ sie sich zu bestimmten Anlässen von Spendern schenken, die um seine Gunst buhlten. Viele dieser Kunstwerke ließ Göring kurz vor Kriegsende in bewachten Güterzügen und Lastwagen nach Süden transportieren, ehe sie von den Amerikanern bei Berchtesgaden beschlagnahmt wurden, teils versteckt in einem Bunker, teils noch in Güterwagen gelagert.

Die US-Army sammelte die Werke im „Central Collecting Point“ in München. Dort wurden die Bestände mit Hilfe deutscher Experten (die teils vorher in Diensten Görings gestanden hatten) gesichtet. In den folgenden Jahren wurde die Mehrzahl der Werke ihren alten Eigentümern zurückgegeben, oder sie gingen zurück in ihre Herkunftsländer. Hauptsächlich waren dies Frankreich, Italien und die Niederlande.

Bei einem immer noch erheblichen Teil der Kunstwerke ließ sich jedoch kein Eigentümer mehr feststellen. Diese übergaben die Amerikaner 1949 dem Bayerischen Ministerpräsidenten. Später verhandelten die Bundesrepublik Deutschland und der Freistaat über die Zuständigkeiten für diese Werke. 1961 einigten sich Bund und Freistaat, sie teilten den Bestand untereinander auf. Der Freistaat übergab seinen Teil anschließend an verschiedene staatliche Museen. Das Bayerische Nationalmuseum erhielt vor allem Skulpturen, Tapisserien und andere Textilien sowie Goldschmiedekunst aus der Sammlung Hermann Göring - insgesamt über 400 Gegenstände, über deren Herkunft es nur sehr spärliche Informationen gab.

So erwartete die Wissenschaftlerin Ilse von zur Mühlen, Mitarbeitern des Bayerischen Nationalmuseums für das Forschungsprojekt zur Sammlung Hermann Göring, eine wahre Sisyphos-Arbeit, als sie sich daran machte, die Herkunft der 72 Skulpturen aus dieser Sammlung zu erforschen. Sie durchforstete die teils sehr lückenhaften Inventare auf der Suche nach Hinweisen, die vielleicht in den Wirren der Nachkriegszeit übersehen wurden, fahndete nach verschollenen Katalogen, suchte Rechnungen, setzte sich mit der Geschichte verschiedener Kunsthändler auseinander, oder sie blätterte alte Auktionskataloge durch, ob dort eine der Skulpturen zufälligerweise abgebildet ist.

Das Ergebnis ist ernüchternd: In nur drei von 72 Fällen konnte Ilse von zur Mühlen einen NS-verfolgungsbedingten Entzug ausschließen. Bei etwa 50 Werken konnte sie trotz zahlreicher neuer Erkenntnisse die Vorbesitzer zwischen 1933 und 1945 nicht lückenlos ermitteln. Und in 15 Fällen gibt es Indizien dafür, dass die Werke auf verbrecherische Weise ihren Besitzer wechselten, was aber noch näher überprüft werden muss. „Manche Angaben der Amerikaner zur Herkunft der Kunstwerke haben sich als komplett falsch herausgestellt. Dort musste ich völlig von vorne anfangen“, berichtet die Wissenschaftlerin.

Auch wenn die Forschungsarbeit nicht die Ergebnisse gebracht hat, die sich das Bayerische Nationalmuseum vielleicht erhofft hat, einen wichtigen Beitrag zur Provenienzforschung wurde in jedem Falle geleistet - ganz unabhängig vom Fall Gurlitt, der in der Politik und in den Medien für viel Wirbel gesorgt hatte. Einen Vorteil bringen Gurlitts Bilder für die Provenienzforschung aber doch: Aufgeschreckt durch diesen Fall, sind Politik und private Spender eher bereit, Geld für bestimmte Forschungsvorhaben bereitzustellen. „Wir können mehr Druck ausüben bei der Finanzierung unserer Projekte“, sagt Renate Eikelmann, Generaldirektorin des Bayerischen Nationalmuseums. Auch sie profitiert von diesem Trend: Als nächstes sollen die Goldschmiedearbeiten aus der Sammlung Göring untersucht werden. Das sind zwei weitere Jahre Arbeit für Ilse von zur Mühlen.

http://http://www.bayerisches-nationalmuseum.de

http://www.bayernkurier.de/zeitung/artikel/ansicht/14631-vorbesitzer-gesucht.html
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