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Wir geben nichts! - We give nothing!

1998
1970
1945
Die Zeit 27 November 2014
von Hanno Rauterberg

Die Kulturpolitik hat aus dem Fall Gurlitt gelernt. Viele Museen aber zeigen sich weiter ignorant und hartherzig.

Gurlitt-Erbe: Wir geben nichts!

Das Gemälde "Reiter am Strand" von Max Liebermann gehörte zu den Werken, die bei Cornelius Gurlitt gefunden wurden.  |  Photo Courtesy Lost Art Koordinierungsstelle Magdeburg via Getty Images

Wohl niemand sonst hat sich in jüngster Zeit so viel anhören, so viel andichten, so viel gefallen lassen müssen wie Cornelius Gurlitt. Erst wurde er hingestellt als der hinterlistige Greis, treu wachend über einen zusammengeraubten Nazischatz. Dann sah man ihn in der Rolle des Opfers, gedemütigt von staatsanwaltlicher Willkür. Schließlich hieß es, er, der Sohn eines Kunsthändlers des NS-Regimes, sei schlichtweg verrückt und unzurechnungsfähig gewesen. Nun aber, ein halbes Jahr nach seinem Tod, kann man nicht anders, als ihn vor allem als Gewährsmann zu begreifen, als ein erstaunliches Vorbild.

Nach anfänglichem Zögern tat Gurlitt, was bislang so gut wie niemand getan hatte: Er nahm sein Erbe an. Er erklärte sich als Privatmann bereit, seine über 1.500 Grafiken und Gemälde eingehend untersuchen zu lassen. Und alles, was davon einst jüdischen Sammlern geraubt worden war, an die Besitzer und ihre Nachfahren zurückzugeben. Damit erkannte Gurlitt an, wie sehr seine Familie in viele Untaten verstrickt war. Zugleich aber nahm er damit auch den deutschen Staat in die Pflicht, sein Vermächtnis ernst zu nehmen – und endlich zu begreifen, dass der Raub von Bildern und Skulpturen eben kein Kavaliersdelikt war. Es war ein systematisch geplantes Kriegsverbrechen, es trug dazu bei, das jüdische Leben in Deutschland zu vernichten. Ein infames Erbe.

Die gute Nachricht: Der deutsche Staat hat es angenommen. Und er wird es sich, das wurde an diesem Montag auf einer Pressekonferenz in Berlin eindrücklich klar, einiges kosten lassen. Er wird viel Arbeit, viel Geld, auch viel diplomatisches Geschick aufwenden, um sich endlich, Jahrzehnte zu spät, um jene Gemälde und Skulpturen zu kümmern, die manche nicht zu Unrecht als die "letzten Gefangenen des Krieges" bezeichnen.

Würde man nur die juristische Seite betrachten, hätten die Deutschen mit dem Gurlitt-Nachlass nichts mehr zu schaffen. Der Sammler hatte testamentarisch verfügt, dass alle seine Werke an das Kunstmuseum in Bern gehen sollten, auch jene, deren Rückgabe noch aussteht. Da der Stiftungsrat des Museums am Wochenende entschied, die Hinterlassenschaft in seine Sammlung aufzunehmen, sind nun die Schweizer auch für alles Weitere verantwortlich, für alle Forschungs- und Gerechtigkeitsfragen.

So einfach aber wollte es sich Monika Grütters nicht machen. Die Bundeskulturbeauftragte will in Absprache mit den Bernern weiterhin an der Vereinbarung festhalten, die ihr Amt mit Gurlitt geschlossen hatte. Und sie tut das nicht zuletzt deshalb, das war ihr auf der Pressekonferenz anzumerken, weil sie sehr wohl weiß, wie viel sie dem Sammler zu verdanken hat. Ohne Gurlitt wäre in Deutschland nie so groß und breit über den Bilderklau der Nazis diskutiert worden. Ohne ihn gäbe es kein Zentrum für Kulturgutverluste, das demnächst in Magdeburg seine Arbeit beginnt. Ohne ihn hätte der bayerische Justizminister Winfried Bausback nie ein neues Gesetz auf den Weg gebracht, dass es den Opfern und ihren Nachfahren künftig erleichtern soll, ihren entwendeten Besitz zurückzuerlangen. Und ohne Gurlitt hätte auch Grütters kaum zu der Entschiedenheit und ja, auch zu der Demut gefunden, mit der sie nun den Raubkunstfragen nachgeht.

Ungeduldig und unduldsam verlangt sie, dass die bislang noch träge agierende Taskforce "Schwabinger Kunstfund" künftig für alle rund 500 raubkunstverdächtigen Werke aus dem Gurlitt-Nachlass einmal im Jahr nachweist, wie weit die Forschungen gediehen sind oder ob sie abgeschlossen wurden. Grütters will zudem sämtliche Geschäfts- und Briefunterlagen ins Netz stellen, damit es den Nachfahren künftig leichter fällt, etwaige Bilder ihrer Eltern ausfindig zu machen. Sie will aktiv nach möglichen Erben suchen, und falls sich keine finden, möchte sie die betreffenden Kunstwerke öffentlich ausstellen, um auf diesem Wege den ursprünglichen Besitzer zu ermitteln. Und sie erklärt sich bereit, alle Rückgabeforderungen großzügig zu bewerten: Anders als bislang üblich, müssen die Nachkommen nicht eindeutig nachweisen, dass ein Gemälde ihrer Familie gehörte. Nun muss es nurmehr höchstwahrscheinlich so gewesen sein, um ein Kunstwerk wiederzubekommen. Kurzum, Monika Grütters will endlich großzügig und weitherzig handeln. Und das ist neu.

Immer noch wollen zwei Drittel der Museen nichts von Raubkunst wissen

Man schaue sich nur an, wie verdruckst, wie verstohlen sich die deutschen Museen über all die Jahrzehnte verhielten. Seit 1998 sind die öffentlichen Kunstsammlungen dank einer bindenden Erklärung dringend aufgefordert, ihre Bestände zu sichten und alles Geraubte zurückzugeben. Was aber taten die Museen? Im Zweifel taten sie nichts. Noch heute, so musste Grütters kürzlich feststellen, haben 60 Prozent von ihnen nicht einmal damit begonnen, ihre Depots zu sichten und nach unlauterer Provenienz zu befragen. An ihren Eingangstüren hängt ein unsichtbares und zugleich unübersehbares Schild, darauf steht in großen Lettern: Wir geben nichts!

Dabei sind es gerade die Museen, die sich bei jeder Gelegenheit dafür rühmen, dass hier, in ihren Hallen, der Mensch sein historisches Bewusstsein schule. Nur zu gern preisen sie sich als Hort der Aufklärung, hier könne man Umsicht und Mitgefühl lernen. Im Angesicht der Kunst werde der geistige Horizont geweitet. Doch all das, so zeigt sich jetzt in beschämender Deutlichkeit, sind nichts als hohle Floskeln.

Die meisten Museen haben sich als kaltherzig und ignorant erwiesen. Dass sie einen gewichtigen Teil der deutschen Schuld beherbergten, schien vielen Museumsdirektoren unerheblich. Sie mussten erst von der Politik gedrängt, müssen jetzt von Monika Grütters abermals vorgeführt werden, um sich der eigenen Geschichte zu besinnen. Dringend sollten sie dem Gurlitt-Beispiel folgen und sämtliche An- und Verkäufe der Kriegs- und Nachkriegsjahre im Netz öffentlich machen.

Dann würde sich nicht nur zeigen, wie sehr viele Museen von den NS-Verbrechen profitierten. Es wäre auch zu besichtigen, dass etliche Sammlungen sich auf gewisse Weise kannibalisierten. Im "Dritten Reich" waren rund 20.000 Kunstwerke von 1.400 Künstlern aus über 100 Museen entfernt worden, nicht selten mit dem Einverständnis der zuständigen Direktoren. Die Bilder wurden verkauft, nach dem Krieg auch wiederum an etliche deutsche Museen, doch oftmals nicht an jene, denen die Werke ursprünglich gehört hatten. Doch auch darüber schweigen viele Museen. Und als jetzt Jutta Limbach, ehemals Richterin am Bundesverfassungsgericht, anregte, über die Folgen dieser Enteignung noch einmal nachzudenken, wurde sie zumeist brüsk zurückgewiesen.

Limbach hatte vorgeschlagen, die "entarteten Kunstwerke" an die Ursprungssammlungen zurückzugeben, eine recht naive Idee, weil sich die Geschichte nicht sinnvoll zurückdrehen lässt. Aber auch dieses Beispiel zeigt, wie blind die Museen noch immer für ihre Geschichte sind. Sonst hätten sie längst offen debattiert, wie gerecht es eigentlich ist, dass wohlhabende Sammlungen in der Nachkriegszeit vom NS-Unrecht profitierten. Doch von Schuld und Unrecht will man nichts wissen. Lieber überlässt man es Politikern und Juristen, die wichtigen Fragen zu stellen.

Lange aber werden sich die Museen wohl nicht mehr wegducken können, auch in der Causa Gurlitt nicht. Denn einige Mitglieder der Familie wollen es nicht hinnehmen, dass die Erbschaft gen Schweiz verschwindet. Die Raubkunst sollte zurückgegeben werden, hingegen müssten alle Werke, die einst den Museen als "entartet" entzogen wurden, in Deutschland verbleiben, präsentiert in einem öffentlichen Haus, so die Forderung der Nachfahren. Sie wollen auf juristischem Wege das Vermächtnis anfechten, da Gurlitt nicht mehr testierfähig gewesen sei. Ein psychiatrisches Gutachten belege diesen Befund.

Sollten die Erben sich am Ende durchsetzen, wird nicht nur Grütters noch einmal gefordert sein. Vor allem müssten dann die Museen endlich offen darüber debattieren, wie sie mit diesem Erbe umgehen wollen, wer möglicherweise die Gurlitt-Sammlung ausstellen soll. Und ob es nicht an der Zeit ist, viel öfter als bisher die eigene Herkunftsgeschichte aus den Depots und Archiven ans Tageslicht der Schausäle zu holen.

http://www.zeit.de/2014/49/gurlitt-erbe-museen-gegen-raubkunst/seite-2
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