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«Ein gewissenloser Charmeur» - "An Unscrupulous Charmer"

1998
1970
1945
Der Bund 21 January 2015
Von Alexander Sury

Der Vater von Cornelius Gurlitt und seine Verstrickungen in das Nazi-Regime: Die britische Kunsthistorikerin Susan Ronald schrieb ein Buch über Hildebrand Gurlitt mit dem Titel «Hitler’s Art Thief».

Als sich Gurlitt 1933 als Kunsthändler selbstständig machte, sei er von einer Schweizer Privatperson finanziell unterstützt worden, sagt Susan Ronald. Bild: St. Martin’s Press/zvg   

«Es ist ein sehr teures Buch geworden. Ich habe fast 40'000 Kilometer zurückgelegt und während mehrerer Jahre Archive in den USA und in ganz Europa besucht.» Sie hat auch eine Sammlung von Raubkunst mit eigenen Augen gesehen und dabei geholfen, zwei von den Nazis gestohlene Bilder an die rechtmässigen Eigentümer zurückzugeben. Ein solcher Aufwand soll sich natürlich lohnen. Aber über den Inhalt des Buches reden, das tut sie nur ungern.

Susan Roland entschuldigt sich in London am Telefon zuerst einmal mit britischer Höflichkeit und bittet um Verständnis, dass sie sich nicht in die Karten blicken lasse. «90 Prozent des Inhalts meines Buches enthalten neue Informationen über Hildebrand Gurlitt, deshalb kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht allzu viel über die Ergebnisse meiner Forschungen verraten.»

Lange wollte sie auch aus Rücksicht auf die damals noch lebenden Kinder Gurlitts den Stoff als Roman erzählen, nach dem Schwabinger Kunstfund jedoch entschied sie sich für ein Sachbuch. Auf die Funde in München und Salzburg angesprochen, sagt sie nur: «Überrascht hat mich eigentlich nur, wie wenig entdeckt wurde.»

Das Erscheinungsdatum des Buches über den deutschen Kunsthändler, dessen Sammlung sein Sohn Cornelius dem Kunstmuseum Bern vererbt hat, war ursprünglich für Juni vorgesehen, jetzt ist die Publikation auf Ende Oktober verschoben worden. Die Anwälte des Verlags, sagt Ronald, prüften derzeit den Inhalt minutiös auf mögliche Klagen von im Buch erwähnten Personen und Institutionen.

Wer muss sich denn vor den Enthüllungen fürchten? Susan Ronald lacht am Telefon: «In den USA werden viele wütend auf mich sein, vor allem Leute aus der Museumswelt.» Und in der Schweiz? «Sagen wir es so», formuliert sie vorsichtig, «es gibt Institutionen und auch Stiftungen, die nicht erfreut sein werden.»

Die studierte Kunsthistorikerin Susan Ronald hat sich bislang nicht öffentlich zum Fall Gurlitt geäussert, obwohl sie offenbar über wertvolle Informationen verfügt. Als «exzellente Kennerin der Materie» bezeichnet sie der deutsche Rechtsanwalt und Raubkunst-Experte Markus Stötzel. Er vertritt unter anderem die Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim und hat dazu von Susan Roland «sehr hilfreiche Informationen» erhalten.

Bilderkauf, ohne zu bezahlen

Stötzel ist nicht zufrieden mit der «bürokratischen Umsetzung» der vom Kunstmuseum Bern, dem bayrischen Staat und dem Bund getroffenen Vereinbarung. Eine Anfrage von ihm, mit der er Einblick in die Geschäftskorrespondenzen von Gurlitt verlangte, wurde vom Staatsministerium für Kultur in Berlin mit einem Standardbrief beantwortet.

Unter Hinweis auf Persönlichkeitsrechte und Datenschutz wurde ihm beschieden, der Zeitpunkt sei offen, wann bestimmte Materialien veröffentlicht würden: «Mich stört, dass in der Geschäftskorrespondenz von Gurlitt aus den Jahren 1937–1944 bis heute die Verkäufer mit Klarnamen sichtbar sind, die Käufer aber eingeschwärzt bleiben.»

Hier werde mit zweierlei Mass gemessen, kritisiert Stötzel, die damaligen Käufer seien heute mit grosser Wahrscheinlichkeit alle tot.» Aus der Geschäftskorrespondenz sei allerdings klar ersichtlich, so Stötzel, dass Hildebrand Gurlitt während der Kriegszeit in Frankreich «im grossen Stile Kunstgeschäfte getätigt hat».

Einen von Staatsministerin Monika Grütters unterschriebenen Standardbrief hat auch Susan Ronald im vergangenen Dezember erhalten. Eine wichtige Information habe sie den deutschen Behörden weitergeben wollen, sagt sie. Offenbar sei man in Berlin nicht interessiert an ihrem Wissen.

Wenn Bern demnächst die ersten von der Taskforce als unbedenklich eingestuften Bilder erhalten werde, dann stelle sich doch die Frage: «Was ist die Definition von unbedenklich?» Ronald sagt nur so viel: Hildebrand Gurlitt habe im besetzten Frankreich ab 1941 zwar viele Bilder offiziell gekauft, ob aber die Verkäufer wirklich den vereinbarten Kaufpreis erhielten, sei höchst fraglich: «Gurlitt war ein Spezialist darin, Bilder zu kaufen, ohne dafür zu bezahlen.»

Gurlitt habe nach dem Krieg gegenüber den Amerikanern in Verhören jegliche Verbindung mit Raubkunst abgestritten und behauptet, stets «in good faith» gehandelt zu haben. «Ich kann in meinem Buch beweisen, dass dies nicht stimmt», sagt Ronald und legt noch nach: «Hildebrand Gurlitt war einer der grössten Kunstdiebe aller Zeiten, sein Raubzug in Frankreich übersteigt wohl sogar den von Hermann Göring.»

Etliche der Bilder der Gurlitt-Sammlung aus dem Salzburger Fund vom Februar 2014 seien eindeutig als Raubkunst zu bewerten, die direkt aus Frankreich stamme.

Starthilfe aus der Schweiz

Den Namen Gurlitt hörte Susan Roland erstmals in den späten 1990er-Jahren, als sie für ihre Firma in der Schweiz Investoren suchte. Ihre Spezialität war die Finanzierung von Projekten, die den Umbau und die Umnutzung historischer Gebäude bezweckten. Es war die Zeit, als die Schweiz wegen Nazigold und nachrichtenloser Vermögen international stark unter Druck stand.

In diesem Zusammenhang kamen die Gespräche auch auf die Schweiz als Drehscheibe für den Handel mit «entarteter» und Fluchtkunst. Hildebrand Gurlitt war einer dieser Kunsthändler, die sich häufig in der Schweiz aufhielten. Seit 1937 einer von vier vom NS-Regime lizenzierten Händler für «entartete Kunst», war er am Ankauf von «entarteter Kunst» des Basler Kunstmuseums 1939 beteiligt.

Gurlitt war von seinem Freund, dem Schweizer Kunstmaler Karl Ballmer, als Vermittler zwischen dem Ministerium für Propaganda in Berlin und dem Basler Kunstmuseum ins Spiel gebracht worden.

Gurlitt kannte auch den Basler Kunsthändler Christoph Bernoulli – wahrscheinlich noch aus gemeinsamen Berliner Zeiten. Bernoulli wiederum war ein enger Freund von Alex Vömel, der 1933 die Galerie von Alfred Flechtheim «arisierte» und übernahm. Gurlitt hat laut Susan Ronald dabei eine massgebliche Rolle gespielt – «auch das steht alles in meinem Buch».

Die Schweizer Connection geht aber noch weiter zurück. Susan Roland sagt, dass eine wichtige Frage im Zusammenhang mit Gurlitts Aufstieg nach seiner Entlassung als Leiter des Hamburger Kunstvereins im Juli 1933 nie gestellt worden sei. «Er war ein Mischling zweiten Grades und vollkommen mittellos. Wie konnte er sich da als Kunsthändler selbstständig machen?»

Ihre Antwort: Eine Privatperson aus der Schweiz habe das «Kunstkabinett Dr. H. Gurlitt» finanziert. «Zur Identität dieser Person will sich Ronald nicht näher äussern: «Der Mann unterhielt auch später Geschäftsbeziehungen mit Gurlitt und ist mittlerweile tot.»

Das Buch über Gurlitt versteht Susan Ronald auch als Psychogramm eines hochintelligenten Menschen mit vielen «inneren Konflikten», der ständig über sein Leben gelogen und eine auffallende Wandlung durchgemacht habe. «Lange verspürte er keinen Drang, Geld zu verdienen, und wurde von seiner Familie der Faulheit bezichtigt».

Nach 1933 habe er seine Karriere plötzlich energisch, ja rücksichtslos betrieben und sei sehr erfolgreich gewesen. Ein «gewissenloser Charmeur» sei er gewesen, dem die Leute in der Not glauben wollten. Geschickt habe er auch immer seine jüdischen Wurzeln ins Spiel gebracht. Hat er nicht auch «entartete Kunst» vor der Vernichtung gerettet? Susan Roland glaubt, dass auch die «Rettung» von selbstsüchtigen Motiven geleitet war.

«Wenn er sich 1944 mit seinen Kunstschätzen den Alliierten ergeben hätte, dann wäre er ein Held gewesen.» Auch nach Kriegsende habe er noch verschiedene Optionen gehabt. Dass er seine Sammlung nie in eine Stiftung übergeführt habe, spreche auch für sich: «Das wäre gefährlich gewesen, er hätte möglicherweise Fragen zur Herkunft der Bilder beantworten müssen.»

Auf spekulativem Feld bewegt sich Ronald, wenn sie Gurlitts tödlichen Autounfall am 9.November 1956 infrage stellt. Dieses Datum könne kein Zufall sein: 9. November 1938, der Tag der «Reichspogromnacht. «Er hatte viele Feinde, die ich im Buch auch nenne.» Sie habe vergeblich eine Kopie des Unfallreports von der Düsseldorfer Polizei angefordert, sagt Ronald. Sie ist überzeugt, dass es kein Unfall war. «Das kann ich nicht beweisen, anderes aber schon. Lesen Sie das Buch.»

http://www.derbund.ch/kultur/buecher/Ein-gewissenloser-Charmeur------/story/12593243
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