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Die Blamage - The Disgrace

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Sueddeutschezeitung 25 November 2015
Von Catrin Lorch und Jörg Häntzschel 

Zwei Jahre hat die Taskforce an der Erforschung der Sammlung Gurlitt gearbeitet. Gefunden hat sie fast nichts. Nun versandet die Aufklarung des groSten deutschen Raubkunstskandals


Ingeborg Berggreen-Merkel, Ministeri­aldirektorin a.D. und Vorsitzende der Taskforce zur Aufarbeitung des Falls

Gurlitt, ist eine erfahrene Politveteranin. Dem heutigen Mittwoch sah sie wohl den­noch mit Sorge entgegen. Vormittags ist sie in den Bayerischen Landtag geladen, wo Kritiker der Taskforce, allen voran der Griinen-Abgeordnete Sepp Diirr, ihr unan­genehme Fragen stellen werden. Gleichzei­tig treffen sich in Berlin einige Mitglieder eben jener Taskforce. Sie furchten, mit haftbar gemacht zu werden fur die erbarm­lichen Ergebnisse, die die Taskforce in den nachsten Wochen vorlegen wird, wenn ih­re zweijahrige Arbeit zu Ende geht. Wie, dartiber wollen sie beraten, konnen wir uns davon distanzieren?

Gegriindet wurde die Taskforce vor zwei Jahren, kurz nachdem die Welt erst­mals von der Existenz des „Kunstschat­zes" erfuhr, den Cornelius Gurlitt, der Sohn des Kunsthandlers Hildebrand Gur­litt, in Schwabing und Salzburg gehutet und vor der Offentlichkeit verborgen hat­te. Das Entsetzen war damals grof3, dass die Augsburger Staatsanwaltschaft, die den Besitz von Cornelius Gurlitt aufgrund eines Verdachts der Steuerhinterziehung beschlagnahmt hatte, eineinhalb Jahre lang offentlich kein Wort fiber ihren Fund verlor. Auch die hochbetagten Nachfahren der judischen Sammler, denen einige der Werke geraubt oder abgepresst worden wa­ren, hatte man nicht informiert. Es war ein Skandal von internationalem Ausmal3. Steffen Seibert, der Sprecher von Kanzle­rin Angela Merkel, sagte im November 2013, man Winne „gut verstehen, dass gera­de auch Vertreter judischer Organisatio­nen jetzt viele Fragen stellen."


Ingeborg Berggreen-Merkel bei der Recherche. Camille Pissarros „La Seine vue du Pont-Neuf, au fond le Louvre" (1902) ist der letzte von bislang nur vier Raubkunstfunden

„Das Gebot der Stunde ist jetzt Transparenz", sagte der Auf3enrninister 2013

Ab diesem Moment sollte alles anders werden. Statt das angebliche Steuerverge­hen weiter zu verfolgen, wollte man sich mit Hochdruck der Aufarbeitung der Sammlung widmen. Am dringlichsten war dabei, Raubkunst-Werke zu identifizieren und sie so schnell wie moglich rechtmal3i­gen Eigentiimern zuruckzugeben. „Das Ge­bot der Stunde ist jetzt Transparenz", be­tonte der damalige Aufknminister Guido Westerwelle. „Wir sollten die Sensibilitat diesel Themas in der Welt nicht unter­schatzen." Noch im Friihjahr 2014 gab Berg­green-Merkel sich ein sportliches Ziel vor: Innerhalb eines Jahres sollte die Arbeit „im Wesentlichen abgeschlossen" sein.

Heute, fast zwei Jahre spater, klingt sie ganz anders: Die Arbeit sei „noch nicht ab­geschlossen. Das konnte auch niemand er­warten", sagte sie der Schweizer Zeitung Der Bund. Bisher gibt es erst zu vier von den rund 500 Werken, die bei der Task-force als „raubkunstverdachtig" geftihrt werden, einen positiven Befund: „Femme Assise" von Henri Matisse und Max Lieber­manns „Zwei Reiter am Strand", die als ein­zige auch restituiert wurden, Spitzwegs „Das Klavierspiel" und Pissarros „La Seine vue du Pont-Neuf". Weit mehr als 400 Wer­ke sind nach wie vor in der Datenbank los­tart.de als verdachtig eingestellt. Damit hat die Taskforce die Herkunft von nicht einmal einem Prozent der fraglichen Wer­ke klaren konnen. Bei allen vier Werken stand allerdings von Anfang an fest, dass es sich um Raubkunst handelte.

Bald nachdem die Taskforce ihre Arbeit aufgenommen hatte, wurden erste Fragen laut. Wo blieben die Berichte, warum ka­men die Restitutionen nicht in Gang? In den einschlagigen Archiven erwartete man die Forscher - sie kamen lange nicht. Aus dem unter viel Geheimnistuerei tagenden Gremium war indes nur Schweigen zu ver­nehmen, und Bitten um Geduld. Schlia­lich wurde das einjahrige Mandat der Task-force um ein zweites Jahr verlangert.

Da inzwischen auch das verstrichen ist, wird es Zeit fur eine Bilanz. „Allen ist klar, es war ein Misserfolg", sagt der Vorsitzen­de einer der in der Taskforce vertretenen Organisationen. Die Wissenschaftler und Raubkunstexperten, die fur die Taskforce forschten, blicken zurtick auf „eine schmerzhafte Erfahrung" und furchten um das Ansehen ihrer Zunft. Nach dem Scheitern des Gremiums „glaubt keiner mehr an unsere Arbeit." Die politisch Ver­antwortlichen sind indes nur noch damit befasst, die Taskforce gerauschlos zu beer­digen. Das wird angesichts der internatio­nalen Aufmerksamkeit nicht ganz einfach sein. Hermann Parzinger, President der Stiftung PreuAischer Kulturbesitz, musste sich bei einer USA-Reise schon zum Schei­tern der Taskforce erklaren. Deutschland hat sich beim „Fall Gurlitt" nach dem Deba­kel der Augsburger Staatsanwaltschaft nun ein zweites Mal blamiert.

Dabei mangelte es anfangs nicht an Energie. Immerhin war es ja Ende 2013 ge­lungen, den greisen Cornelius Gurlitt dazu zu bewegen, sich als Privatmann den Wa­shingtoner Prinzipien zu unterwerfen, mit denen sich Museen zur Rtickgabe von Raubkunst verpflichten. Aufkrdem stimm­te er der Untersuchung seiner Sammlung zu. Und als Gurlitt starb und das Kunstmu­seum Bern zum Alleinerben bestimmte, scheute man in Berlin weder finanziellen noch politischen Aufwand, um einen Ver­trag mit dem Schweizer Museum auszu­handeln, der die Fortsetzung der Recher­chen sicherstellte. Alle verdachtigen Bil­der, alle Dokumente sollten zunachst in Deutschland bleiben.

Doch schon bei der Besetzung der Task-force begannen die Fehler. Im Ausland wur­de kritisiert, dass ausschlialich Deutsche in das Gremium geladen waren. Hastig kor­rigierte man sich und bat Vertreter von Yad Vashem, der Jewish Claims Conference, dem Smithsonian und anderen Institutio­nen hinzu. Das Hauptproblem war damit nicht behoben: Die meisten Mitglieder wa­ren nicht Provenienzforscher, sondern Re­prasentanten und Funktionare. Statt um Aufklarung ging es um eine diplomatische Performance. Bis sich die Gruppe erstmals traf, verstrichen drei Monate.

Die Juristin Berggreen-Merkel, die sich zum ersten Mal mit Provenienzforschung beschaftigte, erwies sich als unfahig, die Arbeit sinnvoll zu strukturieren. Statt das Potenzial des Gremiums auszuschopfen, wurden die Forscher lange mit Einzelaufga­ben betreut und arbeiteten isoliert. „Nicht einmal die Mitglieder der Taskforce durf­ten alle Dokumente einsehen", heiAt es. Berggreen-Merkel habe auch nach monate­langer Arbeit mit den Experten „nicht die Spur einer Idee, was sie tut", sagt ein Task­force-Mitglied. Man habe „mindestens ein Jahr verloren." Berggreen-Merkel habe die Forderungen der Experten lange ignoriert, die Aufgaben klarer zu verteilen, eine allen zugangliche Datenbank einzurichten oder Rechercheure in Frankreich zu beschafti­gen, wo Hildebrand Gurlitt wahrend des Kriegs als Handler tatig war. Auch das noch von Cornelius Gurlitt begonnene Pro-j ekt,17 Kisten mit Unterlagen, Briefen und Fotografien seines Vaters als Datenbank aufzuarbeiten, setzte sie nicht fort.

Ein weiteres Problem war offenbar, dass nach der Anfechtung des Testaments durch Verwandte Gurlitts die Spielraume der Taskforce enger wurden. Hier hatte Berggreen-Merkel sich in der Kommunika­tion mit der Familie nazlich machen icon­nen. Doch sie lehnte es ab, mit der Familie Kontakt aufzunehmen: „Ich halte mich al­lein an den Nachlasspfleger." Statt an funk­tionierenden Strukturen zu arbeiten, heiAt es in der Taskforce, habe sie lieber deut­schen Fleif3 demonstriert und auch mal ei­nen Samstagabend beim Googlen von Raubkunst verbracht - ohne Ergebnisse.

„Wenn einer auspackt, kriegt er nie wieder einen Job. Das sind totale Abhangigkeitsverhaltnisse." 

Keiner der Wissenschaftler wagte es je­doch, an die Offentlichkeit zu gehen. „Das sind totale Abhangigkeitsverhaltnisse. Wenn einer auspackt, kriegt er nie wieder einen Job." Vor einigen Monaten war die Verzweiflung so grof3, dass man sich mit ei­nem Brandbrief an Monika Graters, die zustandige Staatsministerin fur Kultur, wandte. Diese soll zwar Unterstutzung si­gnalisiert haben, geandert habe sich aber nichts. Der „Biirokratismus" der Task-force verhindere neither allerdings, dass das brisante Dokument in die Akten aufge­nommen wird.

Ist sich Ingeborg Berggreen-Merkel ih­rer Versaumnisse bewusst? „Wenn ich ei­nen grolkn Fehler gemacht babe", sagt sie gegentiber der SZ, „dann war es mein per­sonlicher naiver Glaube, dass die Aufarbei­tung machbar ist - obwohl Experten mich gewarnt batten". Zur Rechtfertigung stili­siert sie den Fall Gurlitt nun zu einem „Pro­jekt von bisher ungekannten Ausmafkn". Das sehen die eigenen Experten anders: „Bullshit", heilkt es. In Auktionshausern sei man in der Lage, „in 48 Stunden Provenien­zen zuverlassig zu klaren".

Doch auf Kritik reagiert Ingeborg Berg­green-Merkel mit Pathos: „Es ist unsere Vergangenheit und unsere Verantwor­tung, herauszufinden, was geraubt wurde. Wenn ich zu meinen Lebzeiten da ein Sttickchen zu beitragen kann, ist das ein grofks Geschenk. Das ist auch mein ganz personliches Anliegen." Fragen nach den Kosten weicht sie aus: „Billig war es richer nicht." Andere sehen das pragmatischer: „Hier wird viel offentliches Geld fur die Er­forschung einer einzigen, privaten Samm­lung ausgegeben", sagt Ute Haug, Proveni­enzexpertin an der Hamburger Kunsthal­le. „Gurlitt ist das kleinste Problem. 4, 5 Werke, das war's."

„Die Offentlichkeit sollte wissen, dass Magdeburg in keiner Weise arbeitsfahig ist."

Doch wer mit enormen Mitteln zwei Jah­re lang an einer beispiellosen historischen Aufgabe gearbeitet hat, der wird nicht zu­geben, dass von dem „Raubkunstschatz" womoglich nicht viel bleibt. Hief3 es an-fangs, der Sohn eines „Nazi-Kunsthand­lers" horte geraubte Bilder im Milliarden­wert, wird die Bilanz wohl gewaltig schrumpfen. Funde vom Kaliber des Ma­tisse sind nicht mehr zu erwarten. Und von Hunderten verdachtigen Werken werden wohl nur zwei Dutzend als Raubkunst iden­tifiziert werden. Der Anteil entspricht dem in den meisten deutschen Museen.

Historisch ist am Fall Gurlitt also wo­moglich nur, dass hier sichtbar wird, wie in Deutschland mit Skandalen umgegangen wird. Wenn im Januar die magere Bilanz der Arbeit vorgelegt wird, steht die nachste Institution schon bereit, die Forschung fortzusetzen: Das Deutsche Zentrum fur Kulturgutverluste in Magdeburg, das seit Anfang des Jahres besteht, als „nationaler und internationaler Ansprechpartner zu Fragen unrechtmaffiger Entziehungen von Kulturgut in Deutschland im 20. Jahr­hundert", soll die vielen losen Enden, die die Taskforce hinterlassen hat, aufneh­men. Es soll mit einem Etat von vier Millio­nen ausgestattet werden und etwa 20 Mit­arbeiter beschaftigen.

Im Oktober erklarte Graters, auch die Experten der Taskforce wiirden ihre Ar­beit unter der Regie des Magdeburger Zen­trums fortsetzen. Die Betroffenen wissen davon allerdings nichts. Eines der promi­nentesten Mitglieder der Taskforce ist ab Januar arbeitslos. Was in Magdeburg pas­sieren wird? „Wir wissen es auch nicht." Es gibt noch keine Planungen, keinen Rah-men, keinen Stellenplan. „Die Offentlich­keit sollte wissen, dass Magdeburg in kei­ner Weise arbeitsfahig ist", heiAt es aus der Taskforce. Monika Graters selbst gab zu dieser und anderen Fragen keine Aus­kunft. Sie sei fur die SZ erst im nachsten Jahr wieder zu sprechen.

Die erste Konferenz „Neue Perspekti­ven der Provenienzforschung in Deutsch­land", mit der sich das Zentrum am Wo­chenende im Judischen Museum in Berlin vorstellt, wirkt wie eine weitere Etappe der vermurksten Aufarbeitung: Wenn am Frei­tagabend Monika Graters zur Eroffnung der Tagung spricht, werden die Vertreter der judischen Organisationen ebenso we­nig anwesend sein wie bei den Diskussio­nen zu Raubkunst, Moral und Rechtsstaat am Samstag. Die Verantwortlichen hatten tibersehen, dass die Konferenz auf den Sab­bat fallt. Die judischen Organisationen Las­sen ihre Abgesandten zu dieser Zeit nicht auftreten. Die Konferenz deshalb zu verle­gen, hielten die Verantwortlichen aber nicht fur notig. Ruediger Mahlo von der Jewish Claims Conference wird seinen Vor­trag fiber „Anforderungen an die Proveni­enzforschung aus jiidischer Sicht" deshalb als Videobotschaft aufzeichnen.

 

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