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Der Auktionator - The Auctioneer

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1970
1945
Taz 13 April 2016

Eine Studie rekonstruiert die Rolle des jüdischen Kunsthändlers Paul Graupe. Er arbeitete vom Kaiserreich bis in die NS-Zeit.


Ausschnitt aus einer Porträtfotografie Paul Graupes

War der Kunsthändler und Auktionator Paul Graupe gut oder böse? Diese Frage kam aus dem Publikum, nachdem die drei Autoren der Studie „Paul Graupe (1881–1953). Ein Berliner Kunsthändler zwischen Republik, Nationalsozialismus und Exil“ ihren Band im Berliner Institut Français im Gespräch mit der Leibniz-Preisträgerin und Kunsthistorikerin an der TU Berlin, Bénédicte Savoy, vorgestellt hatten.

Die Antwort lautet, dass er nicht gut oder böse, sondern dass er Täter und Opfer war. Und damit wird eine komplexe Gemengelage angesprochen, wie die Studie zeigt, die den Blick für die Brüche, Zwischentöne und Grauzonen seiner Händlerkarriere schärft. Ihre Lektüre ist ein must, will man den Kunsthandel der 1930er Jahre und anliegende Restitutionsfragen verstehen.

Patrick Golenia, Kunsthistoriker beim Auktionshaus Grisebach, Kristina Kratz-Kessemeier, Kunsthistorikerin und freie Autorin, und Isabelle le Masne de Chermont, Leiterin der Handschriftenabteilung der Bibliothèque de France und frühe Provenienzforscherin in Frankreich, legen mit ihrem 300 Seiten starken Band eine sehr gut lesbare, sehr verständliche Untersuchung der Geschichte des Berliner Kunsthandels zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus vor, in deren Kontext sie die Rolle des jüdischen Kunsthändlers Paul Graupe rekonstruieren, kritisch hinterfragen und einordnen.

So unwahrscheinlich es klingt, nachdem sein Name nur noch Spezialisten geläufig ist: Paul Graupe war einer der prominentesten Protagonisten des Berliner Kunsthandels nach dem Ersten Weltkrieg. Aufgrund seines nationalen wie internationalen Renommees konnte er 1933 in die Reichskulturkammer eintreten und bis 1937 weiterarbeiten. In diesen vier Jahren veräußerte er in großem Umfang jüdischen Kunstbesitz und fungierte so für das Reich als Devisenbeschaffer.

Boomender Kunsthandel

Das mochte ihm weniger skandalös erscheinen, als man meint, hatte der Kunsthandel doch schon zuvor von den krisenhaften Weltläufen profitiert. Als Graupe, der 1881 in einfachen ländlichen Verhältnissen im Oderbruch zur Welt kam, 1916 seine erste Buchkunst-Auktion abhielt, war sie durchaus ein Erfolg. Denn aufgrund der Verluste bei Wertpapieren und Kriegsanleihen sowie der allgemeinen Geldentwertung boomte der Kunsthandel.

Einerseits gab es ein erhöhtes Interesse, Kunst zu verkaufen, um Geld- und wie im Falle des revolutionären Russlands Vermögensverluste auszugleichen. Andererseits wurde Kunst als vergleichsweise sichere Geldanlage verstärkt gekauft. Ähnlich verlieh die Weltwirtschaftskrise dem Kunsthandel neuen Schwung, da aufgrund von Insolvenzen große Sammlungen aufgelöst und verkauft wurden.

Lage als Marketinginstrument

Graupe, als Buchhändler ausgebildet, keineswegs ein Kunstexperte, setzte für sein Geschäft gezielt moderne Marketinginstrumente ein. So bediente er sich etwa des jungen Mediums Rundfunk, wo Walter Benjamin in seiner Sendereihe „Aufklärung für Kinder“ Letzteren einen Besuch bei Paul Graupe mit den Worten „Putzt euch aber die Stiefel schön ab, denn bei Paul Graupe ist es sehr vornehm“ ans Herz legte. Tatsächlich spielte die Lage seines Hauses an prominenter Adresse eine herausragende Marketing-Rolle. Selbst im Exil residierte er in Paris an der Place Vend ô me.

Das zweite wichtige Marketinginstrument bildeten seine von Fachleuten getexteten und mit Schwarz-Weiß-Fotografien versehenen, hochwertigen Kataloge, die ab 1930 einen einheitlich blauen Umschlag trugen. Diese aufwändigen Kataloge behielt er nach 1933 für die jüdischen Sammlungen bei, die bei ihm eingeliefert wurden. Graupe stand dafür ein, dass ihre Eigentümer angemessene Preise erhielten, der Verkauf ihres Besitzes nicht unter Wert erfolgte, sondern professionell und fair abgewickelt wurde.

Obwohl er durch diese Gepflogenheiten in Distanz zum NS-Staat stand, war Graupe implizit doch ein Akteur des Regimes und trug aktiv zur Festigung der neuen NS-Kunstmarktstrukturen bei, für die die Verdrängung jüdischer Sammler ebenso wie die der jüdischen Kunsthändler konstitutiv war. Warum aber konnte sich Graupe so lange halten? Die Antwort findet sich in seiner Personalakte bei der Reichskammer der bildenden Künste: „Fa. Internationale Bedeutung, erhebl. Deviseneinkommen (1 ¼ Mill. Rmk.)“ Deshalb wird sein Ausschluss aus der Kammer 1936 auch wieder rückgängig gemacht.

Hitlers Kunsthändler bezahlt die Emigration

Diese Verstrickung endet auch nicht mit der Emigration im gleichen Jahr nach Frankreich und später in die USA. Sein Netzwerk befreundeter Händler und Galeristen, auf das er mehr denn je baut, existiert nicht isoliert von den politischen Gegebenheiten, zu ihnen zählt etwa der Ausbau der Sammlung Göring, der eine zentrale Rolle im Kunsthandel der französischen Metropole spielte. Aus Geschäften mit Karl Haberstock, Hitlers wichtigstem Kunsthändler, stammt das Geld, das es Graupe und seiner Frau 1941 ermöglicht, in die USA einzureisen.

Dort muss er miterleben, wie er seinen Pariser Besitz mit Gemälden, Büchern und Antiquitäten und damit seine Geschäftsgrundlage für die USA in diversen Beschlagnahmeaktionen der deutschen Besatzer verliert. Entsprechend aktiv versucht er nach Ende des Weltkriegs mit Hilfe seines Sohnes, sein Recht auf Rückgabe und Entschädigung geltend zu machen. Denn am Ende war der Kunsthändler Paul Graupe zweifelsohne ein Opfer der Nationalsozialisten, und als solches wurde er auch von der Alliierten Kommission wie den bundesdeutschen Behörden und Gericht anerkannt.

Das Buch

Patrick Golenia/Kristina Kratz-Kessemeier/Isabelle le Masne de Chermont: „Paul Graupe (1881–1953). Ein Berliner Kunsthändler zwischen Republik, Nationalsozialismus und Exil“. Vorwort von Bénédicte Savoy. Böhlau Verlag 2016, 320 Seiten, 40,00 Euro

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