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Unstillbarer bayerischer Wissensdurst - The unending Bavarian search for 'knowledge'

1998
1970
1945
Der Standard 12 February 2017
Von Olga Kronsteiner

Laut Washingtoner Erklärung sind beim Nachweis von NS-Raubkunst Lücken und Unklarheiten unvermeidbar

Provenienzforschung und Restitution gehören zu jenen Kapiteln, bei denen sich Deutschland in der jüngeren Vergangenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckerte. Wenn sich 2018 die Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust zum 20. Mal jährt, wird die deutsche Gesamtbilanz eine maue sein.

Zur Umsetzung der "Washingtoner Prinzipien" hatte sich die Bundesregierung im Dezember 1999 verpflichtet. Seither sollte die Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes auf der Agenda der Länder und öffentlicher Sammlungen stehen.

Dazu hatte man an einer "Handreichung" getüftelt, die eine "rechtlich nicht verbindliche Orientierungshilfe" zur Umsetzung bot. Sie lag ab Februar 2001 vor und umfasst in der 2007 überarbeiteten Version rund 100 Seiten. Die Priorität, mit der die bundesweit verordnete Selbstverpflichtung vorangetrieben wurde, war und ist allerdings den Museen überlassen.

Die vielzitierte deutsche Gründlichkeit scheint über die zwei vergangenen Dekaden betrachtet eher ein Fluch als ein Segen gewesen zu sein – zumindest aus der Sicht von Erbengemeinschaften, die zum Teil vor Jahren oder Jahrzehnten so mancher Institution bereits Dokumente vorlegten, die ihre Ansprüche belegen. Vermeintlich, denn ob der Nachweis überhaupt anerkannt wird, entscheiden die Justiziare in den Kultusministerien der Länder.

Etwa auch in Bayern, wo sich das Staatsministerium auf seiner Website des Engagements der "Aufarbeitung von NS-Unrecht" rühmt. Nach 1998 habe man "konsequent mit der Überprüfung der Bestände der drei Pinakotheken und der zwölf Zweiggalerien in Bayern begonnen". In Summe restituierte man seither 23 Kunstwerke – in 18 Jahren.

Mangelnde Motivation


Dass man die Suche nach Raubkunst "proaktiv" betreibe, dürfte manch einem wie blanker Hohn in den Ohren klingen – etwa Sammlungsleitern, die das ohne personelle Unterstützung neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit und Ausstellungsprojekten bewerkstelligen sollen. Die längst als Raubkunst identifizierten Fälle nicht zu vergessen, auf deren Klärung Erben warten. Gut Ding will halt auch in Bayern Weile haben.

Die Motivation zur zügigen Abwicklung könnte sich aber auch gezielt in Grenzen gehalten haben. Denn der Freistaat betrachtet Kunstbestände als Teil des Grundstockvermögens und verlangte, im Falle einer Restitution, von den Museen eine Entschädigung auf Basis aktueller Kunstmarktpreise. Einerlei, ob es das spärliche Ankaufsbudget hergab oder nicht. Erst als dies die "Süddeutsche Zeitung" 2011 publik machte, wurde diese absurde Praxis revidiert.

Überaus zögerlich


"Bayern folgt den Vorgaben des Washingtoner Abkommens", zitiert erwähnte Website den zuständigen Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle. Bedingt und nur überaus zögerlich, wie die Causen der einst in Österreich beheimateter Familien Mautner und Zuckerkandl belegen.

Im Falle Mautners hatte sich ein Nachfahre bereits Mitte der 1970er-Jahre an die Staatliche Graphische Sammlung München (SMGM) gewandt, die eines jener vier Bilder Rudolf von Alts im Bestand verwahrten, das Stephan Mautner 1938 zwangsweise zur Deckung der Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe verkaufen musste. Das kurz vor Alts Tod im März 1905 geschaffene Aquarell zeigt das Arbeitszimmer des Künstlers.

Über den Maler Robert Freiherr von Doblhoff-Dier und Bruno Grimschitz, den damaligen Direktor der Österreichischen Galerie, gelangte das Quartett in den Besitz Martin Bormanns. Der damalige Reichsleiter war, wie Adolf Hitler, ein ausgewiesener Fan von Arbeiten Jakob und Rudolf von Alts. Nach Kriegsende wurden die zum Schutz vor Luftangriffen in diverse Depots eingelagerten Bestände der "Sammlung Bormann" beschlagnahmt und an die alliierte Sammelstelle für Kulturgut übergeben.

Jene rund 600 Arbeiten, für die beim Central Collecting Point (CCP) in München weder Herkunft noch Eigentumsverhältnisse geklärt werden konnten, wanderten 1956 in die Verwahrung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und schließlich in den SMGM-Bestand.

Der Fall Mautner

Stephan Mautner und seine Ehefrau Elsa hatten den Holocaust nicht überlebt, ihren drei Kindern war die Flucht ins Exil gelungen. Karl Mautner, einer der beiden Söhne, hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg um die Auffindung der Kunstgegenstände seiner Eltern bemüht. 2003 publizierte Sophie Lillie in ihrem Buch (Was einmal war, Czernin-Verlag) diesen Fall, illustrierte mit erwähntem Interieur. Bis zur Rückgabe an die Nachfahren sollten aber noch 13 Jahre vergehen. Ende November 2016 war es so weit. Dem SMGM-Bestand blieb es dennoch erhalten, als Dauerleihgabe der Ernst- von-Siemens-Kunststiftung, die es für einen höheren fünfstelligen Betrag von den Erben erwarb.


mgm, siemens-kunststiftung
Kurz vor seinem Tod im März 1905 schuf Rudolf von Alt diesen Blick in sein Arbeitszimmer. Der Platz am Schreibtisch war leer geblieben. Das Aquarell gehörte, wie bereits 2003 publiziert, einst Stephan Mautner (Wien). Im November wurde es restituiert und den Erben von der Siemens-Kulturstiftung abgekauft.

Wie viele Werke der Bormann-Kollektion rechtmäßig in der Graphischen Sammlung lagern, ist bis heute nicht zweifelsfrei bekannt. In einer Kooperation mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte bearbeitete die Kunsthistorikerin und Provenienzforscherin Meike Hopp von 2011 bis Ende 2013 den Altbestand, dem 2015 eine Ausstellung und eine Publikation folgten.

Zu den Hürden gehörte sowohl die Vielzahl identischer Motive als auch die dürftige Forschungslage für Papierarbeiten Rudolf von Alts. Denn das 2001 in zweiter Auflage erschienene Werkverzeichnis von Walter Koschatzky listet mit 1500 Aquarellen nur einen Bruchteil. Der Autor selbst hatte den Umfang der Aquarelle allein auf 5000 geschätzt, Zeichnungen und Studien nicht berücksichtigt. Eine Herausforderung für die Provenienzforschung, so viel ist gewiss.

"Eigentumsverhältnisse unbekannt" und "unter nicht geklärten Umständen für die "Sammlung Bormann" erworben, das sind jene beiden Vermerke, die sich wie ein roter Faden durch den Bestandskatalog ziehen. Mehrheitlich entspricht das wohl den Tatsachen, in manchen Fällen sind jedoch die ehemaligen Besitzer mittlerweile bekannt und scheitert es an einer zweifelsfreien Identifizierung oder anderen Formalismen.

Etwa wenn es um die kleinformatige Darstellung "Das neue Burgtor", auch "Das Äußere Burgtor mit dem Glacis" genannt, geht. Das ansichtskartengroße Aquarell gehört zu einer 1844/45 für den russischen Diplomaten Graf Barjatinsky geschaffene Serie, die vor 1910 in die Sammlung Viktor Zuckerkandls gelangte. Der Sanatoriumsbesitzer und seine Frau Paula verstarben im Frühjahr 1927 kinderlos, ihre Besitztümer wurden unter der näheren Verwandtschaft aufgeteilt.

aquarell: staatliche graphische sammlung münchen
"Eigentumsverhältnisse unbekannt" heißt es auch für dieses kleinformatige Aquarell Rudolf von Alts. "Das neue Burgtor" war bis 1938 im Besitz von Fritz Zuckerkandl und gelangte unter unbekannten Umständen nach dem Anschluss die "Sammlung Bormann".

Die Zuckerkandl-Odyssee

Ein Großteil der Kunstsammlung wurde im Mai 1928 bei Wawra (Wien) versteigert. Jene Posten, die unverkauft geblieben waren, übernahmen Familienmitglieder unter Anrechnung auf ihr jeweiliges Erbteil. Auf diese Weise gelangte das Aquarell zusammen mit zwei weiteren aus der Barjatinsky-Serie in den Besitz von Fritz Zuckerkandl, Sohn der Salonière Berta und des renommierten Anatomen Emil Zuckerkandl.


katalogcover: repro, univ.-bibliothek heidelberg
1928 versteigerte Wawra Teile der Sammlung Viktor und Paula Zuckerkandl. Unverkauftes blieb, unter Anrechnung des jeweiligen Erbteils, im Besitz der Familie.

Das zugehörige Dokument der Verlassenschaft datiert vom 17. Juni 1929. Sechs Jahre später emigrierte Fritz Zuckerkandl von Wien nach Paris, kurz nach dem Anschluss folgten ihm seine Ehefrau, sein damals 16-jähriger Sohn Emile und seine Mutter Berta. Das in Wien verbliebene Vermögen fiel zunächst unter Kuratel und wurde spätestens 1942 zwangsverkauft. Der Verbleib der Kunstwerke? Weniges hatte man nach Frankreich übersiedelt, anderes verschwand.

Nachgereichte Informationen

2009 nahm Provenienzforscherin Ruth Pleyer im Auftrag des damals 87-jährigen Emile Zuckerkandl Kontakt mit dem SMGM auf, später auch mit Meike Hopp, die über die Rechercheergebnisse informiert wurde. Im Februar 2013 wandte sich auch Rechtsanwalt Alfred Noll namens seines Mandanten an den damaligen Direktor der Graphischen Sammlung und ersuchte um Mitteilung zum Stand der Dinge.

In seinem Antwortschreiben vom März desselben Jahres verwies Michael Semff auf fehlende Belege. Etwa ob sich das Aquarell nach Zuckerkandls Emigration überhaupt noch in seinem Besitz befand. Oder ob es 1938 in Wien oder 1942 in Paris beschlagnahmt worden wäre. Ganz so, als ob Ort und Datum für den Tatbestand einer Entziehung von Relevanz seien.

Auf die im Mai 2013 nachgereichten Informationen, darunter ein Schreiben, in dem Emile Zuckerkandl versicherte, dass sich das gegenständliche Werk bis zuletzt im Besitz der Familie befand, die 1940 von Frankreich nach Algerien geflüchtet war, erhielt man keine Antwort mehr. Auch die schriftliche Kontaktaufnahme zu Meike Hopp scheiterte über Monate, ja Jahre. Das letzte "Lebenszeichen" datiert vom 10. März 2015, die Lesebestätigung einer von Noll an Hopp gerichteten Mail, die, wie andere zuvor, unbeantwortet blieb.

Überlieferungslücken


Laut Hopp sei die SMGM-Kooperation zu diesem Zeitpunkt längst beendet gewesen. Sammlungsleiter Andreas Strobl ist sich der unglücklichen Optik bewusst, wie er im Gespräch durchblicken lässt. Die Causa Zuckerkandl stünde noch immer auf der Agenda, allein, die 2013 angesprochenen Überlieferungslücken seien das Problem, da diese vom Kultusministerium moniert werden.

Für die dortigen Justiziare scheint Punkt vier der Washingtoner Erklärung unerheblich: Demnach sollte beim "Nachweis, dass ein Kunstwerk durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückerstattet wurde, berücksichtigt werden, dass aufgrund der verstrichenen Zeit und der besonderen Umstände des Holocaust Lücken und Unklarheiten in der Frage der Herkunft unvermeidlich sind".

Die Chance, mit Emile Zuckerkandl ein persönliches Gespräch zu führen, hatte man nie genutzt. Im November 2013 verstarb mit ihm der letzte Zeuge, der den pingeligen Wissensdurst der bayerischen Beamten hätte stillen können. Ob seine 93-jährige Witwe die Rückgabe des Aquarells noch erleben wird, scheint ungewiss.


http://derstandard.at/2000052447145/Unstillbarer-bayerischer-Wissensdurst
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