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Ist das Kunst – oder ist das ein Kriminalfall? - Is this art or a criminal case?

1998
1970
1945
Nordwest Zeitung 21 March 2017
Von Regina Jerichow

Seit sechs Jahren arbeitet Kunsthistoriker Marcus Kenzler am Oldenburger Landesmuseum. Bisher konnte er bei 14 Objekten eine belastete Vergangenheit nachweisen.


Belastet oder unbelastet? Das Gemälde „Die Webstube“ von Bernard Winter (1896) stand jüngst auf dem Prüfstand von Marcus Kenzler (unten). Kleines Bild: Der Albarello gehört nun rechtmäßig dem Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte.

Oldenburg: Wer auf schnelle, spektakuläre Ergebnisse aus ist, sollte besser nicht Provenienzforscher werden. In diesem Beruf ist neben detektivischem Spürsinn vor allem eines gefragt: viel Geduld.

Dr. Marcus Kenzler ist seit sechs Jahren in dieser Funktion am Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg tätig. Er hat die Herkunft von fast 800 Sammlungsobjekten recherchiert und 14 Fälle von Raubgut identifiziert. Davon konnten bisher zwei einem Erben des jüdischen Vorbesitzers zurückgegeben werden. Frustrierend? Dem 44-Jährigen geht es nicht um Werte, sondern um „historische Verantwortung“, darum, begangenes Unrecht aufzudecken.

Wie viele Objekte müssen noch untersucht werden

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Der Kunsthistoriker geht von weiteren 24 000 Sammlungsobjekten aus, darunter allerdings auch Grafik-Konvolute oder mehrteilige Porzellanservices. Da Kenzlers Stelle inzwischen unbefristet ist – neben Hannover die zweite in Niedersachsen –, dürfte er noch über Jahre in Oldenburg beschäftigt sein.

Seit wann ist die Provenienzforschung so wichtig

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Lange Zeit gab es keine große Entwicklung im Umgang mit NS-Raubkunst, so Kenzler. Erst durch den spektakulären Schwabinger Kunstfund Ende 2013 hat sich das geändert. Damals wurden rund 1280 Kunstwerke aus dem Besitz von Cornelius Gurlitt entdeckt, von denen Hunderte im Verdacht standen, Raubkunst zu sein. Aber nur in fünf Fällen ließ sich das auch nachweisen. Die erhöhte Sensibilität für das Thema ist auch ablesbar an der Lost-Art-Datenbank, die für verdächtige Kunstwerke eingerichtet wurde. Die Zahl der Zugriffe katapultierte sich 2014 auf 5,2 Millionen.

Welche Kunstwerke werden aktuell überprüft

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Vor Kurzem stand das Gemälde „Die Webstube“ von Bernhard Winter (1871–1964) – eines seiner herausragenden Werke – auf dem Prüfstand. Es war 1934 von der Oldenburgerin Cäcilie Steinthal für die Gemäldesammlung angekauft worden. Steinthal gehörte einer angesehenen jüdischen Familie an und flüchtete vor der zunehmenden Bedrohung durch die Nationalsozialisten nach Johannesburg/Südafrika, wo sie 1940 starb.

Im schriftlichen Nachlass des Malers fand sich ein Hinweis, dass das Bild zuvor dem jüdischen Arzt Dr. Jacob Goldmann gehört hatte, einem entfernten Verwandten Steinthals. Er verkaufte es offenbar 1933 kurz vor seiner Emigration nach Paris. Die Verdacht liegt nahe, dass das Bild unter Zwang den Besitzer wechselte, um die Emigration zu finanzieren.

Beweisen lässt sich das schwer. Ob das Gemälde als „unbelastet“ im Museum bleiben kann, sollen weitere Recherchen zeigen.

Welche Objekte konnten zurückgegeben werden

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Das Fragment einer niederländischen Fliese aus dem 16. Jahrhundert wurde in den 40er Jahren angekauft und konnte 2014 dem Enkel des jüdischen Kunsthändlers Mozes Mogrobi aus Amsterdam – er wurde 1944 in Auschwitz umgebracht – übergeben werden. Mogrobi, der deutschlandweit tätig war, habe sich mit großer Wahrscheinlichkeit in einer Zwangslage befunden, so Kenzler. Der Enkel, ein Mann in den 70ern, sucht nun selbst nach den Spuren seiner Familie und der Fliese. Mit dem zweiten Objekt, einem Albarello (pharmazeutisches Gefäß), verband er keine persönlichen Erinnerungen. Daher bot er es zum Rückkauf an.

Worauf achtet der Provenienzforscher

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Anhaltspunkte findet Kenzler in den Eingangsbüchern des Museums, in der Inventarkartei, in der digitalen Datenbank und im Archiv. Bei Gemälden interessiert ihn vor allem die Rückseite, der Keilrahmen, vergilbte Aufkleber, angeklebte Zettel, schwer zu entziffernde Handschriften.

Wo erfährt man mehr über Provenienzforschung

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Kenzler plant eine Ausstellung im Oldenburger Schloss, in der er vom 3. November 2017 bis zum 25. Februar 2018 alles Wissenswerte über seine Arbeit vermitteln will. Die Schau informiert auch über die deutschlandweit einzigartige Raubgut-Sammlung, die von Stadt- und Landesmuseum sowie dem Schlossmuseum Jever aufgebaut werden soll. Die Sammlung wird aus belasteten Objekten bestehen, von denen sich Privatpersonen unbürokratisch trennen wollen. Bisher ist ihre Zahl allerdings überschaubar.

Gezeigt werden auch alle Objekte, über deren Geschichte Kenzler etwas erzählen kann. Dazu gehört etwa eine alte Waschkommode, die der 82-jährigen Rosalie Israels aus Weener gehört hat. Ihr Haushalt wurde 1940 in Oldenburg versteigert, zwei Jahre später starb sie im KZ Theresienstadt. Bis heute hat Kenzler keine Erben ermitteln können.

https://www.nwzonline.de/kultur/noch-tausende-faelle-vor-sich_a_31,2,2788917727.html
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