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Wenn der Höhepunkt ein Tiefpunkt ist - When the high point is a low point

1998
1970
1945
Mittelbayerische 3 May 2017
Von Sandra Trauner

Das Liebieghaus thematisiert mit der Ausstellung „Eindeutig bis zweifelhaft“ die Geschichte von NS-Raubkunst.


Der „Apoll vom Belvedere“ wird derzeit in der Ausstellung „Eindeutig bis zweifelhaft - Skulpturen und ihre Geschichten“ im Liebieghaus in Frankfurt/Main gezeigt. Die speziell konzipierte Ausstellung befasst sich mit der Herkunft einzelner Skulpturen, von denen die meisten schon lange zur Sammlung des Museums gehören.

Frankfurt.2800 Kunstwerke gehören zur Frankfurter Skulpturensammlung Liebieghaus - bei etwa 400 ist bis heute nicht klar, ob sie zu Recht oder zu Unrecht im Besitz des Museum sind. Wissenschaftler versuchen, die Herkunft der strittigen Werke zu rekonstruieren. In einer Ausstellung können Besucher ihnen nun bis 27. August über die Schulter schauen.

Bei einigen Werken ist die Herkunft ungewiss

Philipp Demandt, Direktor des Liebieghauses, zeigt auf eine Grafik, die der Frankfurter Skyline ähnelt. Sie zeigt die Neuerwerbungen des Liebieghaus auf einem Zeitstrahl. Der größte Ausschlag nach oben ist 1938: 327 Kunstwerke gelangen in diesem Jahr in die Sammlung. „Ein Höhepunkt, der eigentlich ein Tiefpunkt ist“, sagt Demandt. Denn der überwiegende Teil ist von mehr als zweifelhafter Herkunft.

„Eindeutig bis zweifelhaft. Skulpturen und ihre Geschichten“ heißt denn auch die Schau, die anhand von zwölf Beispielen die Geschichte der Kunstwerke erzählt, die zwischen 1933 und 1945 erworben wurden. Weil der größte Teil davon nach dem Krieg zurückgegeben wurde, sind manche Vitrinen leer. Fotos, Texte und Hörstationen müssen genügen.

 

Oft stecken hinter der Kunst tragische Schicksale

Da sind zum Beispiel die jüdischen Kunstsammler Carl von Weinberg und Maximilian von Goldschmidt-Rothschild. Aus der einen Sammlung stammt eine mittelalterliche Holzskulptur („Christus und Johannes“ um 1350), aus der anderen eine teils vergoldete Bronzestatue („Apoll vom Belvedere“ um 1497). Beide Werke sind bis heute Teil der Sammlung. Die Geschichten dahinter sind ebenso kompliziert wie tragisch.

Fabrikbesitzer Weinberg hatte als Kunstsammler rund 700 Werke zusammengetragen. 1938 nahm ihm die Stadt seine Sammlung ab - zu einem Preis weit unter Marktwert, der gleich mit der „Judenvermögensabgabe“ verrechnet wurde. 200 Skulpturen kamen so ins Liebieghaus. Weinberg starb 1943 in Rom, sein Bruder wurde in Theresienstadt ermordet, seine Tochter nahm sich in London das Leben. Der einzige Erbe, sein Schwiegersohn, bekam die Sammlung später zurück, schenkte danach aber einige Stücke dem Museum.


Auch die Skulptur „Ariadne auf dem Panther“ wird derzeit im Liebieghaus ausgestellt. 

Auch dem 95-jährigen Goldschmidt-Rothschild nahm die Stadt 1938 seine 1400 Kunstwerke ab. Der „Ankauf“ wurde per Telefon abgewickelt, wie in der Broschüre zur Ausstellung nachzulesen ist. Nach dem Krieg verhandelten die Erben über die Rückgabe. Das Ergebnis war ein zweifelhafter Vergleich: die Erben kriegen die Kunst, die Stadt behält Grundstücke und Immobilien - plus ausgewählte Kunstobjekte.

Eine Vitrine bleibt leer

Nicht alle Neuzugänge aus jenen Jahren stammen von jüdischen Sammlern, die ihren Besitz auf der Flucht zurücklassen mussten oder zum Verkauf gezwungen wurden. Beliebt waren auch „Erwerbungen im besetzten Ausland“, wie Kuratorin Eva Mongi-Vollmer erklärt. Museumsleiter konnten dort dank eines künstlich niedrigen Wechselkurses billig auf Einkaufstour gehen. So kam der „Kopf eines bärtigen Mannes“ aus dem 4. Jahrhundert vor Christus ins Liebieghaus. 1946 wurde er zurückgegeben; in der Ausstellung zu sehen ist eine leere Vitrine und daneben die Quittung von 1941.

Die Kunsthistoriker leisten wichtige Arbeit

Iris Schmeisser leitet die Provenienzforschung von Städel und Liebieghaus. Ihr Job: herauszufinden, wer wann was wo wie erworben hat. Im Städel wird die Sammlung schon seit 2001 auf mögliche Raubkunst hin untersucht. Erst 2015 wurde das Projekt auch auf das Liebieghaus ausgeweitet. „Bei Skulpturen ist Provenienzforschung schwieriger“, sagt Schmeisser. Gemälde seien besser dokumentiert, manchmal fänden sich sogar Infos auf der Rückseite.

„Provenienzforschung ist eine moralische Pflicht und ein nicht mehr wegzudenkender Teil der Museumsarbeit“, sagt Museums-Direktor Demandt. Auch wenn das Ergebnis der Nachforschungen statt „zweifelhaft“ „eindeutig“ heißt und damit nicht eindeutig illegal, sondern eindeutig legal gemeint ist: Die Geschichte der Objekte zu erforschen, ist für ihn wertvolle Arbeit: „Unser Fach heißt nicht Kunst, sondern Kunstgeschichte.“

http://www.mittelbayerische.de/kultur-nachrichten/wenn-der-hoehepunkt-ein-tiefpunkt-ist-21853-art1514989.html
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