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Die Geschichte eines gestohlenen Bildes - The history of a stolen painting

1998
1970
1945
Welt 9 July 2017
Von Regine Mueller

Ein Stillleben von Balthasar van der Ast ist nach 75 Jahren endlich zurück nach Aachen gekehrt. Die Geschichte des Bildes ist ein Krimi, der mit einer geschmackvollen Kunstdiebin beginnt.


Balthasar van der Asts Stillleben: Man muss schon sehr genau hinschauen, um im Bild oben links die kleine Fliege zu erkennen

Nur schwach dringt das Sonnenlicht in die Werkstatt des Suermondt-Ludwig-Museums in Aachen. Auf einer Staffelei ruht das kostbare Stück. Balthasar van der Asts „Blumen in einer Wanli-Vase“, ein fein gemaltes Ölbild auf Eichenholz, gerade einmal 36,6 mal 27,7 Zentimeter klein. Aus der Nähe wirken die Blütenblätter noch duftiger, die Kirschen glänzen verführerisch und in den voll erblühten Rosenblättern schimmern zarte Äderchen. Auch Museumsdirektor Peter van den Brink kann sich nicht sattsehen. Bereits 1987 hatte er das Bild zum ersten Mal in der Hand. Da war er noch Kurator für die Delfter Schau „A Prosperous Past“. Seither hat ihn das Stillleben nicht mehr losgelassen. „Der Rahmen ist nicht original“, sagt er, „vermutlich ist er damals in Aachen geblieben.“

Damals meint 1942, als das Bild mit vielen anderen Kunstwerken der Stadt Aachen – darunter auch der Domschatz – in die Meißener Albrechtsburg ausgelagert wurde, um es vor Bombenangriffen zu schützen. Tatsächlich aber wurde die Kunst 1945 unter sowjetischer Besatzung beschlagnahmt, ein Großteil wurde in die UdSSR gebracht. Das Stillleben ereilte ein anderes Schicksal. Es gelangte in die Hände von Alice Tittel aus Meißen. Sie bediente sich aus der Sammlung, denn bei ihrer Einreise nach Kanada 1951 – inzwischen hieß sie Alice Siano – führte sie zwölf Gemälde mit sich, von denen mindestens zehn dem Aachener Museum gehörten. „Das Depot wurde nicht gut bewacht. Es kann sehr gut sein, dass bis heute Bilder aus der Sammlung bei Privatleuten sind. Und Alice Siano hat auf jeden Fall mit Geschmack und Kunstverstand gestohlen“, sagt van den Brink.

„Es gibt noch unendlich viel zu tun“

Die illegale Einreise nach Kanada war der Anfang einer Odyssee, die beileibe kein Einzelfall ist. Van den Brink ist inzwischen Experte in der Provenienzforschung und kann von etlichen mit krimineller Energie bewegten Bildern erzählen. „Da gibt es noch unendlich viel zu tun, es war ja nirgends alles lückenlos dokumentiert.“ Gerade hat er in Kiew drei Mappen mit 150 Blättern aus dem Besitz der Akademie der Künste in Berlin angesehen. „Im Verlustkatalog der Berliner stehen aber nur zwei Zeichnungen. Von den 150 Blättern wussten die Berliner gar nicht, dass sie verloren sind.“ Die Folgen der Naziherrschaft mit ihren Enteignungen aus jüdischem Besitz und die Verluste der Kriegswirren sind bislang nicht einmal sauber zu beziffern und erst recht nicht aufgearbeitet.

Allein über die fünf wichtigsten Verluste des Aachener Museums kann van den Brink Abenteuerliches berichten. „Dazu gehört auch ein Monet, der in Moskau hängt. Ich könnte Zugang zu der Familie bekommen. Aber das ist heikel, denn das sind die direkten Nachkommen des hohen russischen Offiziers, der das Bild vermutlich gestohlen hat. Und für Diebesgut kann ich keine öffentlichen Gelder zum Rückkauf einwerben.“

Verlorene Kunst als Schattengalerie

Ein vergleichbares Problem bestand bei dem Stillleben von Balthasar van der Ast glücklicherweise nicht. Die letzte Eigentümerin, eine New Yorker Sammlerin, konnte unmöglich wissen, dass es sich bei dem Stillleben um das gestohlene Bild aus dem Aachener Museum handelte, als sie es erwarb. Damals gingen alle Experten davon aus, dass ihr Bild eine zweite Version des Aachener Bildes war, das als verschollen galt.

Die fälschliche Verdoppelung des Bildes kam durch einen kuriosen Zufall zustande. Das Aachener Museum hat frühzeitig seine Bestände auf Glasplatten-Negativen fotografisch dokumentiert. Diese konnten in Schwarzweißabzügen reproduziert werden. Aus diesem Fundus stellte das Museum 2008 die Ausstellung „Schattengalerie“ zusammen, in der die verlorene Kunst auf Schwarz-Weiß-Kopien in Originalgröße wieder ins Gedächtnis gerufen wurde.

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Doch bereits 1965 war eine Reproduktion des Glasplatten-Negativs des Stilllebens in einem Katalog über verschollene Kunstwerke publiziert worden. Bei dieser Reproduktion wurde ein durch das Negativ quer verlaufender Riss wegretuschiert. Van der Brink deutet auf die Stelle, wo das Negativ den Riss aufwies: „Aber mit dem Riss wurde auch die kleine Fliege wegretuschiert. Im Katalog von 1965 ist das Bild ohne Fliege zu sehen. Die Fachwelt ging daher davon aus, dass das gestohlene Museumsstück weiterhin verschollen war, und auf dem Kunstmarkt eine zweite Version aufgetaucht war.“

„Eine geschickte Verschleierung“

Auf die Idee, dass es sich bei dem verschollenen Aachener Gemälde und jenem, das über einige Zwischenstationen in Amerika auftauchte, um ein und dasselbe Werk handeln könnte, kam erst 1997 der Gutachter Fred G. Meijer vom Niederländischen Institut für Kunstgeschichte in Den Haag. Er hatte Fotografien verglichen und die gut sichtbare Maserung des Holzes unter der feinen Malschicht als identisch analysiert. Außerdem ergaben seine Ermittlungen, dass sich das Gemälde bei dem New Yorker Kunsthändler Victor Sparks befunden hatte, der es wiederum 1952 von einem gewissen Kenneth Saltmarche von der Gallery of Fine Arts in Windsor, Ontario, gekauft hatte. Van den Brink: „Und jener Saltmarche war gut bekannt mit Alice Siano, die das Stillleben bei der Einreise dem Zoll verschwiegen hatte und es über Saltmarche – der als Museumsmann unverdächtig war – an Sparks verkaufen ließ. Eine geschickte Verschleierung.“

Seit 2008 der „Schattengalerie“-Katalog publiziert wurde, war das Stillleben auf dem legalen Kunstmarkt unverkäuflich. Und so konnte das Museum das Bild zu einem in diesen Fällen üblichen Zehntel des Marktpreises für 400.000 Dollar zurückkaufen. Das Geld kam aus öffentlichen Kassen, Stiftungen und privaten Spenden. So nahm dieser Bilder-Krimi doch noch ein glückliches Ende. Und van den Brink wird weiter suchen und forschen: „Das ist enorm spannend.“

https://www.welt.de/regionales/nrw/article166409730/Die-Geschichte-eines-gestohlenen-Bildes.html
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