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Eine Vergangenheit, die nicht vergeht - A past that does not die

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Sueddeutsche Zeitung 4 December 2017
von Michael Kohler

Nach der Absage einer Ausstellung zu Max Stern, einem von den Nazis ins kanadische Exil getriebenen Kunsthändler, kämpft die Stadt Düsseldorf um ihren Ruf. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Es gibt in Deutschland wohl keinen Oberbürgermeister, der sich gerne nachsagen lässt, in der Tradition der Nazi-Vergangenheit zu stehen. Genau diesen Vorwurf musste sich aber Thomas Geisel ausgerechnet bei der offiziellen Düsseldorfer Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht gefallen lassen: In seiner Gedenkrede machte Oded Horowitz, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, die von Geisel durchgesetzte Absage der Max- Stern-Ausstellung des Düsseldorfer Stadtmuseums publik und schloss daraus, "dass es immer noch Bereiche gibt, bei denen die Vergangenheit Gegenwart geblieben und noch nicht abgeschlossen ist".

Seit dieser Rede befindet sich die Stadt Düsseldorf im Krisenmodus. Zunächst wies sie in einer dürren Erklärung darauf hin, dass die Ausstellung zu Max Stern, einem von den Nazis 1937 ins kanadische Exil getriebenen Düsseldorfer Kunsthändler, nicht ersatzlos gestrichen, sondern durch ein wissenschaftliches Symposium ersetzt werde, da dieses Format deutlich besser geeignet sei, dem Themenkomplex Max Stern, NS-Raubkunst und Restitution gerecht zu werden. Später schob die städtische Pressestelle dann eine ausführliche Begründung nach, in der auf die langjährigen Bemühungen der Stadt Düsseldorf bei der Aufklärung von NS-Raubkunstfällen hingewiesen wurde. Und im Gespräch mit dieser Zeitung betont der Düsseldorfer Kulturdezernent Hans-Georg Lohe das Selbstverständliche: "Es steht außer Frage, dass Max Stern verfolgt wurde."

Allerdings findet die Stadt mit ihren Beteuerungen, sie wolle aufklären und nicht vertuschen, kaum Gehör. Beinahe täglich gehen Protestnoten jüdischer Organisationen im Büro des Oberbürgermeisters ein, Kulturstaatsministerin Monika Grütters ließ über die New York Times ausrichten, sie finde die Absage höchst bedauerlich, und wenn ausländische Medien über den Fall berichten, ist zwar viel davon die Rede, dass die Stadt Düsseldorf ein "verfolgungsbedingt entzogenes" Selbstbildnis Wilhelm von Schadows an die Erben Max Sterns zurückgeben musste, aber sehr wenig davon, dass die Stadt den Erben, wie Hans-Georg Lohe der SZ versichert, im Fall eines weiteren umstrittenen Schadow-Gemäldes ("Bildnis der Kinder des Künstlers") bereits vor Monaten vorgeschlagen hat, mit der Limbach-Kommission die letzte Instanz in der Beurteilung von NS-Raubkunstfällen in Deutschland anzurufen. So bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem eines hängen: Die Stadt Düsseldorf sagte eine Ausstellung über einen von den Nazis verfolgten jüdischen Kunsthändler ab, weil ihr deren Tendenz nicht passte.

Unbeschadet dürfte keiner der Verantwortlichen aus der Affäre hervorgehen

Die Idee zur Düsseldorfer Ausstellung wurde 2013 geboren, als die Stadt Sterns Erben das Schadow-Selbstbildnis zurückgab und dieses als Leihgabe im Stadtmuseum verblieb. Seitdem arbeiten Museen, Kunsthistoriker und Institutionen in Düsseldorf, Kanada und Israel an der Stern-Ausstellung, die von Februar bis Juli 2018 in Düsseldorf und danach in Haifa und Montreal gezeigt werden sollte. Die wissenschaftliche Federführung lag dabei wohl nicht bei Susanne Anna, der Direktorin des Stadtmuseums, die sich zu den Vorgängen nicht äußern will, sondern beim kanadischen Max Stern Art Restitution Project, einem von den Stern-Erben an der Concordia Universität in Montreal gegründeten Forschungsprojekt, das in den letzten Jahren die Rückgabe mehrerer Gemälde erstritt. Auch die - allerdings erst im Herbst 2016 berufene - städtische Provenienzforscherin Jasmin Hartmann war nicht an der Ausstellung beteiligt. Diese Ausgliederung kuratorischer Verantwortung meint Lohe, wenn er sagt, die Aufarbeitung des Restitutionsfalls Max Stern brauche "eine breitere wissenschaftliche Basis".

Tatsächlich ist es ungewöhnlich, dass sich ein städtisches Museum derart umfassend mit Ausstellungsinhalten beliefern lässt. Man kann darin ein Zeichen dafür sehen, dass das Stadtmuseum der Aufgabe nicht gewachsen war - oder einen vorbildlichen Vertrauensbeweis seitens des Museums, das mit den Stern-Erben dem Vernehmen nach stets gut zusammengearbeitet hat. Ob die Ausstellung so einseitig ausgefallen wäre, wie es die Düsseldorfer Stadtspitze offenbar vermutet, lässt sich nun nicht mehr beurteilen. Aus dem Ausstellungskonzept, das der SZ vorliegt, lässt sich dies jedenfalls nicht herleiten, und dass es dem Max Stern Art Restitution Project an der nötigen Expertise fehlt, hat bisher noch niemand behauptet. Oberbürgermeister Thomas Geisel ist sich der Sache trotzdem sicher: In der Rheinischen Post wird er mit den Worten zitiert, es habe "die Gefahr" bestanden, "dass man die Ausstellung in dem Sinne hätte missverstehen können, als teilten wir ausschließlich den Standpunkt des Max Stern Art Restitution Projects und würden diesen als einzigen richtigen ansehen".

So reiht sich Düsseldorf in die Reihe deutscher Städte ein, die bei der Aufarbeitung von NS-Raubkunst-Fällen in den eigenen Museen eine unglückliche Figur machen. Sollte Geisel tatsächlich den guten Ruf Düsseldorfs aus Spiel gesetzt haben, weil er befürchtete, die Stern-Ausstellung könne eine präjudizierende Wirkung auf ein laufendes Restitutionsverfahren haben? Oder hat er die möglichen Reaktionen schlichtweg unterschätzt? Erstaunlich ist auch die Erklärung, die der Düsseldorfer Kulturdezernent für die Absage kurz vor Eröffnung liefert: Er habe Susanne Anna erstmals Ende August 2017 nach Ausstellungsdetails gefragt und diese Anfang Oktober erhalten. "Mir war bis dahin nicht bekannt", so Lohe, "dass die Konzeption beinahe ausschließlich beim Max Stern Art Restitution Project liegt." Nun dürfte niemand von einem Kulturdezernenten erwarten, dass er sich laufend nach Ausstellungen über die Reformation, die Kunst der Werbung oder einen Schützenverein erkundigt (das waren die letzten im Stadtmuseum). Bei einer kulturpolitisch weitreichenden Ausstellung wie der zu Stern wundert einen Lohes Desinteresse aber schon.

Unbeschädigt geht keiner der Verantwortlichen aus der Affäre hervor. Das aber muss nicht heißen, dass die Verstimmungen nicht aus der Welt zu räumen wären. Auf einen eleganten Ausweg weist die nordrhein-westfälische Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen hin: "Oft finden Ausstellungen zu Restitutionsprojekten auf Grundlage eines vorher abgehaltenen wissenschaftlichen Symposiums statt." In eine nachgeholte Max-Stern-Ausstellung könnten dann die Erkenntnisse gemeinsamer Forschungsarbeiten einfließen, so Pfeiffer-Poensgen. Entscheidend für den Erfolg eines solchen Unternehmens sei gegenseitige Transparenz, sagt die Ministerin: "Man muss so offen wie möglich miteinander umgehen."

http://www.sueddeutsche.de/kultur/raubkunst-eine-vergangenheit-die-nicht-vergeht-1.3777305
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