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Stadtbibliothek sucht Nazi-Raubgut - Hanover City Library searches out Nazi loot

1998
1970
1945
Hannoversche Allgemeine 10 March 2018
Von Gunnar Menkens

Die Stadtbibliothek Hannover hat etliche Bände im Bestand, die Nazis ihren rechtmäßigen Besitzern raubten. Eine Historikerin forscht nach, welche Provenienzen es sind. Sie hat bereits „hunderte hochverdächtige Bücher“gefunden.


Historikerin Jenka Fuchs forscht in der Stadtbibliothek nach Nazi-Raubgut.

Hannover.  Die erste Spur zu der jüdischen Ärztin Johanna Maass und ihrer ermordeten Schwester Louise trägt die Nummer 52/7228. Ein Archivar der Stadtbibliothek notierte diese Ziffern, als er im Jahr 1952 in buchhalterischer Schönschrift im amtlichen Zugangsbuch ein neues Exemplar eintrug. Arthur Schnitzler, Theaterstücke, Band drei der gesammelten Werke, in der Ausgabe von 1912.  Die Bücherei musste keinen Pfennig für das antiquarische Stück zahlen, es wurde als Geschenk vermerkt. 

Es war nicht das einzige. Johanna Maass interessierte sich auch für Wissenschaft. Sie besaß zwei Bände des Mediziners und Philosophen Ernst Haeckel, der in seiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“ die Ideen von Charles Darwin weiter verfolgte. „Weihnachten 88/89“ schrieb die junge Frau aus Berlin in den Einband der Bücher, die sie im vorvergangenen Jahrhundert vielleicht geschenkt bekam. Später, 1938, zog sie zu ihrer Schwester nach Hannover in die Brabeckstraße. Die Ärztin Maass durfte unter den Nazis nur noch als „Krankenbehandlerin“ in so genannten „Judenhäusern“ arbeiten. Zwei Jahre nach ihrem Umzug starb sie in Hannover, offiziell eines natürlichen Todes. Louise wurde 1941 nach Riga in ein Ghetto deportiert und dort ermordet. 

Herkunft der Bücher interessierte nicht

Die Bücher, letzte Spuren ihrer am Ende wohl verzweifelten Leben, blieben in Hannover. Jahrzehntelang konnten Leser die Bände in der Stadtbibliothek ausleihen, ohne Hinweise auf Geschichte und Herkunft der Bücher zu finden. Bücher, die Johanna Maass gehörten, möglicher Verwandtschaft, aber mit Sicherheit nicht rechtmäßig der Stadt Hannover. 

Die Stadtbibliothek Hannover hat etliche Bände im Bestand, die Nazis ihren Besitzern raubten.

Doch niemand forschte damals nach über die Herkunft von Schnitzlers Theaterstücken und Haeckels Schöpfungsgeschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Stadtbibliothek bemüht, den Bestand aufzufüllen, nachdem beim verheerenden Bombenangriff im Herbst 1943 nahezu 100.000 der rund 180.000 Bände verbrannt waren. Und die Vermutung liegt nahe, dass man es nach dem Krieg auch so genau nicht wissen wollte, woher das neue Material stammte. In Zugangsbüchern nach Kriegsende gibt es ganze Spalten, in denen Bücher aus Beständen der ehemaligen Gestapo notiert sind, eingeliefert von alliierten Soldaten auch aus Nazi-Archiven wie der hannoverschen Anstalt für germanische Volks- und Rassenkunde. 

„Es waren oft Exemplare von verfolgten Menschen wie Juden, politischen Gegnern, Freimauern“, sagt Jenka Fuchs. Die Historikerin fahndet in der Stadtbibliothek, welche Bücher im Bestand womöglich Raubgut der Nationalsozialisten waren. Provenienzforschung nennt sich diese Wissenschaft, die die Herkunft ihres Gegenstandes klären will. Das gilt für Hannovers Bibliothek zunächst für 1945 bis 1955, der Zeitspanne mit den größten Zuwächsen in den Regalen, etwa 96.000 Bände. Seit einem halben Jahr ist sie dabei und klar ist, dass sich etliches im Magazin befindet, was mit einiger Wahrscheinlichkeit seinen wahren Besitzern gestohlen wurde.

Spurensuche in Büchern

Bei 25 Büchern hat Jenka Fuchs bislang „nachweislich Raubgut“ und dessen tatsächliche Eigentümer herausgefunden. Doch es gibt mehr Stoff zweifelhafter Herkunft, sie spricht von „mehreren hundert hochverdächtigen Büchern“. Bei manchen Exemplaren ist es leicht, eine Quelle festzustellen. Die neuen Herrscher in Deutschland brüsteten sich mit ihren Raubzügen, Taten, für die sie sogar einen eigenen Stempel entwarfen. „Von der geheimen Staatspolizei beschlagnahmt und dem Partei-Archiv der NSDAP Gau Süd Hannover-Braunschweig zur Verfügung gestellt“. Doch damit sind frühere Besitzer noch nicht gefunden, schon gar nicht mögliche Nachkommen. 

 

Jenka Fuchs muss Hinweise in den Büchern finden. Namensstempel, Widmungen, handschriftliche Einträge aus denen sich neue Wege ergeben könnten. Recherchen etwa im Internet, dem Staatsarchiv, amtlichen Meldeunterlagen und internationalem Suchdienst. Johanna Maass hatte ihre Bücher, die sie aus Berlin mit nach Hannover brachte, mit Exlibris-Marken versehen, eingeklebte Zettel mit ihrem Namen. Fuchs glaubt, dass es Chancen gibt, lebende Familienangehörige der Schwestern zu finden und ihnen die Bücher, Erinnerungsstücke und Zeitgeschichte, zurückzugeben. Sie hofft auf Archivquellen oder Online-Datenbanken, in denen mit einigem Glück Nachfahren oder Geneaologen eingestellte Daten über Johanna und Louise Maass finden. 

96.000 Bände also sind zu erforschen. Und dann wären da noch die Werke, die die Stadtbibliothek zwischen 1933 und 1945 in ihren Bestand aufnahm. Es war die Zeit, in der Juden systematisch ausgegrenzt, entrechtet, vertrieben und ermordet wurden. Wissenschaftler glauben, dass Hannovers Bücherei während dieser zwölf Jahre stark von den Raubzügen der Nazis profitierte. Carola Schelle-Wolff, Leiterin der Bibliothek, schätzt, dass weitere 50.000 Bände durchzusehen sind. „Es wäre ein zweiter notwendiger Schritt.“ 

Sprengel Museum zeigt Provenienzforschung

Das Sprengel-Museum plant von Oktober 2018 an eine Ausstellung über die Provenienzforschung im eigenen Haus. Diese Suche nach der Herkunft von Kunstwerken betrifft die Zeit von 1933 bis 1945 und die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Im Mittelpunkt der Ausstellung soll eine Sammlung von mehr als 120 Werken stehen, die das Museum 1949 vom Berliner Immobilienhändler Conrad Doebbeke erwarb. Daraus gab das Museum 2007 ein Gemälde an Nachkommen des früheren Besitzers zurück.

Zehn Jahre später verlor das Sprengel-Museum ein Aquarell an Erben des jüdischen Unternehmers Max Rüdenberg. Eine Kommission kam zu dem Urteil, dass Nationalsozialisten das Bild aus dem Eigentum der Familie Rüdenberg gestohlen hatten. Die Ausstellung will die „methodische Detektivarbeit“ darstellen und Werke aus der Doebbeke-Sammlung zeigen.


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