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Welche Rechte hat Cornelius Gurlitt - What Rights does Cornelius Gurlitt Have

1998
1970
1945
Die Welt 17 November 2013

Noch ist im Kunstskandal keine Anklage erhoben worden. Reinhard Birkenstock, der Anwalt des Kunstfälschers Wolfgang Beltracchi, überlegt hier schon einmal, welche Rechte Gurlitt geltend machen könnte.



Dr. Reinhard Birkenstock war der Anwalt des Kunstfälschers Wolfgang Beltracchi

Ich bin nicht der Strafverteidiger von Cornelius Gurlitt. Es soll hier auch nicht darum gehen, Herrn Gurlitt oder einem Anwalt, der ihn vertreten will, Nachhilfe zu geben. Ein Verteidiger hat sich zunächst mit der Persönlichkeit desjenigen auseinanderzusetzen, um den es geht.

Dazu kann ich wenig sagen, mein Wissen zur Causa Gurlitt basiert auf Zeitungslektüre. Ich kenne Herrn Gurlitt nicht. Ich weiß nicht, wie seine Interessenlage ist oder wie er sich gerade fühlt. Ich weiß nur, dass er bei Kriegsende erst dreizehn Jahre alt war.

Ich bin also nicht der Strafverteidiger von Herrn Gurlitt. Dennoch beschäftigt mich die Frage nach den Rechten des Beschuldigten. Denn sie ist bisher zu kurz gekommen. Die Kommentatoren beschränken sich vor allem auf die Überlegung: Wie kann man dafür sorgen, dass möglichst viele Ursprungseigentümer oder deren Nachfahren die Bilder zurück erhalten. Diese Überlegung ist natürlich berechtigt, nach allem, was wir vom rücksichtlosen Umgang der Nazis mit der Kunst und ihren Eigentümern wissen.

Keine pauschale Bewertung der Bilder möglich

Ich halte es aber auch vor diesem belastenden Hintergrund für geboten, zu fragen: Welche Rechte hat Cornelius Gurlitt? Ein Recht, das ihm allem Anschein nach bleibt, ist das Recht des gutgläubigen Erwerbs, welches dem Unterschlagungsvorwurf gegen Gurlitt den Boden entziehen könnte.

Hier muss man allerdings differenzieren. Ein Verteidiger Gurlitts, der die Akten studiert und die Argumentation der Staatsanwaltschaft Augsburg auf ihre Stichhaltigkeit prüft, wird wohl keine pauschale Bewertung aller 1.400 bei Gurlitt gefundenen Bilder vornehmen können. Denn es gibt einerseits jene Bilder, die während des Dritten Reichs auf staatliche Anordnung aus den Museen herausgeholt, in der Ausstellung "Entartete Kunst" gezeigt und danach auf dem internationalen Kunstmarkt verkauft wurden.

Beschlagnahmt wurden diese Bilder durch eine staatliche Verfügung, die man im Dritten Reich nachträglich durch ein Gesetz rechtfertigte, das auch in der Bundesrepublik nicht für unzulässig erklärt wurde. Bei diesen Bildern ist die Rechtslage eindeutig: Ein Rückgabeanspruch der Museen besteht nicht.

Wo gutgläubiger Erwerb nicht möglich ist

Andererseits sind da die Bilder, die Privateigentümern im Dritten Reich mit Gewalt oder durch sittenwidrige Verträge abgenommen wurden. In diesem Fall muss natürlich der Weg jedes einzelnen Bildes genau verfolgt werden.

Wenn ich aber davon ausgehe, dass jemandem ein Bild mit Gewalt abgenommen wurde, dann kann durch diesen Akt rechtlich kein Eigentumserwerb stattfinden. Selbst gutgläubiger Erwerb ist bei abhanden gekommenen Gegenständen nicht möglich – und abhanden gekommen ist nach Paragraf 935 des Bürgerlichen Gesetzbuchs etwas, das gestohlen oder geraubt wurde.

Demnach kann auch ein Erbe wie Cornelius Gurlitt nicht gutgläubig Eigentum an Bildern erwerben, die den ursprünglichen Eigentümern gestohlen oder geraubt worden sind. Das Gesetz lässt hier nur eine Ausnahme zu, wenn ein solches Bild in einer staatlich konzessionierten Auktion ersteigert wurde.

Ist eine Herausgabe von Fristen abhängig?

Es ist also denkbar, dass Cornelius Gurlitt bis zur Beschlagnahmung Kunstwerke besessen hat, die im Sinne des Rechts nicht sein Eigentum waren. Denn der Ursprungseigentümer bleibt Eigentümer der ihm gestohlenen oder geraubten Gegenstände. Da gibt es keine Verjährung. Hier trifft das Recht die Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz: Das Eigentum bleibt beim Ursprungseigentümer, das ist sein Eigentumsrecht. Der Besitz ist jedoch durch den Raub oder Diebstahl verloren gegangen und ist jetzt dort, wo der Gegenstand vorgefunden wurde.

Grundsätzlich kann nun der Eigentümer vom Besitzer die Herausgabe des Bildes verlangen. Das steht so in Paragraf 985 BGB. Und jetzt begeben wir uns auf etwas dünnes Eis. Es gibt eine rechtliche Auffassung, die besagt, dass dieses Herausgabeverlangen nach Ablauf einer bestimmten Zeit nicht mehr erhoben werden kann. Eine Einzelmeinung erwähnt eine Frist von dreißig Jahren, aber das ist nur eine mögliche Meinung, und ich weiß nicht, ob sie in diesem besonderen Fall greifen würde.

Man müsste die besonderen Umstände der Naziherrschaft berücksichtigen sowie die Tatsache, dass die Bilder so lange verborgen waren. Möglicherweise käme das Gericht zu einer anderen Auffassung, nämlich der, dass es gar keine Verfristung des Herausgabeverlangens gegen Gurlitt gibt.

Kann die Beweislast umgedreht werden?

In den Medien ist nun die Frage aufgekommen, ob man im aktuellen Fall nicht die Beweislast umdrehen könne, so dass Cornelius Gurlitt die Aufgabe zufiele, die Rechtmäßigkeit seines Bilderbesitzes nachzuweisen. Dieses Gedankenspiel hat seinen Ursprung in Vereinbarungen, welche die Bundesrepublik wegen ihrer historischen Verantwortung getroffen hat und die sich auf das Verhältnis ursprünglicher Bildeigentümer zum Staat beziehen. Sie betrifft zum Beispiel Raubkunst aus Gebieten, die die Deutschen im Zweiten Weltkrieg besetzt hatten.

In der "Washingtoner Erklärung" von 1998 hat sich der deutsche Staat auf eine Regelung eingelassen, die sinngemäß besagt: Wenn die Umstände dafür sprechen, dass das Bild zu Unrecht vom Staat erworben wurde, dann kehrt sich die Beweislast um. Nicht der ursprüngliche Eigentümer muss einen Raub oder sittenwidrigen Verkauf nachweisen, sondern der Staat das Gegenteil.

Ob diese Regel allerdings auch für Privatmenschen wie Cornelius Gurlitt gilt, ist zu bezweifeln. Denn ein Privatmensch hat natürlich nicht die gleichen politischen Bindungen, die der Staat aus historischer Verantwortung hat. Er kann sich sehr viel egoistischer um seine eigenen Rechte kümmern.

Jedes Bild muss genau geprüft werden

Wenn es sich nicht um ein Bild handelt, das im Sinne des Gesetzes abhanden gekommen ist, dann kann der aktuelle Besitzer sagen: "Das ist mein Bild, ich habe es gutgläubig erworben." Und zwar so lange, bis man ihm nachweist, dass das Bild geraubt wurde oder er um die Sittenwidrigkeit des Kaufs wusste.

Sittenwidrig wäre ein Kauf, wenn die Konditionen für den Verkäufer so ungünstig sind, dass es sich in Wahrheit nicht um einen Kauf handelt, sondern nur um den Verdeckungsversuch eines de facto durchgeführten Raubs. Die Frage, ob Kunst in der Sammlung Gurlitt gutgläubig oder sittenwidrig erworben wurde, wird man für jedes Bild genau prüfen müssen.

Cornelius Gurlitt war bei Kriegsende zwar erst dreizehn, aber sein Vater Hildebrand Gurlitt, der die Bilder als ein bevorzugter Kunsthändler der Nazis erworben hat, starb erst 1956. Da war der Sohn dann schon 25. Wenn es um die Frage der Gutgläubigkeit oder Bösgläubigkeit geht, wird der Staatsanwalt möglicherweise auch diese Zeit betrachten und die Frage stellen, was Herr Gurlitt junior von seinem Vater nach dem Krieg noch erfahren hat.

Cornelius Gurlitt nicht vorschnell verurteilen

Dann gibt es die Aussage der Mutter, die in den Sechzigerjahren von der Wiedergutmachungsstelle Berlin zum Verbleib einer Spitzweg-Zeichnung befragt wurde. Helene Gurlitt gab damals an, die Bestände der Kunsthandlung Gurlitt seien bei der Bombardierung Dresdens verbrannt. Dabei befand sich die Zeichnung damals in der Familiensammlung. Das ist natürlich ein Indiz, das die Mutter erheblich belastet und von einem Gericht möglicherweise als Beweis angesehen wird.

Aber auch dann bleibt noch die Frage zu beantworten, ob das dem Sohn zuzurechnen ist. Auch die Wohnsituation in einer nicht angemeldeten Münchner Wohnung und die jahrzehntelange Verheimlichung der Sammlung sind Indizien, die gegen Gurlitts Gutgläubigkeit sprechen. Auf der anderen Seite könnte ein Strafverteidiger argumentieren, dass sein Mandant im Verborgenen blieb, weil er möglicherweise Angst vor Einbrechern und Kunsträubern hatte.

Natürlich hat dieser Fall neben der rechtlichen auch eine moralische Dimension. Solange man nicht Cornelius Gurlitt ist, fällt es leicht, sich den Kopf zu zerbrechen. So habe auch ich den Impuls zu sagen: Die Bilder sollen dahin zurück, wo die Nazis sie abgeholt haben. Im Wissen um jene Zeit sollte man als Nachfahre das bisschen, was man vielleicht wiedergutmachen kann, schleunigst tun. Und doch darf uns das im Rechtsstaat nicht daran hindern, die Rechte des Menschen Cornelius Gurlitt ernstzunehmen. Wir sollten ihn nicht vorschnell verurteilen.

Reinhard Birkenstock ist Rechtsanwalt und lebt in Köln. Er hat den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi vertreten.

English Translation

No formal charges have been filed yet in the art scandal. Reinhard Birkenstock, lawyer of the art forger Wolfgang Beltracchi, contemplates what rights Gurlitt could have.

I am not the defence counsel for Cornelius Gurlitt. This is not intended to be advice for Mr Gurlitt or the lawyer who wants to represent him. First a defence lawyer has to deal with the personality of the person concerned.

There is little I can say about that, my knowledge about the Gurlitt case is based on reading the newspapers. I do not know Mr Gurlitt. I don’t know what his interests are, or how he feels right now. I only know that he was only thirteen years old at the end of the war.

So I am not the criminal defence lawyer for Mr Gurlitt.

Nevertheless I can consider the question of what the rights of the accused are. Because this hasn’t been addressed yet. The commentators limit themselves mainly to the question: How can you ensure that as many original owners as possible, or their heirs, can have the paintings returned to them. This is of course a valid consideration. After all we know of the ruthless dealings of the Nazis with art and its owners.

A general assessment of the painting collection is not feasible

Notwithstanding their incriminating background I have to ask: What rights does Cornelius Gurlitt have? One right that appears to remain is that of an acquisition in good faith, which could deprive the accusations of misappropriation against Gurlitt of their basis.

Here one must differentiate, however. A defence counsel reviewing the files and the arguments of the Augsburg prosecutor for their soundness, will probably not  be able to make a general assessment of all 1,400 paintings found with Gurlitt. Because on the one hand the collection includes paintings that were taken from museums during the Third Reich by official order, displayed at the exhibit ‘Degenerate Art’, and then sold off on the international art market.

These paintings were confiscated through a State act that was legitimized retroactively by a law which has not been voided in the Federal Republic.  As for these paintings the law is clear: The museums have no claim for their restitution. 

When acquisition in good faith is not possible

On the other hand, there are paintings that were taken by force or by means of immoral contracts from private owners. In this case, of course, the path of each painting has to be traced diligently.

But when I assume that a painting was taken from someone by force, no good faith acquisition of title can follow from this act. Even an acquisition in good faith is not possible for lost objects – and ‘lost’ is defined in Paragraph 935 BGB [German Civil Code] as something that was stolen or looted.

Accordingly, also an heir like Cornelius Gurlitt cannot acquire good faith title to paintings that were stolen or looted from the original owners. The law only allows one exception to this, when such a paintings was acquired in a state-licensed auction.

Is a claim for restitution subject to a statute of limitation?

It is therefore conceivable that Cornelius Gurlitt possessed artworks that he did not have title to under the law, because the original owner retains title to the objects that were stolen or looted from him. There is no statute of limitations. Here the law distinguishes between title and possession: Title remains with the original owner, s/he retains the right to the property. The possession, however, was lost through the looting or theft and is now where the object has been located.

In general, the titleholder can now demand return of the painting from the possessor. This is stated in Paragraph 985 BGB [German Civil Code]. And now we step on somewhat thin ice. There is a legal view that states that such a demand for return cannot be made after a certain period of time has passed. One singular opinion states for example a period of thirty years, but that is only one single opinion, and I don’t know whether it would apply to this particular case.

One would have to take into account the special circumstances of the Nazi regime and the fact that the paintings were hidden for such a long time. Perhaps the court would come to a different conclusion, namely that no period applies to the restitution claims against Gurlitt.

Can the burden of proof be reversed?

In the media, the issue has come up now of what would happen if you could not reverse the burden of proof in the case at hand, so that Gurlitt would not have to prove that he possessed the paintings rightfully. This thinking has its origin in the agreements that the Federal Republic  made because of its historic responsibility and that deal with the relationship between the original owner and the state. It concerns for example art that was looted from territories that the Germans occupied during the Second World War.

In the Washington Agreement‘ of 1998, Germany agreed to a provision that in effect states: If the circumstances indicate that the has painting has been wrongfully acquired by the State, then the burden of proof is to be reversed. Then it is not the original owner who must prove the looting or the immorality of the sale, but the state has to disprove it.

However, whether this rule also applies to private individuals, such as Cornelius Gurlitt, is to be doubted. For a private individual, of course, does not have the same political ties that the State has out of its historical responsibility. He can be much more selfish about his own rights.

Each painting must be checked carefully

If it is a not a case of a painting that has been lost in the legal sense, then the original owner can say: ‘This is my painting, I acquired it in good faith.’ And this he can do until you can prove that the painting was looted or that he knew about the immorality of the sale.

A purchase would be immoral when the conditions of the sale are so unfavourable for the seller, that it is in fact not a purchase but rather an attempted concealment of a de facto robbery. The question of whether art was acquired in good faith or immorally will have to be diligently checked for each painting.

Cornelius Gurlitt was only 13 at the end of the war, but his father Hildebrand Gurlitt, who as a preferred art dealer of the Nazis had acquired the paintings, did not die till 1956. By then his son was already 25. When it comes to questions of good faith or bad faith, the prosecutor may also take this period into consideration and ask the question what Gurlitt junior had learned from this father after the war.

No rash judgements about Cornelius Gurlitt

Then there is the affidavit by the mother, who was interviewed in the 1960s by the Compensation Office in Berlin in connection to the whereabouts of a Spitzweg drawing. Helene Gurlitt stated at the time that the stock of the Gurlitt art dealership had been destroyed by fire during the bombing of Dresden. In fact, however, at the time the drawing was part of the family collection. This is of course an indication, that severely weighs against the mother and that may be admitted into evidence by a court.

But even then the question remains whether this can be attributed to the son. Also the housing situation in an unregistered Munich apartment and the decade-long concealment of the collection are indications that weigh against Gurlitt’s good faith. On the other hand a defense lawyer could argue that his client remained in hiding because he was possibly afraid of burglars and art thieves.

Of course this case has beside the legal dimension also a moral one. Unless one is Cornelius Gurlitt, it is easy to rack one’s brains. I too have the impulse to say: These paintings should be returned to whoever the Nazis took them from. In the knowledge of that time, as a descendant, you should do as soon as possible what one can do to make compensation And yet that shouldn’t preclude us in a State under the rule of law to also take the rights of the human Cornelius Gurlitt seriously. We should not make rash judgments about him.

Reinhard Birkenstock is a lawyer and lives in Cologne. He represented the art forger Wolfgang Beltracchi.




http://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article121980701/Welche-Rechte-hat-Cornelius-Gurlitt.html
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