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Task-Force zum Münchner Kunstschatz: Der Mann, der den Fall Gurlitt ordnen soll - Task Force for the Gurlitt collection: The Man who will be in Charge

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Der Spiegel 18 November 2013
Von Michael Sontheimer

Eine wissenschaftliche Task-Force soll klären, woher die Kunstwerke aus dem Gurlitt-Fund stammen. Ihr Leiter ist der Diplom-Kunstwissenschaftler Uwe Hartmann. Die weitere Besetzung der Expertenrunde soll geheim bleiben. Klar ist: Vertreter der Jewish Claims Conference sind zunächst nicht dabei.

Berlin - Wer Uwe Hartmann in seinem Büro besuchen will, braucht genaue Instruktionen. Auf der Museumsinsel in Berlin-Mitte geht es durch den Hintereingang, dann durch ein paar Räume des Museums vorbei am Stadttor von Babylon. In dem Haus, in dem der Pergamon-Altar mehr Besucher anlockt als jedes andere Museum in Deutschland, leitet Hartmann eine Institution mit fünf Mitarbeitern, die einen absurd langen Namen trägt: Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/-forschung am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin - Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Man sollte Uwe Hartmann, Diplom-Kunstwissenschaftler mit Vorliebe für Tweed-Jacketts, nicht unterschätzen. Noch weniger aber sollte man seine aktuelle Aufgabe unterschätzen. Als wissenschaftlicher Leiter einer Task-Force soll er Licht in das Dunkel des Falles bringen, den Kunstliebhaber in aller Welt seit zwei Wochen gebannt verfolgen, den Fall Gurlitt.

Bereits Anfang November hatte Hartmann zu dem Fall öffentlich Stellung bezogen: "In vielen Fällen handelt es sich nicht um NS-Raubkunst. Es muss davon ausgegangen werden, dass Herr Gurlitt rechtmäßig über diesen Besitz verfügt", sagte er in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

Hartmann soll die Kohlen für die Staatsanwälte in Augsburg aus dem Feuer holen, die Ende Februar 2012 die Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt auf einer sehr fragwürdigen Rechtsgrundlage beschlagnahmt haben; für die bayerische Landesregierung und für die Beamten des Bundesfinanzministeriums, die als erste in der Hauptstadt über den sensationellen Fund informiert worden waren, aber nichts taten und schwiegen - also für die Bundesrepublik Deutschland.

Kritik der Opferfamilien

Deren führenden Vertretern kommt es gar nicht gelegen, dass Anwälte von Opferfamilien deutsche Behörden kritisieren, weil diese den größten Fund von Raubkunst seit 1945 bald zwei Jahre geheim gehalten haben. Nach den Protesten des Jüdischen Weltkongresses schrillten vergangene Woche im Auswärtigen Amt in Berlin die Alarmglocken.

Die Beamten fragten sich: Wie werden frühere Eigentümer die Berichte von der versteckten Raubkunst aufnehmen? Man hatte doch alles getan, um die Bundesrepublik als gelehrigen und reuigen Musterschüler zu präsentieren, der sich der Nazi-Vergangenheit stellt und die Opfer entschädigt.

Guido Westerwelle warnte am Rande eines Besuchs in Indien vor einem Schaden für das bundesdeutsche Ansehen. "Wir sollten die Sensibilität des Themas in der Welt nicht unterschätzen", sagte der Noch-Außenminister. Und: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Vertrauen verspielen, das in langen Jahrzehnten aufgebaut wurde." Aber was nun tun? Westerwelle forderte: "Das Gebot der Stunde ist jetzt Transparenz."

Auch Merkels Sprecher Steffen Seibert tat das, was in solchen Fällen immer getan wird, er versprach schnelle Aufklärung. "Wir wollen das vorantreiben", erklärte er. Nach den mahnenden Worten von höchster Stelle tagte in Berlin ein inoffizieller Krisenstab der aufgeschreckten, zuständigen Behörden: Vertreter des Bundesfinanzministeriums, Abgesandte des bayerischen Justiz- und Kulturministeriums, ein Delegierter aus Nordrhein-Westfalen und Beamte des Berliner Beauftragten für Kultur und Medien (BKM).

Die Bayern, deren Ermittler die Sache verbockt hatten, versuchten den Schwarzen Peter den Berlinern Ministerialbeamten zuzuschieben. Die seien doch von Anfang an informiert gewesen.

Fünf weitere Kunsthistoriker

In Wirklichkeit hatten zum Beispiel die Beamten des BKM zwar die Expertin für "Entartete Kunst" Meike Hoffmann den Augsburger Staatsanwälten vermittelt. Die hatte ihren Abschlussbericht ausschließlich an die Augsburger Staatsanwaltschaft gesandt. Die mit Kunstrestitution befassten Berliner Beamten konnten dann Zitate aus Hoffmanns Bericht lediglich im "Focus" lesen.

Die aufgescheuchte Runde vereinbarte schließlich die Gründung einer Task-Force, einer Gruppe von Experten unter der politischen Führung der promovierten Juristin Ingeborg Berggreen-Merkel, von 2008 bis April dieses Jahres Stellvertreterin des Staatsministers für Kultur Bernd Neumann.

Als wissenschaftlicher Leiter der Task-Force fungiert Uwe Hartmann. Neben Meike Hoffmann werden fünf weitere Kunsthistoriker auf der Grundlage von Werkverträgen angeheuert oder von ihren Museen abgeordnet werden. Die bayerischen Vertreter wollen den Kunsthistorikern unbedingt noch einen Staatsanwalt an die Seite stellen. Wer genau Mitglied der Task-Force ist, soll allerdings geheim bleiben. So weit geht dann die von Guido Westerwelle geforderte Transparenz auch nicht.

Frau Berggreen-Merkel verkündete als Erstes, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg schnellstmöglich 576 Bilder, bei denen der Verdacht besteht, dass es sich um Raubkunst handelt, auf www.lostart.de im Internet präsentieren wird. Die Staatsanwälte werden allerdings noch erklären müssen, auf welcher rechtlichen Grundlage die Bilder im Internet gezeigt werden können. Die Provenienzforscher der Task-Force sollen jetzt die politisch nötige schnelle Aufklärung leisten. Sie sollen herausfinden, welche verschlungenen Wege jedes einzelne der 570 Bilder hinter sich hat, ob es Juden oder anderen NS-Opfern gehörte: eine Herkules-Aufgabe.

Die Task-Force wird Jahre brauchen

In der nötigen Eile werden die Provenienzforscher keine Ergebnisse präsentieren können. Bei der Jahrestagung des Arbeitskreises Provenienzforschung vergangene Woche in Hamburg sprachen sich die rund 60 Anwesenden dafür aus "die notwendigen Forschungen zum Münchner Kunstfund so zügig wie möglich, aber auch in der gebotenen wissenschaftlichen Qualität durchzuführen".

Der Arbeitskreis existiert seit zehn Jahren, doch den Forschern ist es noch nicht gelungen, sich auf einen Standard für Provenienzangaben zu einigen. Die Task-Force wird eher Jahre als Monate brauchen, um die Raubkunst in der Sammlung Gurlitt zu identifizieren. "Jeder Fall ist anders", sagte eine Provenienzforscherin, "jedes Bild ist anders."

Nicht unbedingt dabei haben wollen die Berliner Politiker und Beamten nach wie vor die Jewish Claims Conference oder deren Forscher. Der deutsche Repräsentant der internationalen Organisation, die seit 60 Jahren jüdische Vermögen sicherstellt und Holocaust-Überlebende unterstützt, Rüdiger Mahlo, hatte sein Interesse bekundet. Immerhin heißt es in der Washingtoner Erklärung, dass die Opferverbände beteiligt werden sollen. Doch Deutschland nimmt darauf offenbar keine Rücksicht.

Bislang wurde kein Vertreter der Claims Conference in die Task-Force berufen. Zwar traf sich Frau Berggreen-Merkel am Freitag mit dem JCC-Repräsentanten Mahlo in Deutschland, doch das Gespräch blieb ohne konkretes Ergebnis.

Während die Task-Force sich einarbeitet, können sich die Augsburger Ermittler nicht mehr vor Anfragen von Anwälten retten, die wissen wollen, ob Bilder bei Gurlitt gefunden wurden, die sie in Auftrag von Erben suchen. An die hundert Anwälte haben sich bei der Staatsanwaltschaft gemeldet. Antworten haben sie keine bekommen.




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