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Lebt Gurlitt geistig in der Vergangenheit? - Does Gurlitt live in the past?

1998
1970
1945
Die Welt 25 November 2013

Von Thore Barfuss

Bei Jauch ging es um den Münchner Kunstfund. Eine Reporterin schilderte ihre Eindrücke von dessen eigensinnigem Besitzer Cornelius Gurlitt. Ein Gast kritisierte, Deutschland sei NS-Raubkunst "egal". 

Screenshot Jauch
Foto: ARD Journalistin Özlem Gezer bietet in Günther Jauchs (l.) Sendung Einblicke in die Persönlichkeit von Cornlius Gurlitt

Es war wahrlich keine Sendung für Kunstbanausen. Statt über die Koalitionsverhandlungen, Schwarz-Grün oder, ganz aktuell, das Atomabkommen mit dem Iran diskutierte Günter Jauch mit seinen Gästen über Kunst. Genauer gesagt über den Fall Gurlitt.

Abgesehen davon, dass die anderen Themen wohl naheliegender gewesen wären, war auch der gewählte Zeitpunkt der Diskussion seltsam. Denn weder gab es im Vorfeld der Sendung neue Erkenntnisse, noch ist genügend Zeit vergangen, dass die Ergebnisse schon ausgewertet worden sein könnten. Eine der häufigsten Aussagen der Gäste war deshalb sinngemäß, dass man diese oder jene Frage noch nicht abschließend beantworten könne.

Sowieso die Gäste: Scheinbar beschäftigen sich in Deutschland hauptsächlich Männer über 70 mit Kunst. Jedenfalls stellte diese Gruppe drei von fünf Gästen. Besser wurde die Auswahl nicht dadurch, dass vier von fünf absolute Fachspezialisten sind.

Einzig die "Spiegel"-Redakteurin Özlem Gezer, die ein ausführliches Gespräch mit Cornelius Gurlitt geführt hatte, konnte tatsächlich für den nicht kunstaffinen Zuschauer verständliche und interessante Dinge berichten. Etwa: "Gurlitt lebt in der Zeit, als sein Vater noch gelebt hat." Der Zufallszuschauer aber hatte da schon längst abgeschaltet. Denn um die anderen vier Gäste zu verstehen, musste man nicht nur den Fall Gurlitt verinnerlicht haben, sondern sich mit Kunstgeschichte und -recht, NS-Raubkunst und Provenienzforschung zumindest ansatzweise beschäftigt haben.

Das sagten die Gäste bei "Günther Jauch"

Michael Naumann (SPD),

ehemaliger Kulturstaatsminister:

 

"Es sind natürlich

auch nicht jüdische

Besitzer beraubt worden."

Und so wundert es auch wenig, dass die Reaktionen in den sozialen Netzwerken auseinandergingen: Die einen lobten, dass nicht wieder die üblichen Gäste zu den üblichen Themen geladen waren. Die anderen wussten sich nur mit Spott und Häme zu helfen – und davon gab es viel. Dabei versuchte Jauch immer wieder, die Diskussion mit Einspielern und klaren, einfachen Fragen auf ein normales Fernsehmaß zu bringen.

Es half kaum, die Diskussion entglitt ihm trotzdem häufig. Das Problem war nämlich, dass sich alle anwesenden Gäste einig darin waren, dass der Fall Gurlitt Anlass sein sollte, um über NS-Raubkunst zu diskutieren und Aufarbeitung zu leisten. Nur in kleinen Aspekten widersprachen sich die Experten. Anders als sonst herrschte so zumindest eine angenehme Gesprächsatmosphäre. Die trug nur leider nicht dazu bei, dass ewige Abschweifungen in äußerst detailreiche Anekdoten oder Gesetze verhindert wurden.

Naumann setzt eine Menge Wissen voraus

So erzählte beispielsweise der ehemalige Kulturstaatsminister Michael Naumann über eines der bei Gurlitt gefunden Bilder folgende Geschichte: Das von Henri Matisse gemalte Porträt einer sitzenden Frau wurde in der NS-Zeit aus dem Banktresor des Kunsthändlers Paul Rosenberg beschlagnahmt. Dessen Enkelin Anne Sinclair, Ex-Frau von Dominique Strauss-Kahn, erhebt Anspruch auf die Restitution des Gemäldes.

Jetzt fehlt hier schon der Teil, wo Naumann über den Weg von der Beschlagnahmung bis in Gurlitts Besitz spekulierte. Und trotzdem muss man, um diese Geschichte zu verstehen, wissen: Wer Henri Matisse ist. Wer Paul Rosenberg ist. Wie in der NS-Zeit mit Kunst verfahren wurde. Wie Cornelius Gurlitt in den Besitz der Werke gekommen ist. Und zuguterletzt: Wer Dominique Strauss-Kahn ist. Denn nur dann versteht man, wieso Naumann gerade diese Anekdote erzählte.

Noch spezieller waren die kunstrechtlichen Diskussionen um Raubkunst. Der Geschichtsprofessor Julius H. Schoeps hatte als Sprecher der Erben des Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy um die Restitution verschiedener Kunstwerke gekämpft und dabei eine Einigung mit den Museen MoMa und Guggenheim in New York erzielt. Er lobte mehrfach und ausführlich das österreichische Restitutionsgesetz, zu dem es in Deutschland kein Gegenstück gibt. Um die Diskussion um dieses Gesetz zu verstehen, muss man ... ach, lassen wir das.

"Ich dachte lange, das sei ein Generationsding"

Der Anwalt und Kunstliebhaber Peter Raue machte es auch nicht weniger komplex: Er klärte zum Beispiel über den Unterschied beim Erwerb böswillig gehandelter Kunst zwischen Deutschland und anderen Ländern wie den USA auf – in Deutschland verjährt er nach 30 Jahren, anderswo nicht. Wenig zu sagen – nicht nur, weil sie erst kurz vor Schluss dazu geholt wurde –, hatte die Künstlerin Nana Dix. Die Enkeltochter von Maler Otto Dix durfte in den zwei Minuten, die Jauch ihr ließ, berichten, dass ihre Familie nie Nachforschungen über die beschlagnahmten Werke ihres Großvaters angestellt habe. Und dass sie selbst noch eine Lithografie von ihm besäße.

Dagegen waren die Ausführungen von Kunstexperte und Deutschlandfunk-Redakteur Stefan Koldehoff deutlich interessanter. Dieser betonte immer wieder, dass Gurlitt selbst gar nicht das große Problem sei, sondern der gesamte Umgang mit NS-Raubkunst in Deutschland: "Wir leben in einem Land, dem seit 70 Jahren die NS-Raubkunst egal ist."

Koldehoff berichtete von vielen Treffen mit Museumsdirektoren, die immer noch massenhaft NS-Raubkunst in ihren Beständen hätten, aber diese nicht zurückgeben wollen. Interessant dabei vor allem seine Feststellung: "Ich habe lange Zeit gedacht, dass sei ein Generationsding." Dass also die Direktoren, noch ihre Vorgänger kennen würden und diese schützen wollen. Heute aber vermutet er, auch weil inzwischen die dritte Generation da sei, dass es auch einfach um Bestandswahrung ginge.

Dass Koldehoff den Fall Gurlitt als weniger wichtig abtat, war auch das Einzige, womit ein wenig Kontroverse in die Sendung kam. Hier widersprach nämlich Özlem Gezer vehement: "Es ist wichtig, dass wir über seine Person sprechen." Ihrer Meinung nach stellt Gurlitt ein Problem dar, wenn es um die Aufklärung geht, da er in seiner eigenen Welt lebe. Er bekomme die große Debatte gar nicht mit, die um ihn entbrannt sei. Vielleicht ist Cornelius Gurlitt aber auch einfach nur ein Kunstbanause.

http://www.welt.de/vermischtes/article122221616/Lebt-Gurlitt-geistig-in-der-Vergangenheit.html
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