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Wem gehört der Bilderschatz? - Who do the Artworks Belong To?

1998
1970
1945
Frankfurter Allgemeine Zeitung 30 November 2013
von Corinne Budras

Das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum ist das erste, das Gemälde aus dem Kunstfund in der Wohnung von Cornelius Gurlitt zurückverlangt. Doch der Weg dahin ist schwierig - und die Rechtslage verworren.

Wuppertal möchte seine Bilder wieder, der Brief ist schon auf dem Weg zur Augsburger Staatsanwaltschaft. Einst konnte das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum eine stattliche Auswahl an Expressionisten vorweisen: Kirchner, Nolde, Picasso, Dix, Grosz, Marc und Macke. „Alles, was Rang und Namen hat, konnten Sie bei uns finden“, schwärmt der Museumsdirektor Gerhard Finckh. Doch dann kamen 1937 die Nazis und haben 500 Bilder „entarteter Kunst“ mitgenommen, darunter auch Picassos „Akrobat und junger Harlekin“. „Da sind unglaubliche Sachen verschwunden“, seufzt Finckh. Inzwischen sind die Bilder in der ganzen Welt verstreut, in vielen Fällen hat der Museumsdirektor keinen blassen Schimmer, wo die Gemälde sein könnten.

Nun hat er eine vage Hoffnung: Seitdem Anfang des Monats öffentlich wurde, dass die Staatsanwaltschaft mehr als 1200 Bilder in der Schwabinger Wohnung von Cornelius Gurlitt sicherstellte, kann er wieder davon träumen, seinen Bestand von derzeit 3000 Gemälden mit längst verloren geglaubten Schätzen auffüllen zu können. „Wir wollten für alle Fälle unseren Hut in den Ring werfen“, sagt Finckh. „Wir möchten nicht so tun, als wäre uns das egal.“ Doch er ist Realist: Selbstverständlich müsse dann geprüft werden, ob das Museum die Werke damals nur als Leihgabe ausgestellt hatte. Dann, so versichert er, sei sein Museum nur Durchgangsstation, bis die rechtmäßigen Eigentümer gefunden sind.

Rechtslage ist verworren

Doch so weit ist es noch lange nicht. Zwischen Finckh und den Bildern steht noch eine komplexe juristische Prüfung, die schon jetzt für viel Frustration sorgt. Denn die Rechtslage ist verworren, nicht zuletzt, weil Herausgabeansprüche im deutschen Recht seit einer Novelle im Jahr 2002 nach 30 Jahren verjähren. Dabei hätte vieles im Fall des Schwabinger Kunstfundes heute einfacher sein können, hätte der Gesetzgeber im November 2001 seinen eigenen Beschluss ernstgenommen. Damals war die große Schuldrechtmodernisierung in vollem Gang, am 1. Januar 2002 sollte sie in Kraft treten. Angesichts der damit verbundenen großen, auch systematischen Veränderungen des Bürgerlichen Gesetzbuches nahm sich die Einführung einer 30-jährigen Verjährungsfrist fast als Petitesse aus. Schließlich schrieb der Gesetzgeber damit nur fest, was Gerichte ohnehin schon entschieden hatten.

Allerdings war dabei immerhin einem Verfassungsorgan bewusst, was diese vermeintliche Petitesse bedeuten kann: In heiklen Fällen der NS-Raubkunst könne sie zu „unangemessenen Ergebnissen“ führen, heißt es in einem Beschluss des Bundesrats vom 9. November 2001 – als ahnten die Politiker damals schon, dass zur gleichen Zeit in einer Schwabinger Wohnung mehr als 1200 Werke bedeutender Künstler lagerten, von denen ein Großteil auf zwielichtige Weise während der Nazi-Zeit in die Hände des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt geraten war. Die Herausgabe der Werke an ihre meist jüdischen Eigentümer oder ihre Erben wird durch die Verjährung nun genauso verhindert, als handele es sich um eine x-beliebige vergessene Leihgabe aus einer Bücherei.

Der Wuppertaler Museumsdirektor Gerhard Finckh hat die Hoffnung, geraubte Gemälde wieder zurückzubekommen
© IMAGO Vergrößern Der Wuppertaler Museumsdirektor Gerhard Finckh hat die Hoffnung, geraubte Gemälde wieder zurückzubekommen

„Der Beschluss ist verpufft“

Das jedoch steht im krassen Widerspruch zur Washingtoner Erklärung aus dem Jahr 1998. Danach verpflichtete sich auch Deutschland in pathetischen Worten, mit den Erben nach einer fairen Lösung zu suchen. Ein hehres Vorhaben – nur im Fall Gurlitt ohne Relevanz. Das Abkommen bindet allenfalls die Verwaltung, nicht jedoch private Sammler. In diesem Bewusstsein appellierte der Bundesrat an die damalige rot-grüne Bundesregierung, zur Verjährung von Herausgabeansprüchen für NS-Raubkunst bald einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Es folgte: nichts – bis auf die nüchterne Erkenntnis zwölf Jahre später: „Der Beschluss ist verpufft“, resümierte jüngst der renommierte Kunstrechtler Erik Jayme, Professor am Institut für internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg, auf einer Diskussionsveranstaltung des Instituts für Kunst und Recht (IFKUR) und der Law School der European Business School.

Um es ehrlich zu sagen: Bisher war dies kein Problem, das die Allgemeinheit erregte. Verjährungsfristen sind noch immer ein Problem des Einzelnen. Sie führen mitunter zu bitteren Ergebnissen, die selten eine breite Öffentlichkeit interessieren. Sie werden billigend in Kauf genommen – zugunsten des Rechtsfriedens, der in einem Rechtsstaat eine wichtige Funktion erfüllt. Doch der Kunstfund in Schwabing änderte in dieser Hinsicht alles, und das schlagartig. Erstmals betrifft das Problem der Verjährung nicht nur Einzelfälle, sondern womöglich 970 Bilder, die die Augsburger Staatsanwaltschaft noch immer für so problematisch hält, dass sie sie weiter an einem geheimen Ort versteckt – auch vor dem bisherigen Besitzer Cornelius Gurlitt.

Geheime Übergabe vor knapp einem Jahr geplant

Mehr als 300 Werke will die Staatsanwaltschaft dagegen zurückgeben, weil nun zweifelsfrei feststehe, dass Gurlitt der rechtmäßige Eigentümer sei. Schon vor knapp einem Jahr habe man eine geheime Übergabe einfädeln wollen, doch Gurlitt habe sich nicht gerührt, gibt der zuständige Staatsanwalt Reinhard Nemetz zu Protokoll. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit dürfte diese Übergabe nicht einfacher geworden sein.

Bei den verbleibenden rund 970 Bildern sind dagegen unzählige Fragen offen. Rund 380 sollen als entartete Kunst meist aus staatlichen Museen abgezogen worden sein, unter anderem eben aus Wuppertal, der andere Teil könnte NS-Raubkunst sein. Für jedes einzelne Werk muss geklärt werden, wer es einst besessen hat, wann und wie es in die Hände des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt kam, Vater des nun mit einem Schlag berühmt gewordenen, 80 Jahre alten Cornelius Gurlitt.

Die Eigentumsverhältnisse sind verworren, weil es auch die deutsche NS-Vergangenheit ist. Staatsanwaltschaft, Professoren, Rechtsanwälte und nicht zuletzt die Jewish Claims Conference und die Erben der verfolgten, meist jüdischen Kunstbesitzer ringen seit der Veröffentlichung mit juristischen und ethischen Fragen. Klar schien bis vor kurzem zumindest die Rechtslage für die rund 380 Bilder zu sein, die als „entartete Kunst“ den staatlichen Museen entnommen wurden. Schließlich seien auch sie Teil des Nazi-Reichs gewesen, und die Nationalsozialisten konnten sich ja schlechterdings nicht selbst enteignen. Doch diese Gewissheit gerät nun ins Wanken. Einige Museen standen damals gar nicht in Reichseigentum, zumindest für die städtischen Museen scheint dies eindeutig. Auch das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum pocht darauf, dass die beiden Vorläuferinstitutionen, die Kunstvereine in Barmen und Elberfeld, privat geführt worden seien und somit ein Rechtsanspruch auf die Rückgabe möglicher Werke bestehe.

Erben müssen Eigentum mühsam beweisen

Diffizil in der rechtlichen Beurteilung ist auch die dritte Kategorie von Bildern, die sich über Jahrzehnte in der Schwabinger Wohnung befanden: etwa 570 Bilder, die den jüdischen Eigentümern womöglich nur mit Hilfe übler Drohungen entrissen wurden, die NS-Raubkunst. Gurlitt senior sei in diesen Fällen niemals Eigentümer dieser Bilder geworden, argumentierten Juristen wie der renommierte Berliner Kunstrechtler Peter Raue. Die Geschäfte damals seien schlicht sittenwidrig gewesen. Außerdem sei ausgeschlossen, dass er von der Not der meist jüdischen Eigentümer nichts mitbekommen habe und „gutgläubig“ war. Er konnte deshalb die Bilder auch nicht nach zehn Jahren einfach „ersitzen“, was ansonsten im deutschen Zivilrecht ein ziemlich praktisches Rechtskonstrukt ist: die Vermehrung des Vermögens allein durch Zeitablauf – solange man nicht „bösgläubig“ ist.

Trotzdem müssen die Holocaust-Überlebenden oder die Erben ihr Eigentum erst mühsam beweisen, was im Einzelfall schwierig genug sein dürfte. Dann kommt die nächste Hürde: die Verjährung ihrer Rechtsansprüche nach 30 Jahren. Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) ist das so zuwider, dass er jüngst eine „Lex Gurlitt“ ins Spiel gebracht hatte. Besitzer von im Nationalsozialismus geraubter Kunst sollen demnach nicht mehr in jedem Fall geltend machen können, dass Herausgabeansprüche früherer Eigentümer nach deutschem Recht nach 30 Jahren verjährt sind. Doch das könnte Ärger mit dem Bundesverfassungsgericht geben. Auch die scheidende Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist skeptisch.

Die Rechtslage finden viele unbefriedigend, nicht zuletzt durch den Hinweis, die Verjährung sei ein typisch deutsches Phänomen. Andere Länder geben dem Rechtsfrieden weniger und den Opfern mehr Gewicht. Doch Juristen wären keine Juristen, würden sie nicht – mit Hilfe des Gesetzeswortlauts und einem natürlichen Drang nach Rechtsgestaltung – nach Schlupflöchern suchen. Dabei kommt Gedankenakrobatik am Hochreck heraus, die im Falle eines Falles vor Gericht den entscheidenden Ausschlag geben könnte. Nach Auffassung von EBS-Professor Matthias Weller hat die Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft im Februar 2012 dem Fall eine bedeutende Wende gegeben. Schließlich hätten damals die Besitzverhältnisse gewechselt, die Verjährung begann wieder von vorn. Weller ist IFKUR-Vorstandsmitglied und Leiter des Center for Transnational Commercial Dispute Resolution und damit also qua Amt mit kreativen Lösungsvorschlägen befasst. „So würde ich es mal versuchen“, sagte Weller.

Ein gefundenes Fressen

Da hilft es, wenn es noch andere Ansatzpunkte gibt wie eben die „Sittenwidrigkeit“ des Rechtsgeschäfts oder die unter Juristen beliebte „Hemmung der Verjährung“ wegen arglistiger Ruhigstellung der jüdischen Eigentümer. Schließlich habe die Witwe Hildebrand Gurlitts im Jahr 1966 behauptet, die Bilder seien bei einem Brand zerstört worden, und suggerierte damit: Jede Forderung nach Rückgabe ist zwecklos.

Für Juristen ist der Fall in jeder Hinsicht ein gefundenes Fressen. Nicht nur die Eigentumsverhältnisse sind ungeklärt, auch die Vorgänge rund um die Beschlagnahme werfen Fragen auf. Fragen nach einem rechtsstaatlichen Verfahren. Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat an dieser allgemeinen Ratlosigkeit einen gewichtigen Anteil, schließlich hält sie sich in vielerlei Hinsicht bedeckt – auch in der Frage, auf welcher Rechtsgrundlage die Beschlagnahme erfolgte. Immer wieder genannt wird die Hinterziehung von Umsatzsteuer für schon verkaufte Bilder. Steuerarten gebe es allerdings mehrere, formuliert Nemetz in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ nebulös. Auch Unterschlagung nennt die Staatsanwaltschaft als Anknüpfungspunkt, wenn sich herausstellt, dass Gurlitt senior niemals Eigentum an den Bildern erworben hatte.

Für Rechtsprofessor Weller dagegen ist auch hier die Sache eindeutig. Mag die Steuerfahndung damals aus ganz anderen Gründen in Gurlitts Schwabinger Wohnung vorstellig geworden sein, er setzt auf einen „Zufallsfund“, den die Strafprozessordnung in Paragraph 108 ausdrücklich nennt. Der Schatz stand zwar nicht im Zusammenhang mit der ursprünglich vermuteten Straftat, war aber in anderer Hinsicht verdächtig. Dieser „Zufallsfund“ dürfe relativ problemlos einstweilen sichergestellt werden, solange nur ein vager Verdacht besteht, dass er aus einer Straftat stammt. Auf einen solchen Zufallsfund hat sich freilich die Augsburger Staatsanwaltschaft explizit nicht berufen – sehr zum Erstaunen von Weller. Doch das wäre wohl nicht der einzige Punkt des Mammutfalls, in dem die Strafverfolgungsbehörde noch Beratungsbedarf hätte.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/schwabinger-kunstfund-wem-gehoert-der-bilderschatz-12685927.html
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