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Was nach dem Tod Cornelius Gurlitts zu tun ist - What should be done following the death of Cornelius Gurlitt?

1998
1970
1945
Die Welt 9 May 2014
Von Ronald S. Lauder

Das Problem der Raubkunst ist mit dem Ableben des Münchener Kunstsammlers noch lange nicht gelöst. Was fehlt und dringend verabschiedet werden muss, ist ein bundesweit gültiges Rückgabegesetz.


Das Museum Wiesbaden untersucht im "Zugang 1943" all die Erwerbungen, die möglicherweise Raubkunst sein könnten

Wie lange dauert es noch, bis die letzten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs – die von den Nazis geraubten Kunstwerke – endlich freigelassen werden? Diese Frage stellte ich in meiner Berliner Rede Ende Januar. 69 Jahre ist es nun her, dass die letzten Schüsse im Zweiten Weltkrieg fielen. Man sollte meinen, dieses Kapitel sei nun abgeschlossen. Dem ist aber nicht so. Doch ausgerechnet in Deutschland gibt es immer noch keine angemessenen Gesetze, welche den Umgang mit der Raubkunst regeln.

Einige der damals geraubten Kunstwerke haben in den letzten sieben Jahrzehnten eine wahre Odyssee zurückgelegt, waren im Besitz von Kunsthändlern, privaten Sammlern und Museen. Während dieser Zeit wurde es aufgrund der geltenden Rechtslage für die eigentlichen Eigentümer bzw. deren Erben zusehends schwerer, Ansprüche auf die Bilder geltend zu machen. Ich habe daher vorgeschlagen, dass die Regierungen in Deutschland und anderen Ländern eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, um diese noch offene Wunde endlich zu schließen.

Lange fand die Debatte zum Thema Raubkunst nur unter Kunstexperten und einer Handvoll Juristen statt. Die Rechtslage ist kompliziert, die vorhandenen Unterlagen sind oft nicht vorhanden, und viele Museen und Kunstsammler sind nicht willens oder in der Lage zu überprüfen, welche Vorgeschichte ihre Bilder haben. Denn wer gibt schon gerne etwas wieder her, das er oder sie gerne hat? Auch die Medien und die staatlichen Stellen ignorierten das Thema meist – bis plötzlich der Fall Gurlitt wie eine Bombe einschlug. Das war eine Story für die Medien, die nicht nur eine breite öffentliche Debatte in Gang setzte, sondern auch politisch einiges in Bewegung brachte.

Kokoschka und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Die Politik packt das Thema NS-Raubkunst nun endlich an. Man kann über die einzelnen Initiativen und ihre Wirksamkeit streiten, sie aber als nutzlos, ja kontraproduktiv abzutun, und stattdessen ganz auf die Einsicht und Redlichkeit der aktuellen Besitzer von geraubten Werken und von Anspruchsstellern zu vertrauen, wie dies ein Kritiker meiner Vorschläge kürzlich im "Tagesspiegel" tat, ist nicht angebracht.

Es geht hier nicht nur um mehr Sensibilität im Umgang mit Raubkunst, um guten Willen auf beiden Seiten. Wenn es nur das wäre, wäre diese Debatte doch längst gelaufen. Sie ist es aber nicht, denn das Problem besteht fort. Dies hat jüngst wieder die Entdeckung eines Kokoschka-Gemäldes gezeigt, welches jahrelang im Büro des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hing und unter Raubkunstverdacht steht.

Es gibt genügend Beispiele für Kunstbesitzer, die sich geweigert haben, Kunstwerke selbst dann zurückzugeben, wenn sie eindeutig als Raubkunst identifiziert waren. Und auch die Klagelieder, die oft angestimmt werden, wenn denn mal ein Gemälde restituiert wird, sprechen Bände.

Die deutschen Museumsdirektoren

Nein, wenn Deutschland endlich dieses dunkle Kapitel seiner Geschichte schließen möchte, dann braucht es Gesetzesänderungen und, viel wichtiger noch, es braucht den Willen in Politik und Gesellschaft, das Richtige zu tun. Raubkunst wider besseres Wissen zu behalten darf moralisch und gesellschaftlich nicht länger akzeptabel bleiben.

Mit der Washingtoner Erklärung von 1998 und der Gemeinsamen Erklärung von Bund, Ländern und Gemeinden von 1999 hat sich Deutschland verpflichtet, Ansprüche auf möglicherweise von den Nazis geraubte Kunstwerke zu prüfen, anstatt sie mit juristischen Spitzfindigkeiten abzuwehren. Deutschland hat diese Verpflichtung mit der Theresienstadt-Erklärung von 2009 auch auf Kunst in Privatbesitz ausgedehnt.

Folglich sind öffentliche und private Museen und Kunstsammlungen verpflichtet, ihre Bestände auf mögliche Raubkunst hin zu überprüfen und bei zweifelhaften Fällen eine Provenienzforschung durchzuführen. Sie sind auch angehalten, Anstrengungen zu unternehmen, um die rechtmäßigen Besitzer ausfindig zu machen und nach gerechten und ausgewogenen Lösungen zu suchen.

Ein Zentrum für Kulturgutverluste

Niemand kann allerdings behaupten, dass dies bislang in ausreichendem Maße geschehen ist. Der Jüdische Weltkongress hat vor Kurzem eine kleine, nicht repräsentative Umfrage unter deutschen Museumsdirektoren durchgeführt.

Die Rückmeldungen haben gezeigt, dass das Bewusstsein für die Problematik zwar gewachsen ist und es deutsche Museen gibt, die in beispielhafter Weise mit dem Thema umgehen und Provenienzforschung betreiben, dass aber auch viele bislang wenig unternommen haben, sei es aufgrund eines fehlenden Problembewusstseins, fehlender finanzieller Ressourcen, oder beidem.

Deshalb ist es zu begrüßen, dass die Kulturbeauftragte der Bundesregierung Monika Grütters eine deutliche Erhöhung der Mittel für die Provenienzforschung in Aussicht gestellt hat und die Anstrengungen auf den verschiedenen Ebenen in einem "Zentrum Kulturgutverluste" bündeln möchte.

Stärkung der Limbach-Kommission

Alle Museen sollten verpflichtet werden, ihre Bestände umfassend auf mögliche Raubkunst zu prüfen und die Ergebnisse dieser Recherchen zu veröffentlichen. Transparenz ist hier von zentraler Bedeutung.

Das ist nicht nur ein deutsches Problem. Es braucht international anerkannte Standards für die Provenienzforschung, und letztere darf auch nicht einfach den einzelnen Museen überlassen werden. Entscheidungen über die Restitution von Kunstwerken müssen ausführlich begründet und sollten im Internet für jedermann einsehbar gemacht werden.

Die seit gut zehn Jahren bestehende Limbach-Kommission, welche als Schiedsstelle fungiert, sollte in drei Bereichen gestärkt werden. Erstens darf es nicht länger angehen, dass ein Museum die Anrufung der Kommission blockieren kann. Zweitens sollten der Limbach-Kommission auch ausländische Experten angehören. Und drittens müssen ihre Entscheidungen bindend sein.

Ein neuer institutioneller Rahmen sollte ebenfalls geschaffen werden, damit Ansprüche auch gegenüber privaten Kunstbesitzern geltend gemacht werden können, welche bislang aufgrund bestehender Verjährungsfristen praktisch aussichtslos sind. Es gibt also genug zu tun, sowohl für die Politik als auch die Museen und Kunstsammlungen. So wie es möglich und richtig ist, mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher auch 70 Jahre nach ihren Taten vor Gericht zu stellen, so gibt es keine Entschuldigung dafür, bei NS-Raubkunst weiter untätig zu bleiben. In beiden Fällen gilt: Es ist spät, aber noch nicht zu spät für Gerechtigkeit.


Der amerikanische Unternehmer und Kunstsammler Ronald S. Lauder, 70, ist Präsident des Jüdischen Weltkongresses


http://www.welt.de/debatte/kommentare/article127813738/Was-nach-dem-Tod-Cornelius-Gurlitts-zu-tun-ist.html
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