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Sind Regensburger „Grazien“ Raubkunst? - Is Regensburg 'Graces' Looted Art?

1998
1970
1945
Mittelbayerische 4 August 2014
Von Ulrich Kelber

Die Erben der der Fabrikantenfamilie Levy wollen das Gemälde „Drei Grazien“ von Lovis Corinth zurück. Es hängt als Dauerleihgabe im Kunstforum.


Als Leihgabe sind „Drei Grazien“ von Lovis Corinth im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg zu sehen. Jetzt fordern die Erben von Clara Levy das Gemälde zurück.

REGENSBURG. Im Lovis-Corinth-Saal des Regensburger Kunstforums könnte bald eine beträchtliche Lücke klaffen. Es geht um das 1904 entstandene und mehr als zweieinhalb Quadratmeter große Gemälde „Drei Grazien“ von Lovis Corinth, das mit sinnlicher Opulenz drei nackte, beziehungsweise leicht verschleierte Frauengestalten zeigt. Seit Raffael, Botticelli und Cranach sind die griechischen Göttinnen als Personifikationen von Anmut und Schönheit ein beliebtes Motiv in der Bildenden Kunst. Und es spricht für Corinths künstlerisches Selbstbewusstsein, dass auch er dieses Thema aufgriff, wobei die Frauen bei ihm sehr irdisch und fleischlich wirken. Das Gemälde befindet sich im Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die es der Ostdeutschen Galerie als Dauerleihgabe überlassen haben.

Doch genau um dieses Bild gibt es seit geraumer Zeit einen heftigen Streit. Muss es, wie von den Erben der einstigen Besitzerin gefordert, als Nazi-Raubkunst zurückgeben werden, oder liegt „kein verfolgungsbedingter Verlust“ vor, wie die Staatsgemäldesammlungen meinen? Mit dem Fall hat sich Ende Juli die Limbach-Kommission befasst. In den nächsten Wochen will sie ihre Empfehlung bekannt geben. Ein genauer Termin, so die Auskunft der Koordinierungsstelle Lost Art in Magdeburg, steht allerdings noch nicht fest.

Hochkarätig besetzte Schiedsstelle

Die nach ihrer Vorsitzenden Jutta Limbach, der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, benannte Kommission wurde eingerichtet, nachdem sich die Bundesrepublik 1998 in der „Washingtoner Erklärung“ verpflichtet hatte, Museumsbestände zu überprüfen und die Fälle von NS-Raubkunst ausfindig zu machen. Mit den rechtmäßigen Eigentümern oder deren Erben sollten dann faire und gerechte Lösungen gefunden werden. Wenn es zu keiner Einigung kommt, dient die Limbach-Kommission, zu deren Mitgliedern auch die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth und der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker gehören, als Schiedsstelle. Das Votum der Kommission wollen im Fall des Corinth-Bildes sowohl die Erben als auch die Staatsgemäldesammlungen akzeptieren, kündigten deren Generaldirektor Klaus Schrenk und Kultusminister Ludwig Spaenle bereits im April – da war das Thema Raubkunst durch den Fall Gurlitt wieder aktuell geworden – bei einer Pressekonferenz an. Es wird dann also keine weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen geben.

Der Wohnsitz der Levys wurde geplündert

Welche Geschichte verbirgt sich hinter den „Grazien“? Erster Besitzer war der Charlottenburger Kunstsammler Albrecht Guttmann. Dessen Gemäldebesitz, darunter viele Werke von Liebermann, Hodler, Leistikow, Monet und Pissaro, wurde im Jahr 1917 bei Paul Cassirer versteigert. In einem alten Auktionskatalog ist handschriftlich die Zahl 10 000 vermerkt, wohl der Betrag, zu dem der Zuschlag erfolgte. Martin Schwersenz, ein Berliner Kunsthändler, wird im Corinth-Werkverzeichnis als nächster Besitzer genannt. Von ihm hat die „Grazien“ dann das Fabrikanten-Ehepaar Ludwig und Clara Levy erworben.

Die Levys lebten teils in Berlin, teils in Spremberg in der Lausitz, wo sie Textilfabriken besaßen. Sie hatten vier Kinder: Erna, Edith, Else und Fritz Levy. Ludwig Levy starb bereits 1921, erst 56 Jahre alt. Nach 1933 geriet die Familie durch die Nazis in Bedrängnis. Die inzwischen von Fritz Levy geleiteten Fabriken wurden enteignet und „arisiert“ zur Tuchfabrik Carl Müller. Bis 1939 gingen die meisten Familienmitglieder der Levys in die Emigration, zunächst in die Schweiz und dann in die USA. Anders Fritz Levy und seine Mutter Clara: Sie übersiedelten nach Schleifmühl in Luxemburg. Fritz Levy übernahm einen Managementposten bei der „Manufacture de Draps et de Tricots“. Seine Mutter starb am 27. März 1940, also wenige Wochen bevor die deutschen Truppen am 10. Mai 1940 in Luxemburg einfielen. Fritz Levy gelang es zu fliehen und unterzutauchen. Er überlebte die Nazi-Okkupation versteckt in Belgien. Sein Wohnsitz in Schleifmühl wurde von den Deutschen geplündert und zerstört. Erst nach Ende des 2. Weltkriegs ging Fritz Levy nach New York, wo er 1954 starb.

Wann erreichte das Bild die USA?

Und wo waren in dieser Zeit Corinths „Grazien“, bis sie 1950 von der Neuen Pinakothek erworben wurden? Seit gut einem Dutzend Jahren laufen die Nachforschungen. Damals wandten sich die Nachkommen von Else und Fritz Levy an das Holocaust Claiming Office. Neben der Klärung um den Verbleib von Vermögenswerten bei Schweizer Banken ging es ihnen um die Restitution des Corinth-Gemäldes. Aufgetaucht ist bei den Nachforschungen – so berichtete kürzlich die Süddeutsche Zeitung – ein Frachtschein, der belegen soll, dass das Gemälde Mitte Mai 1940 von Le Havre aus nach New York verschifft werden sollte im Auftrag von Clara Levys Tochter Else.

Bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die sich in Sachen Raubkunst eigentlich vorbildhaft verhält und eine eigene Provenienzforscherin beschäftigt, ist man überzeugt, dass das Bild damals tatsächlich in New York ankam. Während die Staatsgemäldesammlungen in den vergangenen Jahren zwölf Kunstwerke an die Erben von Nazi-Verfolgten zurück gegeben haben und von sich aus rund 200 Werke auf der Plattform „lostart“ eingestellt haben, sind sie bei dem Corinth-Gemälde der Auffassung, dass es keinen Grund für eine Rückgabe gibt.

Ganz anders sehen das die Levy-Erben, die von der Berliner Anwaltskanzlei Trott zu Solz Lammek vertreten werden. Der Verbleib des Gemäldes zwischen 1939 und 1945 sei keineswegs aufgeklärt heißt es dort. Das Gemälde sei damals nicht angekommen in den USA, geht aus einer eidesstattlichen Versicherung der Erben hervor. Das klingt durchaus plausibel, denn am 10. Mai 1940 hatte die deutsche Invasion an der Westfront begonnen mit dem Angriff auf Belgien, Holland und Luxemburg. Vor zahlreichen Häfen waren Luftminen abgeworfen worden. Und es ist zweifelhaft, ob zu diesem Zeitpunkt der Hafenbetrieb in Le Havre noch regulär ablief. Blieb das Gemälde also in Schleifmühl zurück und wurde Beutegut der Nazis?

Moralisch ist die Sachlage klar

Es tauchte dann später aber tatsächlich in New York auf, nämlich in der Buchholz Gallery Curt Valentin. Galerist Valentin soll es angeblich bei einer Auktion erworben haben. Dafür haben sich allerdings keine Belege finden lassen, betont man bei der Berliner Anwaltskanzlei und räumt man auch bei den Staatsgemäldesammlungen ein. Curt Valentin ist jedenfalls eine schillernde Figur. Er arbeitete zunächst für die Galerie Flechtheim, nach deren Schließung 1933 dann bei Karl Buchholz. Von den Rassegesetzen der Nazis betroffen, emigrierte Valentin nach New York, wo er bei seiner Galeriegründung von Buchholz unterstützt wurde. Buchholz hatte die Erlaubnis, von den Nazis beschlagnahmte Kunstwerke ins Ausland zu verkaufen und auch Valentin durfte mit Genehmigung der Reichskammer der bildenden Künste mit Werken der „entarteten Kunst“ handeln.

Es gibt also viele Unklarheiten um das Corinth-Gemälde. Wie wird die Entscheidung der Limbach-Kommission aussehen? In den meisten Fällen, in denen sie bisher angerufen wurde, hat sie eine Rückgabe der Kunstwerke empfohlen. Denn unabhängig von der Frage, auf welche Weise die „Grazien“ Anfang der 40er Jahre in den Besitz von Curt Valentin gelangten, ist der moralische Aspekt klar: Die wirtschaftliche Existenz der Levy-Nachkommen war in Deutschland durch die Nazis vernichtet worden – nicht nur durch den Verlust der Fabriken, sondern sicher auch durch Schikanen wie „Reichsfluchtsteuer“ oder „Judenvermögensabgabe“. Sie befanden sich also in jedem Fall in einer verfolgungsbedingten Notsituation.

Kommission wurde heftig kritisiert

Mit ihrer letzten Entscheidung in diesem Jahr im März ist die Limbach-Kommission stark in die Kritik geraten. Damals ging es um den „Welfenschatz“, den das Fürstenhaus Braunschweig-Lüneburg 1929 an ein Konsortium jüdischer Kunsthändler verkauft hatte. Da hatte sich die Kommission mit einer sehr formalistischen Begründung gegen die Ansprüche der Erben ausgesprochen. Die „Frankfurter Allgemeine“ sprach danach von einem „Rundumschlag“, nannte die Entscheidung „eine überraschende, schallende Ohrfeige“ und kam zu dem Schluss: „Dem Ansehen der Kommission dient sie nicht.“ Da ist zu vermuten, dass die Limbach-Kommission jetzt ihre Empfehlung zu dem Corinth-Gemälde besonders sorgfältig begründen wird. Aber selbst wenn es in Regensburg bleiben sollte: So unbefangen wie ehedem wird man die „Grazien“ künftig nicht mehr betrachten können.

Es ist das erste Mal, dass das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in diesem Ausmaß von der Diskussion um NS-Raubkunst betroffen ist. Nach Auskunft von Museumsdirektorin Dr. Agnes Tietze gab es zuvor nur die Anfrage wegen einer Skulptur von Hugo Lederer. Hier habe sich der Verdacht nicht bestätigt. Tietze räumt aber ein, dass das Museum „die Bestände noch nicht akribisch überprüft“ hat. Die Provenienzforschung sei eine „unglaubliche Arbeit“. Dafür bräuchte das Museum eine eigene Stelle, betont die Direktorin und bedauert, dass dafür bislang „nicht genug Geld“ vorhanden ist. Es sei aber auch jetzt so, dass die „Kuratoren die Bestände im Blick haben“, um Zweifel an der Herkunft einzelner Kunstwerke auszuräumen. Allerdings meint Tietze vorsichtig: „Es kann sein, dass da noch etwas auftaucht.“

 

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