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Raubkunst schnell zurückgeben - Return looted art quickly

1998
1970
1945
Kölner Stadt-Anzeiger 25 November 2014
Ein Kommentar.  Von Michael Kohler

Cornelius Gurlitts Name ist verbunden mit dem problematischen Umgang mit NS-Raubkunst. Foto: afp
Von der Einigung über das Gurlitt-Erbe profitieren beide Seiten: Das Kunstmuseum Bern kann Risiken an deutsche Behörden abgeben, und deutsche Museen bekommen beschlagnahmte Werke als Leihgaben zurück. 

Im Winter 1939 kam es in Leipzig zu einem bizarren Wettlauf um die Kunstsammlung des jüdischen Musikverlegers Henri Hinrichsen. Dieser hatte bereits seinen Verlag im Zuge der „Arisierung“ zum Spottpreis verkaufen müssen, nun kam seine Kunstsammlung an die Reihe. Als einer der ersten auswärtigen Kunsthändler reiste Hildebrand Gurlitt aus Hamburg an und kaufte Hinrichsen – sehr zum Missfallen der Leipziger Museumsdirektion – zahlreiche Zeichnungen und Drucke ab. Hinrichsen blieb keine andere Wahl, denn er brauchte Geld, um die ihm für die Ausreise aus Deutschland auferlegte „Reichsfluchtsteuer“ zu bezahlen.

1940 durfte er mit seiner Ehefrau nach Belgien übersiedeln, wo er vergeblich auf ein Visum in die USA hoffte. Hinrichsens Ehefrau starb in dieser Zeit, weil sie als Jüdin kein Insulin zur Behandlung ihrer Zuckerkrankheit erhielt. 1942 wurde Hinrichsen in Belgien verhaftetet, nach Auschwitz verschleppt und dort noch im selben Jahr ermordet.

Es ist mehr als eine Stilfrage, am Tag, nach dem das Erbe von Cornelius Gurlitt verteilt wurde, an das Schicksal jüdischer Kunstsammler in Deutschland zu erinnern. Vielmehr berührt dies den Kern der Sache, denn dem Mord an den Juden im „Dritten Reich“ ging wie selbstverständlich die Plünderung ihres Besitzes voraus. Für diese Verbrechen und auch für deren unzureichende Aufarbeitung ist Cornelius Gurlitt mittlerweile eine wesentliche Symbolfigur – auch wenn dieser nur der Verwalter des väterlichen Erbes war und sich bislang nur wenige Werke seiner Sammlung als NS-Raubkunst identifizieren ließen.

Mit seinem Namen bleibt nicht nur der beispiellose Kunstraub im „Dritten Reich“ verbunden, sondern auch die jahrzehntelangen Versäumnisse, diesen aufzuklären und geraubte Bilder an die Erben der Ermordeten zurückzugeben. Der Fall Gurlitt hat es an den Tag gebracht – und zum Teil setzen sich die Versäumnisse bei ihm bis heute fort.

Kein Rückgabetermin

Die Geschichte der Sammlung Hinrichsen zeigt dies besonders deutlich. Aus ihr stammt eine kleine Zeichnung von Carl Spitzweg: „Das Klavierspiel“. Sie wurde als eines der ersten Bilder aus dem Erbe Cornelius Gurlitts identifiziert, und es brauchte keine detektivischen Künste, um sie dem ehemaligen Besitz von Henri Hinrichsen zuordnen zu können. Irene Lawford-Hinrichsen, die in London lebende Enkelin des Leipziger Musikverlegers, hatte früh Anspruch auf das „Klavierspiel“ angemeldet.

Dennoch kam die mit der Überprüfung der Gurlitt’schen Sammlung betraute Taskforce erst am gestrigen Montag zu einem abschließenden Ergebnis – mehr als ein Jahr, nachdem sie ihre Arbeit aufgenommen hatte. Trotz des positiven Befunds gibt es zudem immer noch keinen Rückgabetermin. Ähnliche Erfahrungen haben auch andere Antragsteller gemacht. Sie beklagen die schleppenden Recherchen der Taskforce, die erst drei Herkunftsrecherchen abgeschlossen und publiziert hat.

Hier muss endlich eine grundlegende Besserung erfolgen, soll kein Schatten auf die im Grunde vernünftige Einigung zwischen dem Kunstmuseum Bern und den deutschen Behörden fallen. Durch die Einigung profitieren beide Seiten: Das Schweizer Museum tritt sämtliche Kosten und Risiken des weiteren Verfahrens an die deutschen Behörden ab, dafür erhielten diese die Zusage, dass die 1937 in deutschen Museen beschlagnahmte „entartete Kunst“ als Leihgaben an diese zurückgehen.

So salomonisch dies anmutend, entscheidend ist jedoch, ob sich auch die Situation der Anspruchsteller durch die Einigung grundlegend verbessert. Sollten deutsche Museen „ihre“ Bilder zurückerhalten, während Irene Lawford-Hinrichsen und die anderen Erben ermordeter oder außer Landes getriebener Sammler weiter auf die ihren warten müssten, wäre das mehr als eine Stilfrage. Das wäre ein Skandal.

http://www.ksta.de/debatte/-gurlitt-erbe-raubkunst-schnell-zurueckgeben,15188012,29146718.html
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