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„Entsetzlichstes Unrecht wiedergutmachen“ - 'Making amends for the most appalling injustice'

1998
1970
1945
Die Welt 9 December 2017
Von Marcus Woeller
 

Der Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier hat den Vorsitz der Limbach-Kommission übernommen, die über die Rückgabe von NS-Raubkunst berät. Über seine Arbeit als moralisch-ethische Pflicht

 

Die Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz, ist besser bekannt als Limbach-Kommission. Als Nachfolger ihrer im vergangenen Jahr verstorbenen Vorsitzenden Jutta Limbach wurde wieder ein ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts ernannt, der Staatsrechtswissenschaftler Hans-Jürgen Papier.

DIE WELT:

Das Bundesverfassungsgericht tritt mit teilweise spektakulären Entscheidungen wahrnehmbar als Kontrollinstanz der Demokratie auf. Gerade erkannte es ein drittes Geschlecht an. Unter Ihrem Vorsitz wurde etwa der „Große Lauschangriff“ verfassungsrechtlich wesentlich eingeschränkt. Wird das Verfassungsgericht in Zeiten schwieriger politischer Konsensfindung noch wichtiger?

Hans-Jürgen Papier:

Das Bundesverfassungsgericht ist dasjenige Verfassungsorgan, das als Hüter der Verfassung und zu deren letztverbindlicher Auslegung berufen ist. Sein Auftrag ist nicht die politische Gestaltung selbst, sondern der Politik die rechtlichen Rahmenbedingungen und Grenzen aufzuzeigen, die sich aus der Verfassung ergeben. Es hat insbesondere den Grund- und Menschenrechten zu großer praktischer Entfaltung verholfen und maßgeblich dazu beigetragen, dass die Grundrechtsordnung zur unübersehbaren Realität in Staat und Gesellschaft geworden ist. Nicht zuletzt durch seine Rechtsprechung sind die Grundwerte Freiheit und Gleichheit auch in Zeiten großer Bedrohung der individuellen Sicherheit zu international beachteten Markenzeichen des deutschen Rechtsstaats geworden. In der Hinsicht nimmt das Bundesverfassungsgericht nach wie vor eine äußerst wichtige Rolle ein.

Als Wolfgang Schäuble 2009 im Streit um die Vorratsdatenspeicherung ein „Primat der Politik“ forderte, haben Sie das kritisiert. Zurzeit prangert die AfD das Gericht als Ersatzgesetzgeber an. Warum fällt es Politikern so schwer, die Entscheidungen des Verfassungsgerichts zu akzeptieren?

Im Allgemeinen stoßen die Entscheidungen auf große Akzeptanz, nicht nur in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, sondern auch in der Politik. Da Verfassungsrechtsprechung darin besteht, den politischen Akteuren die rechtlichen Rahmenbedingungen und Grenzen ihres Handelns aufzuzeigen, ist es selbstverständlich nicht auszuschließen, dass Akteure der Politik mit bestimmten Entscheidungen im Ergebnis nicht einverstanden sind. Seit Bestehen des Bundesverfassungsgerichts kann man beobachten, dass in solchen Fällen schnell der Vorwurf gemacht wird, das Gericht greife zu stark in die Politik ein und fungiere als Ersatzgesetzgeber. Mit solchen Worten wird vielfach nur verschleiert, dass man im konkreten Fall mit der Entscheidung des Gerichts nicht einverstanden ist, was jedem Beteiligten unbenommen ist. Dass es heute grundsätzliche Akzeptanzprobleme gibt, kann ich nicht feststellen.

Welche Pflicht leiten Sie aus dem hohen Vertrauen der Bevölkerung in die Institution ab?

Auch für das Bundesverfassungsgericht gilt, dass es immer leichter ist, vorhandenes Vertrauen zu bewahren, als verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Das hohe Ansehen und Vertrauen, das das Bundesverfassungsgericht genießt, ist in meinen Augen überhaupt nicht gefährdet. Das Gericht wird sich immer bewusst sein, dass seine Entscheidungen vielfach eine enge Beziehung zum Bereich des Politischen aufweisen, dass Verfassungsrechtsprechung aber gleichwohl echte Gerichtsbarkeit ist, bei der es um die Rechtserkenntnis nach juristisch-rationalen Methoden geht. Und dass dem Gesetzgeber und der Regierung keinesfalls die politischen Gestaltungsrechte genommen werden dürfen, die das Grundgesetz ihnen zuweist.

Welchen besonderen Blick haben Sie als Hüter des Grundgesetzes auf den Umgang mit NS-Raubkunst?

Nach wie vor handelt es sich bei dem Thema NS-Raubkunst um eine nicht nur hochkomplexe, sondern auch sehr sensible Materie, sowohl unter politischem als auch moralisch-ethischem Gesichtspunkt. Ich sehe meine Aufgabe darin, zusammen mit den übrigen Mitgliedern der Beratenden Kommission faire und gerechte Lösungen zu finden und damit im Hinblick auf die NS-Raubkunst die Folgen der Terrorherrschaft des NS-Regimes und damit des entsetzlichsten Unrechts, das jeder Rechtsnatur entbehrte, auch nach Jahrzehnten so gut es geht wiedergutzumachen. Dies hat nicht allein nach den Maßstäben des geltenden Rechts, sondern auch nach denen der Moral und der Ethik zu erfolgen.

Im vergangenen Jahr wurde die Kommission nach Kritik von Opferverbänden reformiert. Arbeitet sie jetzt transparenter?

Die Tätigkeit der Beratenden Kommission ist in meinen Augen in hohem Maße transparent. Seit 2005 werden ihre Empfehlungen und deren Begründungen veröffentlicht. Weitere Transparenz erfährt sie nun durch ihre ebenfalls publik gemachte Verfahrensordnung. Vor einer Entscheidung der Beratenden Kommission in der Sache findet eine mündliche Anhörung der Parteien vor der Kommission statt. In dieser mündlichen Verhandlung wird der Fall zwischen der Kommission und den Parteien erörtert.

Ein Kritikpunkt war, dass die Kommission in 13 Jahren nur 13 Entscheidungen getroffen habe. Warum fühlt sich die Kommission nicht für mehr Raubkunstfälle zuständig?

Die Kommission hat bisher 15 Empfehlungen abgegeben. Sie bestimmt nicht selbst die Zahl der von ihr zu behandelnden Fälle, und sie wird nicht von Amts wegen tätig, sondern nur auf Antrag. Überdies ist ein Verfahren vor der Beratenden Kommission nur zulässig, wenn die Parteien vorab über eine Einigung verhandelt haben. Nur wenn eine gütliche Einigung gescheitert ist, kann die Kommission angerufen werden.

Wünschen Sie sich weitergehende Entscheidungsbefugnisse für die Kommission, etwa als verbindliche Schiedsstelle zu fungieren?

Ein Wirken als verbindliche Schiedsstelle würde mit dem Charakter der Beratenden Kommission als einem Mediationsgremium grundlegend kollidieren. Das Mandat soll ja gerade das Finden einer Empfehlung im Sinne einer fairen und gerechten Lösung sein, die freiwillig von den Parteien angenommen und umgesetzt wird. Die Kommission wird nicht als Gericht, auch nicht als Schiedsgericht tätig. Will man dies ändern, wofür ich keinen Anlass sehe, müsste man ein grundlegend anderes Normengerüst schaffen. Im Übrigen stellte eine verbindliche Streitentscheidung rechtsprechende Gewalt dar, die nach dem geltenden deutschen Verfassungsrecht den Richtern vorbehalten ist. Gerichte entscheiden allein auf der Grundlage bestehender Gesetze, für die Beratende Kommission und deren Empfehlungen können aber auch moralisch-ethische Maßstäbe bestimmend sein.

Zurzeit wird die Gurlitt-Sammlung in Bern und Bonn ausgestellt. Hat dieser Fall Ihre Sicht auf Fragen von Restitution und Raubkunst verändert?

Der sogenannte Schwabinger Kunstfund hat in Deutschland zu einer weiteren Sensibilisierung im Umgang mit dem Thema NS-Raubkunst geführt. So wurde in dessen Folge von Bund, Ländern und Kommunen etwa das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste gegründet, die Beratende Kommission kann nun auch in den Fällen tätig werden, in denen auf beiden Seiten Private beteiligt sind.

Wollen Sie die Kommission für Privatsammler in Zukunft weiter öffnen, die NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter in ihrem Besitz vermuten?

Im Hinblick auf die Anrufung der Beratenden Kommission besteht bereits jetzt die Möglichkeit, dass diese aufseiten des über das Kulturgut Verfügenden durch öffentliche Einrichtungen erfolgen kann, wie auch durch private, Kulturgut bewahrende Einrichtungen in Deutschland, die sich den Washingtoner Prinzipien von 1998 sowie der Gemeinsamen Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden von 1999 unterwerfen. Ebenso ist eine Anrufung aufseiten des über das Kulturgut Verfügenden durch Privatpersonen möglich, die sich ebenfalls diesen Erklärungen unterwerfen. Insoweit besteht bereits die in Ihrer Frage formulierte Möglichkeit.

Die Kommission wird erst eingeschaltet, wenn schon gestritten wird. Wie könnte unangenehmer und langwieriger Streit um Restitutionsansprüche im Vorfeld vermieden werden?

Die Parteien entscheiden, ob und wann sie die Kommission einschalten. Insoweit ist selbstverständlich zu begrüßen, wenn es den unmittelbar Beteiligten selber gelingt, eine faire und gerechte Lösung zu finden. Dabei spielen meines Erachtens insbesondere Transparenz, Sachlichkeit und gegenseitiger Respekt eine zentrale Rolle. Erst wenn die Parteien trotz aller Bemühungen keine Lösung finden, kann die Kommission angerufen werden. Auch die Beratende Kommission ist dann ihrerseits gehalten, in jedem Verfahrensstadium auf eine gütliche Einigung hinzuwirken. Die Beratende Kommission ist immer nur subsidiär zuständig, wenn einvernehmliche Lösungen zwischen den Parteien nicht möglich sind. Auf jene vorausgehenden Verfahren hat die Beratende Kommission keinen Einfluss, hier ist die Verantwortung der – überwiegend öffentlichen – Träger der Einrichtungen gefordert.

https://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article171429702/Entsetzlichstes-Unrecht-wiedergutmachen.html
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