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Stiftung Schloss Friedenstein präsentiert "Verlustkatalog"

1998
1970
1945
Thueringer-allgemeine.de 16 February 2012
By Karsten Jauch

  • Im Festsaal von Schloss Friedenstein stellte Stiftungsdirektor Martin Eberle den Verlustkatalog des Gothaer Museums vor. Präsentiert wurde auch das Gemälde "Die Beweinung des heiligen Sebastian", das mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder restauriert wurde. Foto: Peter Riecke
    Im Festsaal von Schloss Friedenstein stellte Stiftungsdirektor Martin Eberle den Verlustkatalog des Gothaer Museums vor. Präsentiert wurde auch das Gemälde "Die Beweinung des heiligen Sebastian", das mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder restauriert wurde. Foto: Peter Riecke
Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha stellte den zweiten Band einer langjährigen Dokumentation zu den Verlusten der Kunstsammlung vor. 435 Bilder fehlen. Allein drei Gemälde von Rubens, zwei Gemälde von Frans Hals und ein berühmtes Selbstporträt von Rembrandt sind aus dem Museum verschwunden.

Mit einer Feierstunde im Festsaal von Schloss Friedenstein wurde am Mittwoch die "Verlustdokumentation der Gothaer Kunstsammlung" vorgestellt. Nach 1997 sei dies der zweite Katalog zu den Verlusten, sagte Martin Eberle, Direktor der Stiftung Schloss Friedenstein.

Ausgangspunkt sei der Sammlungskatalog aus dem Jahre 1870 gewesen. Und so würden nun nicht nur Kriegsverluste aufgelistet, sondern auch "reguläre und legale Verkäufe aus den 1930er-Jahren", die Verbringung von Kunstwerken 1945 nach Coburg sowie der berüchtigte Raub von fünf Gemälden aus dem Jahre 1979.
  • Rembrandts Selbstporträt hängt heute in München. Abbildung: Katalog
    Rembrandts Selbstporträt hängt heute in München. Abbildung: Katalog
Insgesamt sind in dem Band, der von der Kulturstiftung der Länder gefördert wurde, 435 Abgänge verzeichnet. Heute, so Martin Eberle, habe die Stiftung noch 642 Gemälde.

Als herber Verlust gelten zum Beispiel drei ausgeliehene Bilder, darunter eines von Caspar David Friedrich, die beim Brand des Münchner Glaspalastes 1931 untergingen.

Allein im Krieg seien 120 Werke verloren gegangen. Unmittelbar danach - im Frühjahr 1946 - wurden viele Bilder in die Sowjetunion gebracht.

"Unter Leitung von Major Professor Boris Alexejew, Mitglied der Trophäen-Brigaden und Repräsentant des sowjetischen Kunstkomitees in Thüringen und Sachsen, wurden die Gothaer Kunstsammlungen zunächst gesichtet und anschließend abtransportiert", heißt es im Katalog. Der Protest des damaligen Landtagsvizepräsidenten Ernst Busse verhallte.

Als 1959 mit großer Geste die geraubten Bilder von der Sowjetunion zurückgegeben wurden, da zählte die Liste gerade einmal 25 Gemälde und vier einzelne Rahmen.

Bis heute sollen sich 50 Gemälde im Moskauer Puschkin-Museum befinden. "Gesehen habe ich die Bilder aber noch nicht", räumte Martin Eberle ein. Landesweit sind die Thüringer Museen von den Alliierten geplündert worden. Die Rote Armee setzte sogenannte Trophäenkommissionen ein.
  • Das Rubensgemälde "Venus vor dem Bade" war bis 1943 in Reinhardsbrunn. Abbildung: Katalog
    Das Rubensgemälde "Venus vor dem Bade" war bis 1943 in Reinhardsbrunn. Abbildung: Katalog
In Magdeburg befindet sich die zentrale Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste. Sie dokumentiert im Auftrag von Bund und Ländern in der Datenbank Lostart weltweite Such- und Fundmeldungen zu Raubkunst, aber auch Beutekunst.

2009 erklärte Lostart, dass Thüringen zudem ein bevorzugter Auslagerungsort für Kunst war. So stellte die US-Army 1945 im Kalibergwerk Merkers Gold, Geld und 3000 Kisten voller Kunstwerke sicher, die aus Berlin eingelagert waren.

Mindestens 22 Einrichtungen aus 13 Thüringer Städten gaben bei Lostart Meldungen ab, was ihnen in den Kriegswirren alles abhanden kam. Neben Gotha waren die sowjetischen Trophäensammler vor allem in Weimar aktiv.

Noch heute stehen 82 Objekte auf der Verlustliste von Lostart. Die Klassikstiftung Weimar hatte bereits Ende der 1960er-Jahre einen Katalog mit den Verlusten herausgegeben, deren Zahl aber deutlich unter der der Gothaer lag, wie ein Stiftungssprecher einräumte.

Angeblich hat sich Marschall Schukow im Jahre 1946 mehr als 20 Gemälde aus der Sammlung mitbringen lassen. Überprüfen lässt sich die Episode nicht.

Ohnehin hat die Klassikstiftung Weimar eher den Blick auf die Provenienzrecherche zur NS-Raubkunst gerichtet.

Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek hat bereits 2005 damit begonnen, alle Erwerbungen zwischen 1933 und 1945 systematisch auf unrechtmäßig entzogenes und geraubtes Kulturgut hin zu überprüfen. Inzwischen ist die Suche auch auf die nach 1945 eingearbeiteten Bestände ausgedehnt worden.
  • "Adam und Eva" von Lucas Cranach d. Ä. befinden sich offenbar in Moskau. Abbildung: Katalog
    "Adam und Eva" von Lucas Cranach d. Ä. befinden sich offenbar in Moskau. Abbildung: Katalog
Zahlreiche Bücher wurden dabei gefunden. In den Beständen des Goethe-Schiller-Archives befinden sich drei Briefe, die 1939 bei der jüdischen Eigentümerin Josephine Lechner in Wien von der Gestapo beschlagnahmt wurden. Offenbar wurden die Briefe später der Sauckel-Stiftung übereignet und gelangten so 1941 ins Goethe- und Schiller-Archiv.
In Gotha ist man indes der Ansicht, dass mit der Veröffentlichung des Verlustkataloges die Chancen auf eine Rückkehr steigen.

Selbst die 1979 geraubten Gemälde könnten wieder auftauchen, sagte der Stiftungsdirektor, auch wenn die Tat inzwischen verjährt sei: "Wir haben den Rechtsanspruch nicht verloren, nur müssen die Bilder von den derzeitigen Besitzern nicht zurückgegeben werden." Die juristischen Regelungen sehen derart komplizierte Handhabungen vor.

Dass unter den damals geraubten Gemälden auch das berühmte Selbstporträt Rembrandts gewesen sei, das erst 1956 aus der Sowjetunion zurückgegeben wurde, sei besonders schmerzhaft. Doch "das ist die Geschichte einer Sammlung", dazu gehörten Verluste.

Außerdem, so Martin Eberle, "ist noch jede Menge hier." Am Mittwoch vorgestellt wurde im Festsaal auch das Gemälde "Die Beweinung des heiligen Sebastian" von Theodor Rombout (15971637), das künftig im Betkabinett des Herzoglichen Appartements aufgehängt wird. Mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder wurde das Bild restauriert.
  • Auch Cranachs "Erasmus von Rotterdam" steht auf der Verlustliste. Der Verbleib ist unbekannt. Abbildung: Katalog
    Auch Cranachs "Erasmus von Rotterdam" steht auf der Verlustliste. Der Verbleib ist unbekannt. Abbildung: Katalog
Deren Vertreterin, Dezernentin Britta Kaiser-Schuster, kündigte am Mittwoch weitere Hilfe für Gotha an. So will der deutsch-russische Dialog Anfang März ein neue Studie vorstellen.

Ob das die Auslieferung der Bilder aus dem Puschkin-Museum bewirkt, ist eher ungewiss. Seit 2011 zumindest habe Gotha einen guten Kontakt nach Moskau. Das Verhältnis sei enger geworden. Doch Martin Eberle räumte gestern auch ein: "Es geht in diesem Dialog nicht um Rückgabe."


Fragen des Tages

Wie wurden Kunstwerke geraubt?

Kunstwerke waren im Zweiten Weltkrieg bei allen Parteien begehrt. Der NS-Staat hatte systematisch alle besetzten Länder geplündert sowie zahlreiche Werke durch sogenannte Arisierung den jüdischen Besitzern enteignet. Die Washingtoner Erklärung von 1998 regelt, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke zu identifizieren, deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine faire Lösung zu finden ist. Nach Kriegsende bedienten sich die Alliierten ihrerseits in den deutschen Museen.

Wie haben die Trophäenkommissionen agiert?


Von 1945 bis 1947 wurden in der sowjetischbesetzten Zone durch Expertenkommissionen zahlreiche deutsche Kulturgüter beschlagnahmt und in die Sowjetunion verbracht. Experten schätzen, dass so nach dem Zweiten Weltkrieg rund eine Million Kunstwerke, 4,6 Millionen Bücher und drei Kilometer Archivmaterial in die Sowjetunion gelangten. Ein Teil der Gemälde wurde mit viel Propaganda an die DDR zurückgegeben, etwa 1955 nach Dresden.

Welche Museen sind besonders betroffen gewesen?


Fast alle Thüringer Museen waren betroffen, vor allem in Residenzstädten. Durch die Rote Armee kamen rund 60 Prozent der Gothaer Sammlungen abhanden. Die Rüstkammer der Wartburg, die 850 historische Kunstwerke beherbergte, wurde im Februar 1946 konfisziert. 1949 wurden vom Landgut Holzdorf die Gemälde der Sammlung Krebs abtransportiert, darunter Werke von Renoir, Gaugin und van Gogh. Über 70 Gemälde sollen sich im Depot der Eremitage befinden.

Welche Kunstwerke wurden in jüngster Zeit zurückgegeben?

Die US-Zollbehörde hat 2000 ein Gemälde des Jacopo de' Barbari aus dem 16. Jahrhundert an die Klassikstiftung Weimar zurückgegeben, das 1945 auf Schloss Schwarzburg gestohlen worden war.

Wo befinden sich die geraubten Kunstwerke heute ?


Vor allem im Puschkin-Museum in Moskau, aber auch in der Eremitage wird die geraubte Kunst vermutet. 2008 tauchten Beutekunst-Bücher aus der Bibliothek von Sachsen-Meiningen in Georgien auf.

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