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Mühsame Suche nach NS-Raubkunst

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1945
Boulevard Baden 19 March 2012


foto: dapd

Stuttgart (dapd-bwb). Eine 1,40 Meter große Statue war Anja Heuß' erster großer Erfolg. Die Wissenschaftlerin leistete nahezu Detektivarbeit, um herauszufinden, dass es sich bei der Renaissance-Figur von Johannes dem Täufer um "Nazi-Raubkunst" handelt. Am Ende konnte die Provenienzforscherin der Stuttgarter Staatsgalerie und des Landesmuseums Württemberg die Holzplastik den Erben der früheren Besitzer, Jacob und Rosa Oppenheimer, zurückgeben.

Die Nazis hatten 1933 das jüdische Ehepaar gezwungen, ihr Handelsgeschäft für alte Kunst in Berlin zu schließen und ihren Besitz zu versteigern. Die Figur gelangte 1986 über den Handel in das Landesmuseum Württemberg. Heuß stieß beim Durchforsten der Museumsbestände auf den zweifelhaften Erwerb und recherchierte die früheren Besitzer sowie deren Erben.

Heuß ist eine von bisher sechs Provenienzforschern in Baden-Württemberg. Die Kunsthistoriker und Historiker haben begonnen, Museumsbestände systematisch nach Kulturgütern zu untersuchen, die ab 1933 unrechtmäßig erworben wurden. Vier Projekte laufen derzeit noch. Eigentlich müssten es viel mehr sein. Doch selbst die Zukunft der bereits laufenden Forschungsprojekte ist ungewiss.

Bisher erhalten die beiden Stuttgarter Museumshäuser wie auch das Badische Landesmuseum und die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe für ihre Forschungen Mittel des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien über die Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin. Die Hälfte der Kosten trägt das Land. Aber auch Städtische Museen wie die Kunsthalle Mannheim, das Archäologische Hegau-Museum in Singen oder die Städtischen Museen Freiburg im Breisgau bemühen sich um Aufarbeitung.

Die seit 2009 bereitstehende finanzielle Unterstützung durch die Arbeitsstelle ist auf drei Jahre begrenzt und soll nur eine "Anschubfinanzierung" sein, wie deren Leiter Uwe Hartmann erläutert. Danach sollen sich die Länder eigentlich selbst um die notwendigen unbefristeten Forschungsstellen kümmern. Das baden-württembergische Ministerium für Wissenschaft und Kunst sieht sich nur bei den in Landesbetriebe umgewandelten Museen in der Pflicht. Für sie gebe es zusätzliche Mittel, aber keine Stellen. Städtische Einrichtungen können dagegen nicht auf Landeshilfen hoffen.

Im bundesweiten Vergleich bewegt sich Baden-Württemberg im Bemühen um Aufklärung derzeit im vorderen Mittelfeld. An der Spitze der Antragsteller bei der Arbeitsstelle für Provenienzforschung stehen Nordrhein-Westfalen, Berlin und Niedersachsen, gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg. 470.000 Euro gingen bisher in baden-württembergische Einrichtungen.

"Es sind vor allem die großen Häuser, die Anträge stellen", berichtet Hartmann. Die Städtischen Museen seien insgesamt noch sehr zurückhaltend, obwohl auch bei ihnen "verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter" zu vermuten sind. Um sie zu erreichen, ist der Förderetat in diesem Jahr auf 2 Millionen Euro verdoppelt worden.

Anja Heuß' Auftrag in Stuttgart läuft seit Oktober 2009 und wurde gerade erst bis 2013 verlängert. Mehrere Generationen könnten noch mit der Klärung der Herkunft der Museumsbestände beschäftigt sein, schätzt sie. Rund 2.000 Gemälde und Kunstgegenstände müssen in der Staatsgalerie überprüft werden, im Landesmuseum über sind es 10.000. Bisher hat Heuß 21 Besitztümer des Landesmuseum als Raubkunst identifiziert, an der Staatsgalerie drei Gemälde. "Das ist ziemlich viel in der Kürze der Zeit", findet die Historikerin.

Stuttgart gilt unter den Provenienzforschern als besonders schwieriges Pflaster. Die Akten von Landesmuseum, Staatsgalerie und Kultusministerium sind während des Krieges vollständig verbrannt. Damit fehlen auch die für die Forschung wichtigen Korrespondenzen mit den Händlern.

Heuß muss bei der Suche nach Quellen deshalb besonders einfallsreich sein und in anderen Archivbeständen recherchieren, etwa in den "Wiedergutmachungsakten" alter Entschädigungsfälle. "Die Provenienzforschung hier kann man schon als Kür oder Kunstform begreifen", stellt die erfahrende Wissenschaftlerin fest.

"Die Recherche nach den Erben ist ziemlich aufwendig, wenn keine Ansprüche erhoben wurden", berichtet Heuß. Es ist viel Erfahrung und auch viel Fantasie gefragt. "Ich habe schon Erben über Facebook gefunden." Etwa den Urenkel von Morton Bernath, ein jüdischer Antiquitätenhändler aus Stuttgart, der 1934 gezwungen wurde, sein Geschäft im Prinzenbau zu schließen. Das Landesmuseum Württemberg kaufte aus seinem Lager einen Silberbecher der Esslinger Metzgerzunft aus dem 16. Jahrhundert. Doch an den Urenkel aus Südafrika darf das Museum den Zunftbecher nicht zurückgegeben. In der weit verzweigen Familie gibt es noch mehr Erben - das deutsche Recht verlangt eine Erbengemeinschaft.

Oftmals können aber der ehemalige Besitzer und ihre Nachfahren gar nicht mehr ermittelt werden. Ohne Erbe ist aber auch keine Wiedergutmachung möglich. Die meisten Objekte werden deshalb, auf die unter Forschern und Rechtsexperten bekannte Datenbank "lost-art.de" gestellt in der Hoffnung, dass eines davon wiedererkannt wird. "Die Chancen sind minimal", schätzt Heuß jedoch.


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