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Haus der Kunst: Geschichtsbewusst mit Schokolade

1998
1970
1945
Merkur 8 June 2012

By Michael Schleicher

München - Vor 75 Jahren hat Adolf Hitler in München das „Haus der Deutschen Kunst“ eröffnet. Für die Ausstellung „Geschichten im Konflikt“ öffnet das Haus nun die Archive und stellt sich seiner Geschichte.

© dapd

Um die Verführungskraft der NS-Ideologie erfahrbar zu machen, die sich auch im „Haus der Deutschen Kunst“ manifestierte, ist in der Ausstellung ein Modell des Gebäudes aus weißer Schokolade zu sehen.

Schwer zu sagen, wem mehr Lob gebührt: Okwui Enwezor und seinem Team vom Münchner Haus der Kunst für den Mut – oder Christian Philipp Müller für seine Ideen und deren wirkungsvolle Umsetzung. Der Museumschef hat den Schweizer Konzeptkünstler eingeladen, zur wechselvollen Geschichte des Gebäudes an der Prinzregentenstraße eine Dramaturgie zu entwickeln. Und Müller ist es gelungen, eine Erzählung zu konzipieren, die in ihren besten Momenten nicht nur sinnlich erfahrbar werden lässt, welche Historie dieses Haus durchlebt hat, sondern auch, wie Ideologien funktionieren, warum sie faszinieren. So wird überrascht, wer befürchtet hatte, die Ausstellung „Geschichten im Konflikt“ mit ihrem – zugegeben sperrigen – Untertitel „Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1937 bis 1955“ müsse vor allem über die (anstrengende) Lektüre von Archivtexten und ihrer wissenschaftlichen Einordnung erschlossen werden.

Der von Sabine Brantl und Ulrich Wilmes konzipierten Schau gelingt es vielmehr, die Besucher emotional begreifen zu lassen und sie so zu einem tieferen Verständnis zu bringen, als es über das reine Vermitteln historischer Fakten möglich gewesen wäre. Die Bedeutung des Gebäudes für die NS-Ideologie und deren Mechanismen werden oft plastisch gezeigt.

Da ist zum Beispiel die Idee mit dem Modell aus weißer Schokolade. Der Reihe nach: Bevor am 15. Oktober 1933 der Grundstein des „Hauses der Deutschen Kunst“ gelegt wurde (Hitlers Hammer ging dabei entzwei, was die deutschen Medien aber nicht berichten durften), wurde ein Modell des Gebäudes von jungen Männern durch die Straßen der Stadt getragen, vorbei an fasziniert staunenden Menschen.

In eben diese Rolle zwingen die Ausstellungsmacher nun ganz beiläufig auch uns Besucher: Ruhig stehen wir vor der Projektion der Filmaufnahmen von diesem Tag, während das Modell immer in Bewegung ist. Begreifen können wir erst, wenn wir uns selbst bewegen, um die Projektionsfläche herumgehen in den Ausstellungsraum hinein: In dessen Mitte hat Christian Philipp Müller das Modell des Gebäudes platziert – gefertigt aus weißer Schokolade, ein süß-verlockender Duft kündet davon.

Damit stellt der Schweizer eine direkt und sinnlich erfahrbare Verbindung her zur Verführungskraft der NS-Ideologie in den Dreißigerjahren. Hitler setzte das Modell des Gebäudes wie einen Fetisch für das Volk ein – nicht nur beim bereits erwähnten Festzug „Glanzzeiten deutscher Kultur“ am Tag der Grundsteinlegung und bei den jährlichen Darbietungen am „Tag der Deutschen Kunst“. Das Schokoladenmodell ist für den Schweizer Künstler dabei auch eine Anspielung auf den „schönen Schein des ,Dritten Reiches‘“, wie es der Historiker Peter Reichel einmal formuliert hat. Um die physische Präsenz von Hitlers Eröffnungsrede auch körperlich erfahrbar zu machen, wurde außerdem der vollständige Text auf eine mehrere Meter hohe und breite Stellwand gedruckt – schon vor der Lektüre hat man dabei das Gefühl, schier erschlagen zu werden.

Andere „dramaturgische Interventionen“ Christian Philipp Müllers sind dagegen zwar charmant, doch weit weniger zwingend: So hat er das Gebäude von außen mit einigen Tarnnetzen verhängen lassen, um an die Zeit während der Bombenangriffe auf München zu erinnern, die das Gebäude relativ unbeschadet überstanden hat. Heute sind die Tarnnetze freilich bunt – schließlich will das Haus wahrgenommen werden und sich nicht unsichtbar machen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nutzte die US-Armee das Gebäude zunächst als Offizierscasino, etwa für Konzerte, Tanz und Sport: Um diese Zeit wachzurufen, wurden nun Basketballfelder auf die Steinplatten im ersten Stock gezeichnet. Na ja.

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Sehr viel packender ist dagegen die Präsentation der Kunst selbst gelungen: Jene Bilder, die den Nazis als vorbildlich galten und die daher zwischen 1937 und 1944 bei den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ gezeigt wurden, sind auf recht eng gestellte Gitterwände gehängt. Auch hier fühlt man sich schier erdrückt von all dem Pathos im Großformat, all dem Kampfes-Kitsch in Öl. Die Hängung an Metallgittern erlaubt zudem auch einen Blick auf die Rückseite der Gemälde – meist ist das der spannendere. 12 000 Reichsmark hat sich Hitler etwa das Ölgemälde „Im Kampfgebiet des Atlantiks“ (1941) von Claus Bergen (1885-1964) kosten lassen. In seinem Entstehungsjahr war es bei der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ in München zu sehen, ein Jahr später schickte Hitler es zur 23. Biennale nach Venedig. Ihm gehörte auch Karl Deckers Ölgemälde „In Frankreich“ aus dem Jahr 1940. Dieses Bild wurde ebenfalls 1941 im „Haus der Deutschen Kunst“ gezeigt. Auf seiner Rückseite klebt noch immer ein Vordruck „Anschrift für Rücksendung“, ausgefüllt wurde damals jedoch nur die Rubrik „Vor- und Zuname“ – „Führer“.

Nach den Gitterstellwänden öffnet sich der Raum, scheint wahrhaftig aufzuatmen. Zu sehen sind hier sowohl Arbeiten von Künstlern wie Max Beckmann oder Oskar Schlemmer, die in der Feme-Schau „Entartete Kunst“ in den unweit gelegenen Hofgartenarkaden gezeigt wurden, als auch Werke, die zwischen 1949 und 1955 bei den „Großen Münchner Kunstausstellungen“ zu sehen waren: Bilder von Paul Klee, Pablo Picasso, Gabriele Münter oder Rupprecht Geiger.

Kunstgenuss ist das. Natürlich. Vor allem aber: Der Genuss von Freiheit.

 

http://www.merkur-online.de/nachrichten/kultur/haus-kunst-geschichtsbewusst-schokolade-2348082.html
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