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Die Geschichte einer Judaica-Sammlung in Frankfurt

1998
1970
1945
HRonline 19 July 2012
Von Magdalena Depta

Der Fall Nauheim steht beispielhaft für die zwiespältige Rolle der Museumsdirektoren während der NS-Zeit. Die "Rettungsaktion" vom ehemaligen Direktor des Historischen Museums in Frankfurt pendelt zwischen wohlgemeinter Hilfe und unzulässiger Bereicherung.


Vitrinen mit Chanukkaleuchtern im Jüdischen Museum Frankfurt


Prachtvolle Chanukkaleuchter zieren die Regale im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main. Sie sind Objekte aus der Sammlung des Frankfurter Kaufmanns Sigmund Nauheim (1874-1935).

Nach dem frühen Tod seiner Eltern wuchs Nauheim in der "Israelitischen Waisenanstalt Frankfurt" auf. Während seiner Reisen und seinen Auslandsaufenthalten sammelte er mehr als 200 Judaica-Objekte. Dies waren neben Ritualgegenständen wie Chanukka- und Schabbatleuchern, Toramänteln und Beschneidungsgeräten auch bedeutsame Handschriften. Als Nauheim starb, vererbte er die Kultobjekte seiner Sammlung an das Museum jüdischer Altertümer in Frankfurt.
 
"Rettung" vor Zerstörungswut der Nationalsozialisten

In der Pogromnacht 1938 plünderten und verwüsteten Nationalsozialisten das Museum. Ihrer Zerstörungswut fielen große Teile des Bestandes zum Opfer. Auch raubten sie Objekte, um diese dann einzuschmelzen. Man geht heute davon aus, dass der Direktor des städtischen Historischen Museums, Ernstotto Graf zu Solms-Lauterbach, zum zerstörten Museum eilte, um Ausstellungsobjekte zu sichern, indem er sie in sein eigenes Museum überführte. Dort beschlagnahmte die Gestapo die Objekte am folgenden Tag.

Graf zu Solms-Lauterbach gab die "Rettungsaktion" nicht auf. Unterstützung erhielt er vom Nationalsozialisten und Oberbürgermeister Frankfurts, Friedrich Krebs. Gemeinsam hatten sie schließlich Erfolg: Nach heftiger schriftlicher Auseinandersetzung gab die Gestapo die wertvollen Kultgeräte an das Historische Museum.
 
Verteilung und Restitution der Judaica nach 1945

Zum Schutz vor Luftangriffen wurden die Museumsbestände in Frankfurt und Umgebung 1944 ausgelagert. Als Verwahrungsorte dienten Bunker und Kirchen. Nach Kriegsende brachte man die Ausstellungsstücke in das Historische Museum zurück. Die amerikanische Besatzung forderte eine Auflistung der Judaica, die das Museum während der NS-Diktatur an sich genommen hatte. Offen bleibt die Frage, warum das Historische Museum die Gegenstände nicht zum "Collecting Point Offenbach" brachte, die Sammelstelle für Raubkunst.

Stattdessen untersuchten Vertreter der "Jewish Cultural Reconstruction" (JCR) (Info-Box 2) die Objekte im Historischen Museum. Unter ihnen war die Philosophin Hannah Arendt, die 1950 eigens dafür nach Frankfurt gekommen war. Im Anschluss verteilten sie die Judaica an Museen und Gemeinden in den USA und Israel. Dokumente der JCR belegen, dass 28 Stücke der Nauheim-Sammlung in die USA und 38 nach Israel gingen.
 
1957 – Die Überraschung

Als Mitarbeiter des Historischen Museum die letzten Auslagerungsbunker in Griesheim räumten, entdeckten sie Kisten mit der Aufschrift "N". Darin waren 67 Chanukka-Leuchter der Sammlung-Nauheim enthalten. Offensichtlich waren die Leuchter restitutionspflichtig (Info-Box 3) und von den Vertretern der JCR übersehen worden.

Ein ehemaliger Kollege des Grafen zu Solms-Lauterbach, Guido Schönberger, war aufgrund der "Rassengesetze" am Historischen Museum entlassen worden und nach New York emigriert. 1951 kehrte er im Auftrag der JCR nach Frankfurt zurück. Die guten Absichten des Direktors Graf zu Solms-Lauterbach zweifelte er nicht an. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Graf mit der "Rettung" der kostbaren Judacia seine eigene Sammlung bereicherte.

Im Jahr 1987 wurden auf Beschluss der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung die Chanukkaleuchter dem neu gegründeten Jüdischen Museum Frankfurt übergeben. Sie bilden hier das Fundament der Sammlung.


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