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Bührle-Stiftung mit neuer Forderung konfrontiert

1998
1970
1945
Neue Zürcher Zeitung 30 October 2012
By Marcel Gyr

Das Ölgemälde «Mohnfeld bei Vétheuil» ist eines der bekanntesten Werke des französischen Malers Claude Monet.
Das Ölgemälde «Mohnfeld bei Vétheuil» ist eines der bekanntesten Werke des französischen Malers Claude Monet. (Bild: Reuters)

Bis 1940 hing «Mohnfeld bei Vétheuil» in der Villa von Max Emden auf den Brissago-Inseln. Seine Nachfahren verlangen eine Nachzahlung für das Werk von Monet, das als Teil der Bührle-Sammlung bald im erweiterten Kunsthaus gezeigt werden soll.

Der Chilene Juan Carlos Emden reist dieser Tage nach Zürich. Er ist der Enkel von Max Emden, dem früheren Besitzer von «Mohnfeld bei Vétheuil», einem Meisterwerk des französischen Impressionisten Claude Monet. Im Vorfeld der Abstimmung zur Erweiterung des Zürcher Kunsthauses, in das die Sammlung der Stiftung E. G. Bührle integriert werden soll, erhebt Juan Carlos Emden im Namen der Nachfahren Max Emdens Anspruch auf Restitution. Er ist der Ansicht, das Bild im ehemaligen Besitz seines Grossvaters sei nach dessen Tod 1940 angesichts der damaligen Kriegswirren von seinem Vater, dem Alleinerben Hans Erich Emden, überstürzt und unter Wert verkauft worden.

Stadt lehnt Verhandlungen ab

Käufer war zunächst ein nach St. Gallen emigrierter, jüdischer Kunsthändler aus Deutschland, der es im Frühling 1941 über einen Zürcher Mittelsmann schliesslich an den Schweizer Industriellen und Kunstsammler Emil Georg Bührle verkaufte. Wohlgemerkt geht es in diesem Fall nicht um sogenannte Raubkunst, Werke also, die von den Nazis im Dritten Reich enteignet und später weiterverkauft wurden. Zwar umfasste auch Bührles Kunstsammlung ein gutes Dutzend Raubbilder, die er nach Einschätzung des Bundesgerichts gutgläubig erworben hatte. Einen grossen Teil dieser Raubbilder kaufte Bührle nach dem Zweiten Weltkrieg rechtmässig ein zweites Mal.

Im Fall der Werke von Max beziehungsweise von dessen Sohn Hans Erich Emden machen die Erben geltend, es handle sich um sogenannte Fluchtkunst: Bilder, die von ihren Besitzern aus einer Notlage heraus zu untersetzten Preisen verkauft wurden. Juan Carlos Emden als Sprecher der Erben kämpft seit einigen Jahren weltweit bei verschiedenen Kunstsammlungen und Museen für Restitutionszahlungen. Gemäss chilenischen Medienberichten ist dafür auf Provisionsbasis eine Anwaltskanzlei in New York beauftragt, in Deutschland ist ein weiterer Anwalt mandatiert. Dieser führt gegenwärtig in Zürich die Verhandlungen mit der Bührle-Stiftung. Das Resultat wird in den nächsten Tagen erwartet.

Die Forderung der Emden-Erben, dass an den Gesprächen auch eine Vertretung der Stadt Zürich zugegen ist, wurde abgelehnt. Als Vermittler wurde stattdessen ein Vertreter der Fachstelle Kulturgütertransfer und Raubkunst des Bundesamts für Kultur beigezogen. Neben dem deutschen Anwalt hat Juan Carlos Emden zusätzlich den Winterthurer Historiker und Journalisten Thomas Buomberger engagiert. Dieser hatte 1998 im Auftrag des Bundesamts für Kultur, parallel zur Bergier-Kommission, einen umfangreichen Bericht zum Thema Raubkunst verfasst.

«Mohnfeld bei Vétheuil» wurde von Max Emden Ende der 1920er Jahre erworben. Emden war damals in Hamburg ein äusserst erfolgreicher Geschäftsmann, der in mehreren Ländern Kaufhäuser betrieb. 1933 emigrierte der Jude ins Tessin, wo er die Brissago-Inseln im Lago Maggiore kaufte. Emden war bekannt als Lebemann, der junge Frauen, Polo und das Golfspiel liebte. Er pflegte auch enge Kontakte zur damaligen Naturistenbewegung auf dem Monte Verità und verkehrte mit verschiedenen Grössen aus der Politik und aus der Kunstszene.

Flucht mit haitianischem Pass

Alleinerbe von Max Emden war nach dessen Tod im Sommer 1940, im Alter von 65 Jahren, sein einziger Sohn Hans Erich. Als Jude war dieser in Deutschland ausgebürgert, das Geschäftsvermögen des Vaters zudem weitgehend enteignet worden. In der Schweiz wurde Hans Erich Emden aber die Staatsbürgerschaft verwehrt, obwohl sein Vater bereits 1934 Bürger von Ronco (TI) geworden war. In der Not erwarb er einen haitianischen Pass, der es ihm 1941 ermöglichte, via Lissabon nach Südamerika zu emigrieren. Nach Zwischenstationen in Brasilien und Argentinien liess er sich schliesslich in Chile nieder. Die Flucht finanzierte sich Hans Erich Emden weitgehend mit dem Verkauf von Werken aus der Kunstsammlung seines verstorbenen Vaters.

In diesem Kontext gelangte Monets «Mohnfeld bei Vétheuil» im Winter 1940/41 für 30 000 Schweizerfranken an den Kunsthändler in St. Gallen, wie der Dokumentation der Bührle-Stiftung zu entnehmen ist. Wenige Monate später erwarb Emil Bührle das Ölgemälde über den Zürcher Mittelsmann für 35 000 Franken. Der Preis gilt unter Kunstexperten für die damaligen Verhältnisse als recht hoch; heute wird das Werk auf einen Wert von rund 25 Millionen Franken geschätzt. Es war 2008 Teil eines spektakulären Kunstraubs im Zürcher Seefeld, tauchte aber wenige Tage später in einem parkierten Auto wieder auf. Nach der Erweiterung des Kunsthauses soll es ab 2015 als Teil der Bührle-Sammlung ausgestellt werden.

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