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Landesmuseum Württemberg Herkunft von Renaissance-Uhren geklärt

1998
1970
1945
Damals 30 November 2012


Tischuhr, Johann Reinhold, 1581/ 1592, Augsburg. (Foto: Hendrik Zwietasch, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart)

Zwei kost­ba­re Ti­schuh­ren der Samm­lung „Prun­kuh­ren der Re­nais­sance“ im Stutt­gar­ter Al­ten Schloss sind als Er­geb­nis der Nach­for­schun­gen über ih­re Pro­ve­ni­enz in den Be­stand der Samm­lun­gen des Lan­des­mu­se­ums Würt­tem­berg zu­rück­ge­kehrt. Der Pro­ve­ni­enz­for­sche­rin Dr. An­ja Heuß war es ge­lun­gen, die ehe­ma­li­gen Ei­gen­tü­mer der bei­den Uh­ren zu er­mit­teln, die sich auf­grund der Ver­fol­gung durch das Na­zi-​Re­gime 1942 von ih­rer Kunst­samm­lung tren­nen muss­ten. Bei bei­den Uh­ren han­delt es sich um ein­deu­ti­ge Fäl­le im Sin­ne der Wa­shing­to­ner Er­klä­rung, die auch von Deutsch­land un­ter­schrie­ben wor­den ist. Da­nach sol­len Kul­tur­gü­ter, die NS-​ver­fol­gungs­be­dingt ent­zo­gen wor­den sind und be­stimm­ten Ge­schä­dig­ten zu­ge­ord­net wer­den kön­nen, nach in­di­vi­du­el­ler Prü­fung den le­gi­ti­mier­ten frü­he­ren Ei­gen­tü­mern bzw. de­ren Er­ben zu­rück­ge­ge­ben wer­den. Auf die­ser Grund­la­ge konn­ten mit den Er­ben des ehe­ma­li­gen Ei­gen­tü­mers Kauf­ver­hand­lun­gen auf­ge­nom­men und nun er­folg­reich ab­ge­schlos­sen wer­den.

Die zwei Re­nais­sance­uh­ren stam­men ur­sprüng­lich aus der Samm­lung von Eu­gen Gut­mann, dem Grün­der der Dresd­ner Bank. Eu­gen Gut­mann (1840 bis 1925) war ein be­deu­ten­der Kunst­samm­ler. Im Lau­fe sei­nes Le­bens er­warb er ei­ne Samm­lung vor­wie­gend deut­scher Gold-​ und Sil­ber­schmie­de­ar­bei­ten des 16./ 17. Jahr­hun­derts, die bei sei­nem Tod 1925 meh­re­re hun­dert Wer­ke um­fass­te. Nach dem Tod Eu­gen Gut­manns ver­blieb die Samm­lung im Be­sitz der Fa­mi­lie; sie wur­de von sei­nem Sohn Fritz Gut­mann treu­hän­de­risch ver­wal­tet.

Fritz Gut­mann (1886 bis 1944) zog 1919 mit sei­ner Frau Loui­se, geb. von Land­au, in die Nie­der­lan­de und er­warb 1924 die nie­der­län­di­sche Staats­bür­ger­schaft. Er war dort Mit­in­ha­ber des Bank­hau­ses Pro­ehl & Gut­mann. Die Kunst­samm­lung sei­nes Va­ters ver­wahr­te er in Heems­te­de, Nie­der­lan­de.

Nach dem Ein­marsch der Deut­schen Wehr­macht in Hol­land im Som­mer 1940 wur­de Fritz Gut­mann we­gen sei­ner jü­di­schen Her­kunft ver­folgt, ver­lor Ver­mö­gen und Stel­lung und war ge­zwun­gen, sei­ne Samm­lung zu ver­kau­fen. Ab 1941 be­rei­te­te er sei­ne Flucht vor. 1942 über­gab er da­her sei­ne Samm­lung in Kom­mis­si­on den Kunst­händ­lern Karl Ha­ber­stock, Ber­lin und Ju­li­us Böh­ler, Mün­chen. Die Samm­lung wur­de dar­auf­hin nach Mün­chen ge­bracht und dort de­po­niert. Das Ehe­paar Gut­mann wur­de je­doch 1943 de­por­tiert und ein Jahr spä­ter er­mor­det.

Nach Kriegs­en­de wur­de der größ­te Teil der Samm­lung Eu­gen Gut­mann an die Er­ben re­sti­tu­iert. Meh­re­re Ob­jek­te wa­ren al­ler­dings nicht mehr auf­find­bar. Zwei die­ser feh­len­den Ob­jek­te konn­ten nun im Lan­des­mu­se­um Würt­tem­berg iden­ti­fi­ziert wer­den, nach­dem der Ver­tre­ter der Er­ben­ge­mein­schaft, Si­mon Good­man, im Mai 2011 Kon­takt mit der Pro­ve­ni­enz­for­sche­rin auf­ge­nom­men hat­te. Bei den Uh­ren han­delt es sich um zwei höchst qua­li­tät­vol­le Ti­schuh­ren der Re­nais­sance. Die­se wur­den im Ju­li 2012 an die Er­ben re­sti­tu­iert. Bei­de Uh­ren sind nach wie vor im Lan­des­mu­se­um Würt­tem­berg aus­ge­stellt.

„Das Land hat ei­ne his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung, Kul­tur­gü­ter, die den Ver­folg­ten des Na­zi­re­gimes ent­zo­gen wor­den sind, zu er­mit­teln und zu­rück­zu­ge­ben“, be­tont Staats­se­kre­tär Jür­gen Wal­ter. Des­halb wer­den nach dem Aus­lau­fen der Bun­des­mit­tel die drei seit­her ge­mein­sam fi­nan­zier­ten Re­sti­tu­ti­ons­for­sche­rin­nen an den Mu­se­en in Karls­ru­he und in Stutt­gart ab dem kom­men­den Jahr voll­stän­dig vom Land be­zahlt.“

Die qua­dra­ti­sche Ti­schuhr von Jo­hann Rein­hold, 1581/ 1592 in Augs­burg ge­fer­tigt, stellt mit ih­rem äu­ßerst kom­pli­zier­ten Werk ei­nen Hö­he­punkt der Uhr­ma­cher­kunst in der Re­nais­sance dar. Sie ver­fügt über ein ho­ri­zon­ta­les Haupt­zif­fer­blatt so­wie acht ver­ti­kal an­ge­ord­ne­te Hilfs­zif­fer­blät­ter auf. Die hier­für not­wen­di­ge Win­kel­über­tra­gung der An­triebs­kraft ist ei­ne me­cha­ni­sche Her­aus­for­de­rung und wur­de an nur we­ni­gen Uh­ren in Süd­deutsch­land ein­ge­setzt. Die Viel­zahl as­tro­no­mi­scher und chro­no­me­tri­scher An­zei­gen ma­chen die­se Uhr zu ei­nem hoch­kom­ple­xen Mess-​ und Re­chen­ge­rät. Das ar­chi­tek­to­nisch ge­glie­der­te Ge­häu­se weist sorg­fäl­tig ge­ar­bei­te­te Schmuck­or­na­men­te auf; reiz­voll ist zu­dem das Zu­sam­men­spiel von ver­gol­de­ten und sil­ber­nen Ele­men­ten.

Bei der zwei­ten Uhr han­delt es sich um ei­ne so­ge­nann­te Or­pheus-​Uhr, die ver­mut­lich 1560/ 70 her­ge­stellt wur­de. Na­men­ge­bend für die­se run­de Ti­schuhr ist das Re­li­ef, das die Wan­dung des Ge­häu­ses ver­ziert: Nach gra­fi­schen Vor­la­gen ist hier die Ge­schich­te von Or­pheus und Eu­ry­di­ke dar­ge­stellt. Von sol­chen Or­pheus-​Uh­ren sind welt­weit nur elf, zum Teil un­voll­stän­dig, be­kannt. Die­se sel­te­nen, hoch­be­gehr­ten Uh­ren sind in­zwi­schen wei­test­ge­hend in mu­sea­lem Be­sitz und kom­men nicht mehr auf den Kunst­markt. In der aus Spit­zen­stü­cken be­ste­hen­den Prun­kuh­ren-​Samm­lung des Lan­des­mu­se­ums Würt­tem­berg stellt die Or­pheusuhr mit ih­rem her­aus­ra­gend schö­nen Re­li­ef­schmuck ei­nen an­schau­li­chen Be­leg für das Zu­sam­men­spiel von Uhr­ma­che­rei und zeit­ge­nös­si­schem Kunst­hand­werk dar. Auch das Zif­fer­blatt ist mit ei­nem na­tu­ra­lis­tisch ge­ar­bei­te­ten Re­li­ef ge­stal­tet: Blatt­werk, Vö­gel, Schlan­gen und ei­ne Ei­dech­se bil­den ein har­mo­ni­sches Zu­sam­men­spiel von Tier-​ und Pflan­zen­welt. Die Stun­den­an­zei­gen nach ita­lie­ni­scher Art (I-​VI) las­sen ver­mu­ten, dass die Uhr für den ita­lie­ni­schen Markt ge­fer­tigt wur­de. Bei­de Uh­ren wa­ren 1973 als Teil der Uh­ren­samm­lung von Jo­seph Fre­mers­dorf, Lu­zern, für das Lan­des­mu­se­um Würt­tem­berg er­wor­ben wor­den.


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