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Auf Zeit spielen

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Die Zeit 15 February 2013

Warum sind noch immer Tausende Kunstwerke jüdischer Sammler verschollen? Die Juristin Sabine Rudolph über die stockende Aufarbeitung des NS-Kunstraubs.

 

Die Erbinnen des jüdischen Kunstsammlers Curt Glaser im Landesmuseum Hannover vor dem Gemälde "Römische Campagna" von Lovis Corinth (Archiv). Glaser hatte das Bild 1933 zu einem Schleuderpreis versteigern lassen, um seine Flucht zu finanzieren.

Die Erbinnen des jüdischen Kunstsammlers Curt Glaser im Landesmuseum Hannover vor dem Gemälde "Römische Campagna" von Lovis Corinth (Archiv). Glaser hatte das Bild 1933 zu einem Schleuderpreis versteigern lassen, um seine Flucht zu finanzieren.

Von 1933 an mussten Hunderte von jüdischen Kunstsammlern ihre Gemälde unter Druck verkaufen oder wurden von den Nazis beraubt. Weshalb lagern viele dieser Kunstwerke heute noch in öffentlichen Sammlungen? Ein Gespräch mit Sabine Rudolph, auf NS-Raubkunst spezialisierte Anwältin in Dresden, über den Stand der Restitutionsdebatte.

DIE ZEIT: Wie viele Raubkunst-Bilder befinden sich heute noch in den Museen?

Sabine Rudolph: Das ist kaum abzuschätzen. Aber wenn man die minimale Zahl der zurückgegebenen Raubkunstsammlungen mit den Restitutionen von Grundstücken seit dem Ende des Kriegs vergleicht, dann liegt die Vermutung nahe, dass noch Unmengen von Kunstwerken verschollen sind. Wobei sich ein Großteil der verschollenen NS-Raubkunst heute wohl nicht in Museen, sondern in privaten Händen befindet.

ZEIT: Und die Restitution von NS-Raubkunst ist gegen Privatsammler kaum durchzusetzen?

Rudolph: Man kann sich gegenüber privaten Sammlern leider nicht auf die Washingtoner Erklärung von 1998 berufen, in der sich zahlreiche Staaten zur Restitution von NS-Raubkunst verpflichteten, auch nicht auf die dazugehörige Gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und Kommunen. Obwohl private Sammler in letzterer ausdrücklich aufgefordert werden, sich den Grundsätzen anzuschließen, kenne ich keinen Fall, in dem das passiert ist. Ich suche etwa mit den Erben des jüdischen Sammlers Victor von Klemperer noch immer nach dem Gemälde Kohlfeld im Wannseegarten nach Westen (1917) von Max Liebermann, das zuletzt 2005 beim Auktionshaus Grisebach in Berlin versteigert wurde. Grisebach verweigert uns bis heute die Auskunft des Käufernamens. Letztlich müsste durch einen Gerichtsentscheid geklärt werden, welche Recherchen Auktionshäuser, Kunsthändler oder Kunstkäufer mindestens anstellen müssen, damit sie sich auf Gutgläubigkeit berufen können.

ZEIT: Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?

Rudolph: In einem ersten Schritt geht es bei der Vertretung dieser Mandanten darum, den genauen Bestand der geraubten oder verschollenen Sammlung zu recherchieren, wie etwa in den Fällen der jüdischen Sammler Fritz Glaser oder Max Levy. Meist gibt es dazu kaum noch Unterlagen und auch kaum Zeitzeugen mehr, die helfen könnten. Erst im zweiten Schritt fahnden wir dann nach den heutigen Standorten der Bilder. Eine komplizierte Suche in Werkverzeichnissen, Datenbanken und Galerie-Archiven, wobei einem oft Auskünfte verwehrt werden. Wo etwa befindet sich Emil Noldes Gemälde Seerosen II von 1919 aus der Sammlung Glaser heute? Von der Nolde-Stiftung habe ich dazu bisher keine Information bekommen.

ZEIT: Arbeiten die Auktionshäuser und Kunsthändler gut mit ihnen zusammen?

Rudolph: Die meisten Auktionshäuser geben ungern Auskünfte zu Einlieferern oder Käufern. Einige wenige melden sich inzwischen jedoch auch von sich aus bei mir, wenn bei ihnen Bilder mit unklarer Provenienz auftauchen. Diese Häuser scheinen jetzt gut arbeitende Provenienzabteilungen zu haben.

Profitiert der Kunstmarkt in Zeiten mangelnden Angebots von Restitutionen?

ZEIT: Gibt es ausreichend Provenienzforscher an den Museen?

Rudolph: Es gibt dort mehr Provenienzforscher als noch vor einigen Jahren, aber es sind immer noch zu wenige. Und auch ihre Recherchen führen manchmal nicht zu den fälligen Entscheidungen. Ein Negativbeispiel etwa ist die Stadt Hannover, wo im Fall eines heute im Landesmuseum befindlichen Corinth-Gemäldes aus der Sammlung Max Levy seit Jahren auf die Erforderlichkeit weiterer Recherchen verwiesen wird, obwohl die Erbin schon sehr betagt ist. Und auch im Fall des aus der Sammlung Fritz Glaser stammenden, heute in der Pinakothek der Moderne in München befindlichen Aquarells Hafenbild aus dem Jahr 1918 von Paul Klee warten wir seit Jahren auf Unterstützung bei der Erforschung der Provenienzgeschichte.

ZEIT: Einige Opferanwälte behaupten, dass deutsche Museen auf Zeit spielten?

Rudolph: Der Eindruck drängt sich in vielen Fällen auf. Es gibt aber auch Fälle, in denen wir uns nach langem Ringen fair und gerecht einigen konnten, etwa beim Gemälde von Otto Dix, das auch nach der Restitution in Freiburg im Museum hängen bleibt, weil die Erben des Sammlers Fritz Glaser einem Rückkauf zugestimmt haben.

ZEIT: Vor wenigen Wochen wurde in New York ein erster Teil der wertvollen Plakatsammlung Sachs versteigert, die zuvor aus dem Deutschen Historischen Museum restituiert wurde. Profitiert der Kunstmarkt in Zeiten mangelnden Angebots von Restitutionen?

Rudolph: Zumindest in den Fällen, in denen die Erben verkaufen – etwa weil sich über den Globus verteilte Erbengemeinschaften das wiedererlangte Eigentum nur dann gerecht teilen können, wenn sie es zu Geld machen. Auf der anderen Seite habe ich die Vermutung, dass einige NS-Raubkunstwerke absichtlich nicht in die öffentlichen Auktionen gelangen, weil sonst die ursprünglichen Besitzer Ansprüche anmelden könnten.

ZEIT: Im Auktionshaus Villa Grisebach wurde Ende November 2012 ein Gemälde von Otto Dix, das von den Nazis im Dresdner Stadtmuseum als "entartet" beschlagnahmt worden war, kurz vor der Versteigerung zurückgezogen. Knapp 800.000 Euro zahlten die Kulturstiftung der Länder und private Stiftungen, um die Auktion zu verhindern und das Bild wieder nach Dresden zu holen. Wieso musste das Museum das Bild zurückkaufen?

Rudolph: Die Fälle der vom NS-Staat aus öffentlichen Sammlungen als "entartet" beschlagnahmten Kunstwerke sollte man getrennt von dem Bilderraub an jüdischen Sammlern betrachten. Und es bedarf einer genaueren juristischen Prüfung, aber ich denke, dass die Stadt Dresden dieses Bild nicht unbedingt hätte zurückkaufen müssen. Die NS-Gesetze zur Einziehung "entarteter" Kunst müssten als nichtig angesehen werden, aber an diese Frage wagt sich niemand wirklich ran. Denn die Konsequenz einer solchen Entscheidung wären unüberschaubar, sie würde wohl einen gewaltigen und komplizierten Bildertausch zwischen unzähligen Museen zur Folge haben.


http://www.zeit.de/2013/08/Kunstmarkt-NS-Raubkunst
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