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Auktionshaus Neumeister entdeckt Einlieferer- und Käuferverzeichnisse - Neumeister auction house discovers records of sellers and buyers for Nazi period

1998
1970
1945
Deutschlandfunk 12 April 2013

"Es gibt wirklich profunde neue Erkenntnisse", sagt Katrin Stoll, Geschäftsführerin des Münchener Auktionshaus Neumeister, über die gefundenen Auktionsprotokolle. Diese können für die Rückführung von NS-Raubkunst an ihre ehemaligen Besitzer auch in laufenden Verfahren große Auswirkung haben.

Christoph Schmitz: Bilder, Gemälde, Grafiken, Fayencen, Porzellan, Glas, Schmuck, Möbel - beim Kunstauktionshaus Neumeister in München gibt es alles, was das Herz begehrt. Aus der Zeit vom 15. Jahrhundert bis heute. Rudolf Neumeister ließ sich in München 1951 als Kunsthändler nieder. '58 übernahm er das Auktionshaus Adolph Weinmüller. Weinmüller wiederum war seit 1936 in München als Auktionator aktiv und wirkte kräftig bei der sogenannten "Arisierung" jüdischen Eigentums mit. Neumeisters Tochter Katrin Stoll übernahm 2008 das Geschäft und sie tat etwas Erstaunliches und Einzigartiges. Sie ließ die Nazi-Geschichte des Weinmüller-Unternehmens in Kooperation mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte und der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin wissenschaftlich erforschen von der Kunsthistorikerin Meike Hopp. Die Ergebnisse wurden im vergangenen Jahr publiziert. Vor wenigen Tagen aber machte man bei Neumeisters einen sensationellen Fund: ein fast vollständiger Satz der Auktionsprotokolle der Firma Weinmüller. Um welche Dokumente handelt es sich genau, habe ich die Auktionshausinhaberin Katrin Stoll gefragt.

Katrin Stoll: Wir haben die Originalkataloge von Weinmüller gefunden, die annotierten Exemplare, wo also nicht nur die Einlieferer verzeichnet sind, sondern auch die Käufer. Und nicht nur das Haus in München betreffend, sondern auch von einigen Auktionen der Wiener Aktivitäten Weinmüllers.

Schmitz: Sind diese Dokumente lückenlos?

Stoll: Die Münchener Dokumente sind lückenlos. In den Wiener Dokumenten fehlen einige Kataloge. Da haben wir, glaube ich, elf von 18 Katalogen, die aber enorm konsistent sind und uns auch schon wichtige neue Erkenntnisse geben können.

Schmitz: Das heißt, von '36 bis '45 kann man nun nachvollziehen, was über das Auktionshaus Weinmüller angekauft beziehungsweise angeboten worden ist?

Stoll: So ist es genau. Und im Großen und Ganzen ist es auch eindeutig entschlüsselbar. Es gibt noch einige offene Fragen, aber es gibt wirklich profunde neue Erkenntnisse über viele offene Provenienzfragen der Vergangenheit.

Schmitz: Wie kam es zu den Funden, wo haben Sie die Sachen entdeckt?

Stoll: Ich muss sagen, wir haben hier drei Archive im Haus, wo alte bibliophile Dokumente aufbewahrt werden, die wir natürlich immer wieder durchsucht haben, immer wieder langjährige Mitarbeiter auch teilweise aus dem Ruhestand befragt, ob denn noch Dokumente existent sein können, als sie das Weinmüller-Projekt gemacht haben. Und Tatsache ist, dass wir in Planung sind oder auch schon in Vorbereitung, das Projekt auf den Zeitraum nach 1945 fortzusetzen. Es wird also ein Anschlussprojekt geben, die Aktivitäten des Hauses Weinmüller nach 1945. Und im Zuge dessen hat Frau Dr. Hopp in einem dieser drei Archive recherchiert. Das war ein begehbarer Tresor, wo die ganzen Auktionsprotokolle auch der Nachkriegsjahre aufbewahrt sind. Und benachbart zu diesem begehbaren Tresor ist unser Technikraum im Keller und in einem dieser Stahlschränke, wo teilweise auf der Vorderfront Displays sind mit elektronischen Anzeigetafeln, da fanden sich diese Bündel von Katalogen.

Schmitz: Frau Stoll, Sie haben ja die Nazi-Geschichte, wenn man das so sagen kann, des Vorläufers von Neumeister wissenschaftlich aufarbeiten lassen von Frau Meike Hopp. Die Kunsthandlungen und Auktionshäuser von Adolph Weinmüller in München und Wien von '36 bis '45. Was bedeuten nun die neuen Funde für diese bereits geleistete Arbeit und für das von Ihnen erwähnte Anschlussprojekt?

Stoll: Ich muss sagen, dieses Anschlussprojekt, das ist fest in Planung. Wir haben das jetzt etwas hinten angestellt, weil wir ad hoc handeln müssen, denn Sie müssen sich vorstellen: Es gibt ja möglicherweise laufende Verfahren, die natürlich angewiesen sind auf die Informationen, die da jetzt beinhaltet sind. Und wir haben auch sofort Kontakt mit der Staatsgemäldesammlung aufgenommen, denn da erscheint ein Buch demnächst von Frau Voigt und Herrn Kessler. Und wir wollten keinesfalls, dass unter Umständen nicht der aktuellste Standard da Verwendung findet. Das bedeutet einfach, dass viele laufende Prozesse, möglicherweise auch Prozesse der Vergangenheit, noch mal neu beleuchtet werden müssen.

Schmitz: Es geht um laufende oder bereits abgeschlossene Restitutionsverfahren?

Stoll: ..., sollte dies der Fall sein. Wir können das im Moment noch nicht bejahen, aber das ist das, was vorrangig ist. Und insofern haben wir gesagt, müssen wir jetzt den jüngsten Fund vorziehen. Wir haben, glaube ich, am 17. März die gefunden, am 18. März war ich zufällig in Berlin. Ich bin sofort zu Dr. Uwe Hartmann von der Arbeitsstelle für Provenienzforschung, habe ihm berichtet, er war ja unser Partner in dem Projekt. Und wir haben dann wenige Tage später die Bücher ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte verbracht. Da sind sie jetzt und werden schon digitalisiert.

Schmitz: Das heißt, Sie werden die Dokumente öffentlich zugänglich machen oder den entsprechen Restitutionsstellen?

Stoll: Genau so ist es. Wir werden auf jeden Fall Verantwortung tragen, dass Personen, die in den einzelnen Fällen recherchieren, Zugang zu den Dokumenten bekommen.

Schmitz: Sie haben die Dokumente schon gesichtet, grob wahrscheinlich nur in der kurzen Zeit. Also Sie haben den Eindruck, dass hier wichtige Informationen sind, um neue Fälle, aktuelle Fälle, vergangene Fälle wieder neu aufzurollen. Oder denen neue substanzielle Grundlagen zu geben?

Stoll: So ist es. Es ist nicht nur der Eindruck, es ist die Gewissheit, dass es da wesentliche Ergänzungen gibt. Es gibt einige Beispiele, zum Beispiel in Wien von einem Architekten Gotthilf, wo wir glaubten, dass nur wenige Objekte bei Weinmüller versteigert worden sind. Inzwischen, glaube ich, sind wir bei 66 Objekten, das ist eine wesentliche Erweiterung. Aus dieser Sammlung war beispielsweise auch das Gemälde Friedrich von Amerlings, das ist ja prominent 2008 dann in Wien restituiert worden und im Dorotheum für 1,5 Millionen versteigert an die Sammlung Liechtenstein. Also, da gibt es ganz bedeutende Bereicherungen, auch beispielsweise, was die Einlieferung der Gestapo anbelangt. Weinmüller hat immer bestritten, dass die Gestapo bei ihm eingeliefert habe. Auch da haben wir jetzt einen Nachweis gefunden, dass nachhaltig Einlieferungen getätigt worden sind.

Schmitz: ..., sagt Katrin Stoll vom Kunstauktionshaus Neumeister über die Entdeckung der Auktionsprotokolle der Firma Weinmüller.

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