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Kaum thematisiert: Restitution in der Musikwissenschaft - Rarely discussed: Restitution in Musicology

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1945
Der Standard 14 May 2013

ExpertInnen orten einiges an Aufholbedarf bei Orchestern und Theatern - Großer Rechercheaufwand gilt als Hindernis

Wien - Die Fälle restituierter bekannter Gemälde, etwa die "Goldenen Adele" von Gustav Klimt, beschäftigen die Öffentlichkeit oft wochenlang. Auch Bibliotheken beginnen zunehmend, ihre Bestände auf Objekte mit fragwürdiger Provenienz zu durchforsten. Seltener wird dagegen die Restitution von Musikalien, Partituren oder Autografen thematisiert. Dabei orten ExpertInnen hier - auch bei Musikinstrumenten - einiges an Aufholbedarf.

Bei den Provenienzforschungs-Projekten der Nationalbibliothek und einiger Universitätsbibliotheken seien natürlich auch Musikalien-Bestände betroffen gewesen, erklärte Michael Staudinger, Leiter der Bibliothek der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien. Vor allem in großen Bibliotheken hätten sich durchaus Musikalien fragwürdiger Herkunft gefunden.

Grundsätzlich sei es aber gerade bei Musikalien wie etwa Notenbüchern sehr schwierig, ihre Herkunft nachzuvollziehen. Das könnte für den Bibliotheksleiter mit ein Grund sein, warum in diesem Gebiet nur wenige Restitutionsfälle bekannt sind. "So weiß man noch sehr wenig über die Handelskanäle für geraubte Musikalien, etwa auch die Rolle der Musikantiquariate", so Staudinger. Denn diese Antiquariate seien noch kaum untersucht, auch nicht in der Zeit zwischen 1933 und 1945.

Provenienzforschung keine große Rolle

In der Musikwissenschaft spiele Provenienzforschung keine so große Rolle wie in der Bildenden Kunst, ist auch Barbara Boisits vom Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) überzeugt. "Oft werden Fälle nur durch versuchte Verkäufe bekannt", meinte sie, "oder wenn Institutionen von sich aus aktiv werden und Provenienzforschung beginnen."

Ein Beispiel dafür ist etwa die Sammlung Strauss-Meyszner, welche die Hinterlassenschaft von Johann Strauss Sohn umfasst. Dessen Stieftochter war im Juni 1938 gezwungen worden, ihren Besitz der Wienbibliothek "zu schenken". Im Jahr 2001 wurde die Sammlung schließlich restituiert und für 73 Millionen Schilling wieder angekauft. Bei Sotheby's tauchte im Jahr 2000 dagegen das Autograf der Orchesterversion des Gustav-Mahler-Liedes "Ich bin der Welt abhanden gekommen", aus der - eigentlich bereits restituierten - Sammlung des Musikwissenschafters Guido Adler auf.

Oft seien fragwürdige Provenienzen allerdings nirgends vermerkt und nur zu jedem einzelnen Band oder Objekt mit großem Personal- und daher auch Geldaufwand zurückzuverfolgen. "Generell gilt hier aber wohl, dass es kaum so materiell wertvolle Objekte wie etwa in der Kunst gibt", erklärte Staudinger. "In unserer Bibliothek etwa, würde ich keine großen Schätze erwarten."

Provenienzforschungsprojekt der Philharmoniker

Anders könnte das bei Orchestern aussehen, ebenfalls ein bisher fast unberührtes Provenienz-Kapitel, wie Musikhistoriker Fritz Trümpi. "Im Bibliotheksbereich ist die Forschung sehr viel weiter als bei Orchestern und Theatern." Im Zuge der Aufarbeitung ihrer Geschichte im Nationalsozialismus haben allerdings zumindest die Wiener Philharmoniker erklärt, ein Provenienzforschungsprojekt ins Leben rufen zu wollen.

Andere große deutsche Orchester könnten folgen, noch sei ihm aber kein Beispiel bekannt, meinte Trümpi. "Da ginge es etwa um kostspieligere Instrumente", so der Musikhistoriker. Bisher sei diese Komponente eher vernachlässigt worden. "Ohne öffentlichen Druck passiert da meistens gar nichts", erklärte er. (APA, 14.5.2013)


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