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So plünderten Finanzämter Deutschlands Juden aus

1998
1970
1945
Die Welt 4 June 2013
By Sven Felix

Es war der größte staatliche Raubzug der Weltgeschichte: Mit unmenschlicher Kreativität und allen Mitteln der Bürokratie stahlen Steuerbeamte im Nationalsozialismus Milliardensummen.


Obwohl Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk (l. neben Goebbels) dem Dritten Reich von Anfang bis Ende als Minister diente, gehört er zu seinen unscheinbaren Spitzenfunktionären.

Am leichtesten kann ein Dieb stehlen, wenn er genau weiß, wer welche Werte besitzt. Als Ende April 1938 die längst gleichgeschalteten Zeitungen in Hitler-Deutschland über die "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" berichteten, war vielen Betroffenen sofort klar, welchen Zweck die neue Regelung haben sollte: Die Finanzämter sollten auf diese Weise Informationen bekommen, die ihnen die Plünderung dieser Vermögen erleichtern würden.

Die Verordnung vom 26. April 1938 war nur ein Zwischenschritt im größten staatlichen Raubzug der Weltgeschichte. Nie zuvor und nie seither haben sich Behörden derartig ungeniert und mit scheinbar rechtskonformen Regelungen am Vermögen einer einzelnen Bevölkerungsgruppe bedient wie die deutsche Finanzverwaltung zwischen 1933 und 1943. Dutzende Gesetze, Verordnungen und Durchführungsvorschriften wurden erlassen, alle mit dem gleichen Ziel: Möglichst viel vom Eigentum deutscher Juden sollte zum Nutzen der Staatskasse eingezogen werden.

All das geschah unter der politischen Verantwortung nicht etwa eines überzeugten Nazis, sondern eines polyglotten und durchaus kompetenten Karrierebeamten: Lutz Graf Schwerin von Krosigk (Link: http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/KrosigkJohann/index.html) , von Hause aus Jurist, hatte in den 1920er-Jahren Karriere im Finanzministerium gemacht, war 1932 an seine Spitze getreten – und blieb als einziger Minister neben Arbeitsminister Franz Seldte vom ersten Tag des Dritten Reiches (Link: http://www.welt.de/113204765) bis zu seinem letzten unverändert in Amt und Würden. Er erhielt im Wilhelmstraßen-Prozess (Link: http://www.welt.de/106632790) 1949 eine vergleichsweise milde Strafe (Link: http://www.welt.de/kultur/article/Wo-die-Urteile-ueber-das-NS-Regime-gefaellt-wurden.html) von zehn Jahren Haft, aus der er bereits 1951, nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe einschließlich Internierung und Untersuchungshaft, entlassen wurde.

Verstrickung in den Holocaust

Wie andere Ministerien und Institutionen hat auch das Bundesfinanzministerium vor einigen Jahren eine hochrangig besetzte Historikerkommission ins Leben gerufen, um die Verstrickung der Vorgängerinstitution in den Holocaust aufzuarbeiten. Die Kommission des Auswärtigen Amtes hatte 2010 für Schlagzeilen gesorgt, weil ihr Bericht auf spektakulär falsche Weise (Link: http://www.welt.de/10509309) zugespitzt war. Andere Kommissionen, etwa des Bundesjustizministeriums (Link: http://www.uwk-bmj.de/%C2%A0) , gehen seriöser vor. Jetzt liegt, nach drei Zwischenberichten, die erste fertige Studie der Kommission des Finanzministeriums vor, verfasst von der Historikerin Christiane Kuller. Ihr Titel: "Bürokratie und Verbrechen: Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland".

Nun ist die Verstrickung der Reichsfinanzverwaltung in den Holocaust nicht neu. Im Gegenteil liegt seit 2008 eine voluminöse Studie (Link: http://www.welt.de/10783474) vor, die formal lediglich die Rolle des Berliner Finanzamtes I bei der Ausplünderung untersuchte, doch wegen der Zuständigkeit gerade dieser Einrichtung für Auswanderungen weit über die Region der Reichshauptstadt hinausgeht (Martin Friedenberger: "Fiskalische Ausplünderung").

Angesichts dessen war es sicher weise, dass Werner Plumpe, 2008 bis 2012 Vorsitzender des Deutschen Historikerverbandes, Professor für Wirtschaftsgeschichte in Frankfurt am Main und selbst Mitglied der Kommission, zu große Erwartungen an diese Kommission dämpfte (Link: http://www.welt.de/kultur/history/article109375062/Die-Angst-vor-Enteignung-ist-durchaus-real.html%C2%A0) : "Alle großen Ministerien, die in der Tradition der deutschen Ministerialbürokratie stehen, müssen über ihre Entwicklung in der NS-Zeit und deren Nachleben offen Auskunft geben, wobei der Sinn mehr im Auskunft-Geben als in der Neuigkeit der Forschungsergebnisse besteht." Gleichwohl, so Plumpe weiter, sei die Kommission "ganz zuversichtlich", dass es wirklich weiterführende Erkenntnisse geben werde.

Beamte übernahmen Haushaltsauflösungen

Das bestätigt der jetzt vorgestellte erste Band der Kommission. Die Autorin, die sich mit dieser Arbeit habilitiert hat, leuchtet sehr präzise gleich mehrere Aspekte des "fiskalischen Antisemitismus" aus. Auf den ersten Blick am wichtigsten ist dabei die Bedeutung der Gesetze und Verordnungen, auf deren Grundlage die Juden steuertechnisch benachteiligt wurden. Es zeigt sich, dass es zwar eine Reihe spezieller Vorschriften gab, dass aber die Fülle der Diskriminierungen gerade bis 1938 auf bewusst und mutwillig zu Ungunsten jüdischer Deutscher ausgelegten älteren Vorschriften beruhte, die nur ausnahmsweise verändert wurden.

Ein zweiter wesentlicher Aspekt ist die Frage nach den Handlungsspielräumen der beteiligten Finanzbeamten. Nach 1945 betonten sie, sofern darüber überhaupt gesprochen wurde, sie hätten nur geltendes Recht befolgt. Christiane Kuller kann jedoch an vielen Beispiele zeigen, dass genau das eine reine Schutzbehauptung war. Vielmehr zogen vorsätzlich antisemitische Auslegungen in die Behördenstuben ein. Der in weiten Teilen der Bürokratie wie auch der christlichen Bevölkerung vorhandene, gewissermaßen "passive" Antisemitismus beförderte diese Ausgrenzung.

Ein dritter wichtiger Aspekt ist die ganz konkrete Beteiligung der Steuerverwaltung an der Beseitigung der bürgerlichen Existenz von deutschen Juden. Denn es waren vielfach Finanzbeamte, die nach den Deportationen deutscher Juden die "Abwicklung" von deren Eigentum im Sinne des Staates übernahmen. Haushalte wurden aufgelöst, Hausrat verkauft – häufig bei offen in Zeitungsanzeigen angekündigten "Judenauktionen". Zwar gab es in Einzelfällen Beamte, die mehr über das Schicksal der abtransportierten Menschen wissen wollten, doch der allergrößte Teil des Apparates stellte solche Fragen nicht.

Bei der Ausbeutung der deutschen Juden verschränkten sich scheinbar rechtskonforme Gesetze und Vorschriften, extensive Bürokratie und schlichte Gier, übrigens durchaus nicht immer nur zugunsten der Staatskasse. Das Ausmaß dieser Verschränkung ist auch ein Dreivierteljahrhundert später noch immer atemberaubend. Der Raubzug hatte alle Facetten illegitimen Vorgehens – von der buchstabengetreuen Auslegung offen menschenrechtswidriger Gesetze über die unbewusste oder bewusste Falschauslegung bis hin zu rechtswidrigen Erpressungen.

http://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article116776182/So-pluenderten-Finanzaemter-Deutschlands-Juden-aus.html
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