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"Ich sage gleich, es ist ein Gustav ..."

1998
1970
1945
Der Standard 7 June 2013
By Olga Kronsteiner

Ob Ernst oder Gustav Klimt, ist Provenienzforschern egal. Sie beschäftigt die Frage, ob Raubkunst oder nicht. Antworten finden sich nicht immer. Oft bleibt nur eine Ahnung

Ernst oder doch Gustav? Diese Frage zur Urheberschaft eines Kunstwerkes führte im Vorfeld einer im April anberaumten Auktion zu einem Schlagabtausch unter Kunsthistorikern - und tut es noch. Das auf Karton gemalte Ölbild zeigt das Profilporträt eines alten Mannes mit Efeukranz und war vom Künstler schlicht mit "Klimt" signiert worden.

Gustav: Das war die in der Fachliteratur seit 1967 (erstes Werkverzeichnis (Wvz) von Nowotny/ Dobai; Nr. 26) zementierte Ansicht, die auch in nachfolgenden Publikationen übernommen wurde, 2012 etwa von Tobias Natter (Leopold-Museum, Wvz (Nr. 22), Taschen-Verlag) und ursprünglich auch von Alfred Weidinger.

Letzterer brach jedoch kurz vor dem Auktionstermin mit der Behauptung, es handle sich doch nicht um ein Werk von Gustav, sondern von dessen jüngerem Bruder Ernst, die Diskussion vom Zaun (siehe im STANDARD vom 10. 4.: "Ganz sicher ein Klimt").

Der Vizedirektor des Belvedere revidierte damit seine Meinung gleich doppelt: Zum einen hatte er das Bild noch 2007 in "seinem" Werkverzeichnis (Prestel-Verlag) der Gemälde von Gustav Klimt aufgelistet. Zum anderen hatte er sich 2010 (Ausstellung Schlafende Schönheit) näher mit einem Werk von Ernst Klimt beschäftigt: Pan tröstet Psyche von 1892, bei dem er die Theorie vertrat, dass Gustav dieses Bild seines im gleichen Jahr verstorbenen Bruders fertiggestellt habe, konkret die beiden Figuren Pan und Psyche. Dafür habe Klimt "auf bewährte Kompositionen aus seiner Studienzeit" zurückgegriffen: für den Pan auf den alten Mann mit Efeukranz und für die Psyche auf einen stehenden Mädchenakt.

Eine Verwechslung, gesteht Weidinger auf aktuelle Anfrage, wie zwischenzeitlich in der Nachlassabhandlung Ernst Klimts aufgefundene Fakten belegen. Demnach hatte Gustav nur ein (anderes) Bild fertiggemalt, nicht jedoch das von Ernst noch vor seinem Tod finalisierte Pan tröstet Psyche, erklärt Weidinger. Für ihn bestehe keinerlei Zweifel, dass es sich bei dem Profilporträt, das er im Sommer vergangenen Jahres erstmals genau in Augenschein nehmen konnte, um ein Werk von Ernst Klimt handle.

Alter Kopf auf jungem Athleten

Dieser Meinung kann und will sich jedoch keiner der Klimt-Fachleute anschließen: weder Marian Bisanz-Prakken (Albertina) noch der vom Kinsky berufene Experte, Klimtbiograf Hansjörg Krug; Tobias Natter (Leopold- Museum), ebenfalls Autor eines Klimt-Werkverzeichnisses (2012), war trotz mehrfacher STANDARD-Anfrage wiederum keine konkrete Stellungnahme zu entlocken.

Gegen die Ernst-These, so die Ansicht der Gustav-Fraktion, spreche die über etliche Details argumentierbare Qualität der Malerei. Und in diese Kerbe schlägt jetzt auch Herbert Giese (Kunsthändler), der Experte, wenn es um Fragen der Abgrenzung von Werken unter den Mitgliedern der Künstlerkompanie (Franz Matsch, Ernst und Gustav Klimt) geht. Denn mittlerweile habe er Pan tröstet Psyche auf Wunsch der Eigentümer begutachtet und vor Ort den Kopf des Pan mit dem Profilporträt des alten Mannes sorgfältig verglichen. Sein Urteil: Die beiden Köpfe stammen nicht vom gleichen Künstler. Laut Giese stimmen weder "Handschrift" noch Farbpalette überein, von den malerischen Zögerlichkeiten beim Pan mal abgesehen. Der einzige Zusammenhang zwischen diesen Bildern besteht darin, dass Ernst "den Kopf des alten Mannes als Vorlage verwendet hat und dabei auch noch relativ ungeschickt vorgegangen" sei - nicht nur weil der Kopf eines Alten wie auf einem jugendlichen Körper sitzend montiert wirkt.

"Ich sage gleich, es ist ein Gustav", hatte auch Michael Kovacek, Kinsky-Geschäftsführer und Auktionator am 23. April dem erhofften Bietgefecht vorangestellt. Das auf Karton gemalte Bildnis, taxiert auf 70.000 bis 140.000 Euro, blieb trotzdem unverkauft. Warum, darüber kann man nur mutmaßen. Möglich, dass potenzielle Interessenten von der Diskussion verschreckt wurden. Vielleicht spielten auch Unsicherheiten bezüglich der Provenienzgeschichte, (siehe im STANDARD vom 20. 4.: "Ein Quantum Klimt") eine Rolle - vielleicht auch nicht.

Laut dem Besitzer habe seine Mutter das Bild irgendwann zwischen 1959 und 1965 in Graz erworben. Im Dorotheum, glaubt er. Das Auktionshaus kann das jedoch nach Durchsicht der entsprechenden Auktionskataloge und Unterlagen absolut ausschließen. Der einzige Hinweis auf die Herkunftsgeschichte war im Werkverzeichnis 1967 publiziert worden: Sammlung Salvagni. ein simpler Tipp- oder ein Transkriptionsfehler, wie Standard-Recherchen ergaben: Galvagni, genauer Josef Galvagni lautet der tatsächliche Name des Vorbesitzers, den das Belvedere mittlerweile bestätigen konnte. Aber der Reihe nach.

Auf der Rückseite des Bildes befindet sich ein Sammlerstempel, von dem nur noch das Wort "Sammlung" erhalten ist, der Namenszug ist irgendwann bis zur Unleserlichkeit getilgt worden und sei, wie Michael Kovacek nach Rücksprache mit einer Restauratorin erklärt, nicht rekonstruierbar. Den Stempel selbst kann wiederum Erich Monitzer datieren. Denn bei der Schriftart, so der Typografieexperte, handle es sich um die sogenannte " Deutsche Normalschrift", die 1941 von den Nationalsozialisten (Normschrift-Erlass) eingeführt wurde.

Parteigenosse Galvagni

Wie umfangreich die Sammlung des Josef Galvagni war, ist nicht bekannt, auch zu seiner Person finden sich nur wenige Fakten in diversen Archiven verstreut, etwa in der Pfarre Ober St. Veit. Das dort verwahrte Geburtenbuch weist den aus dem Oberitalienischen Rovereto (bis 1919 Österreich-Ungarn) gebürtigen "Joseph Galvagni, Kaufmann" als Vater aus. Über diesen Hinweis gelang Herbert Aue (Heraldisch-Genealogische Gesellschaft) nun die Identifikation des Wappensiegels auf der Rückseite des Bildes: ein seit 1598 für "Galvagni" überliefertes Wappen, das im Laufe der Zeit einer leichten Modifikation unterlag. Der Kinsky-Experte hatte noch eine österreich-ungarische Adelsfamilie ausgeschlossen.

Über Galvagnis Kindheit, Jugend und Ausbildung ist nichts bekannt. Gesichert ist jedoch, dass ihn die Gestapo als "verlässlichen und pflichtbewussten Parteigenossen" bezeichnete. Im April 1933 hatte sich der 1889 in Wien Geborene erstmals um eine Aufnahme in die NSDAP bemüht, der er offiziell schließlich im März 1938 beitrat. Kurz darauf wurde er als Generalsekretär für die Aktion Gildemeester tätig, eine Organisation, die - wie Theodor Venus und Alexandra-Eileen Wenck in einer 2004 veröffentlichten Studie belegten - nicht nur die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung forcierte, sondern den Vermögensentzug Auswanderungswilliger regelrecht betrieb.

Eine gewisse Affinität zur Kunst dürfte ihm - dem die Gestapo 1941 "wertvolle Arbeit im Reichsinteresse" attestierte - quasi in die Wiege gelegt worden sein. Vorweg, mit dem Industriellen, Bauunternehmer und Kunstsammler Pietro di Galvagni verbindet ihn kein verwandtschaftliches Verhältnis. Darauf verweist 1914 auch der Kunst- und Musikhistoriker Theodor Frimmel in seinem Buch Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen.

Ebendort findet sich allerdings ein Eintrag zu "einigen bemerkenswerten Bildern" im Besitz einer gewissen Johanna Galvagni-Kailan, der Mutter Josefs. Zu den hier genannten Bildern gehören u. a. eine Landschaft von Waldmüller, ein Großformat von Ridinger und "eine Kopie nach Dürers Selbdritt". Wäre das gegenständliche Klimt-Bild Teil dieser kleinen Kollektion gewesen, Frimmel hätte es mit Sicherheit erwähnt.

Wann und auf welche Weise Josef Galvagni in den Besitz des Klimt gelangte, bleibt trotz intensiver Recherchen im Dunkeln. Gesichert ist, dass er das Porträt des alten Mannes weder im Kunstauktionshaus Kärntnerstraße (Dezember 1942) noch im Dorotheum (März 1943) erwarb. Denn bei beiden Auktionen blieb das Bild (bezeichnet als "E. Klimt") unverkauft. Vermutlich war er, der später in die Privatwirtschaft wechselte (1946 Repräsentant der Vereinigten Wiener Metallwerke AG), sogar selbst der Einbringer.

Steuerfreundliche Fabelei

Als Josef Galvagni im Februar 1957 verstarb, hinterließ er seiner Witwe Anna offiziell nur "Kleidung und Wäsche sehr geringfügig". Der Wert des Nachlasses habe laut "Todfallsaufnahme" (Wiener Stadt- und Landesarchiv) " den Betrag von 2000" Schilling nicht erreicht.

Eine steuerfreundliche Fabelei, denn im Nachlass befand sich nicht nur das Klimt-Gemälde, wie Standard-Recherchen vermuten lassen. Im Belvedere stieß man im hauseigenen Archiv Ende April doch noch auf einen Hinweis zum Porträtbildnis, konkret auf ein vom 21. Juli 1959 datiertes Schriftstück, dem zufolge ein Viktor Galvagni (älterer Bruder Josefs, Anm.) dem damaligen Direktor (Karl Garzarolli-Thurnlackh) das Werk ("von Gustav Klimt") aus der Sammlung (des bereits verstorbenen) Josef Galvagni zur Ansicht übergab.

Und das erklärt, auf welch Weise das Bild schließlich in das erste Werkverzeichnis "fand".

War dies das einzige Kunstwerk, das Viktor - übrigens ein in der NS-Zeit aktiver und mit Arisierungen betrauter Treuhänder - offenbar im Auftrag seiner verwitweten Schwägerin zu verkaufen versuchte? Vermutlich nicht.

Denn das Wiesenthal-Archiv verwahrt ein durchaus interessantes Dokument: 1967 und damit zehn Jahre nach dem Tod Galvagnis hatte ein niederländischer Journalist die Witwe in ihrer Wohnung besucht, die " voll mit kostbaren Bildern und Möbeln" gewesen sei. Noch bevor Jules Huf die erste Frage stellte, hatte Anna Galvagni die Ausstattung damit gerechtfertigt, dass ihr Mann "von Mutterseite vermögend" gewesen sei.

"Ich wäre eine reiche Frau ..."

Tatsächlich war das Gegenteil der Fall. Laut dem zugehörigen Nachlassakt, der ein sehr detailliertes Testament inkludiert, verstarb seine Mutter 1934 mehr oder weniger mittellos und hatte ihren Söhnen nur kleine Schmuckstücke vererbt. Josef Galvagni musste also über andere Wege an Vermögen gekommen sein und einen Anhaltspunkt dafür erwähnte seine Witwe wohl unbeabsichtigt. "Ich wäre heute eine reiche Frau, wenn mein Mann alles genommen hätte, was die Juden ihm angeboten haben, um nur rasch auswandern zu können." Brisant, denn diese Aussage schließt die Annahme von "Zuwendungen" nicht aus, sondern impliziert sie geradezu.

Nähere Hinweise könnten die Vermögensanmeldungen der rund 200 über Gildemeester ausgewanderten jüdischen Familien liefern, in denen Wertgegenstände aufgelistet waren. Theoretisch. Denn praktisch haben sich (bis auf eine) keine solchen erhalten, wie Recherchen im Österreichischen Staatsarchiv ergaben. In der Realität, und das zeigt diese Causa deutlich, warten in der Provenienzforschung auch unüberwindbare Hürden. Vielleicht wird ein Zufallsfund dieses Rätsel irgendwann lösen, vielleicht aber auch nicht.

War das Klimt-Bildnis das "Geschenk" eines Gildemeester-Teilnehmers, oder erwarb es Josef Galvagni völlig redlich im Kunsthandel? Es ist dies die Kernfrage, die auf dem internationalen Kunstmarkt einer Antwort bedarf. Andernfalls sind solche Kunstwerke - ob von Ernst oder Gustav ist dabei völlig unerheblich - genau genommen nicht verkäuflich.



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