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Die Rolle der Familie Gurlitt in Wiesbaden

1998
1970
1945
Wiesbadener Kurier 22 November 2013
Von Viola Bolduan

KUNSTHANDEL IN NS-ZEIT Tauschgeschäfte, Beschlagnahmungen, Zwangsverkäufe 1933-1945, als Hermann Voss Museumsleiter war

„Bei uns stehen die Telefone nicht still“, stöhnt Kathrin Iselt, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Provenienzforschung an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. „Die wollen alle etwas wissen, womit wir nichts zu tun haben. Wir arbeiten über die Herkunft der Wettiner Kunstschätze – nicht an der Gurlitt-Sammlung. Da weiß die Wiesbadener Provenienzforschung doch viel besser Bescheid.“

Über die Beziehungen zwischen Hildebrand Gurlitt und dem Wiesbadener Museumsleiter Hermann Voss in den Jahren 1935-1945 aber weiß Kathrin Iselt am besten Bescheid. Die Kunsthistorikerin hatte 2010 ihre Dissertation über den Museumsmann Voss unter dem Titel „Sonderbeauftragter des Führers“ veröffentlicht.

Tausch und Verkauf

Voss, so schreibt sie, verfolgte das Ziel, die 1933 durch die Entfernung von Werken der sogenannten „Entarteten Kunst“ dezimierte Wiesbadener Sammlung neu zu bestücken mit „zweckopportunistischen“ Mitteln: Er tauschte die „Entartete Kunst“ ein, oder ließ sie verkaufen, um Geld für Neuerwerbungen zu akquirieren. Hier kommt Cornelius Gurlitt als Erbe des Münchner Bilderfunds ins Spiel. Dessen Vater, der gebürtige Dresdner Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, agierte in jener Zeit als äußerst erfolgreicher Verkäufer und Devisenbringer. Die Kooperation mit dem Wiesbadener Haus ist hinreichend belegt. Sie wird noch intensiver, als Hermann Voss 1943 zum Sonderbeauftragten für das von Hitler geplante „Führermuseum“ in Linz bestellt wird. Hildebrand Gurlitt wird eingeschaltet, um im In- und Ausland Werke aufzukaufen und an Voss weiterzugeben. Mit seiner Hilfe hatte Voss, so weist Kathrin Iselt akribisch nach, „wissentlich beschlagnahmten und zwangsverkauften Kunstbesitz für den ,Sonderauftrag Linz‘ und die Wiesbadener Gemäldegalerie“ erworben.

Sammelstelle

Das Wiesbadener Museum ist sich seiner eigenen Geschichte bewusst: „Zwischen 1943 und 1945 ,profitierte‘ das Museum Wiesbaden von diesem Sonderauftrag durch eine Häufung von Schenkungen, die in engem Zusammenhang mit den Einkäufen für Linz standen“, heißt es in der Begründung seiner Provenienzforschung, die wissen will, woher die Werke stammen und wem sie gehören.

Und noch einmal spielt Wiesbaden eine Rolle im Fall Gurlitt. Es existiert eine „Gurlitt-Liste“ nach der Aufstellung, die der amerikanische Collecting Point (Sammelstelle) in Wiesbaden 1950 erhoben hatte. Vier Gemälde aus dieser Liste sind im Münchener Fund wieder aufgetaucht: Max Liebermanns „Zwei Reiter am Strand“, zwei Werke von Otto Dix sowie ein Marc Chagall. Hildebrand Gurlitt erhielt (mit Ausnahme von zwei Objekten) seine in der Nachkriegszeit von den Amerikanern beschlagnahmte Sammlung zurück. Sie blieb weiterhin im Familienbesitz. Wie rechtmäßig soll jetzt eine Taskforce prüfen. Kathrin Iselt („ich war über den Fund überrascht wie alle“) gehört ihr aber nicht an.

http://www.wiesbadener-kurier.de/region/wiesbaden/meldungen/13641102.htm
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