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"Kunst-Herkunftsforschung muss Chefsache sein" - "Art - Provenance Research needs to be Top Priority"

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Monopol 9 December 2013
 

Der Fall Gurlitt hat die Debatte über den Umgang mit NS-Raubkunst neu entfacht. In der Kritik steht dabei auch die Herkunftsforschung in Deutschlands Museen. Der Bund plant mehr finanzielle Hilfe. Das allein aber reicht aus Sicht von Experten nicht aus

Uwe Hartmann, Leiter der Arbeitsstelle Proveninenzforschung der Staatlichen Museen zu Berlin (Foto: dpa)
Uwe Hartmann, Leiter der Arbeitsstelle Proveninenzforschung der Staatlichen Museen zu Berlin (Foto: dpa)





























Dresden (dpa) - Mit der Recherche zur Herkunft von Kunstwerken in Deutschlands Museen kennt Uwe Hartmann sich aus. Er leitet die Arbeitsstelle für Provenienzforschung am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin und die Task Force im Fall Gurlitt - einem der spektakulärsten Kunstfunde der Nachkriegsgeschichte: In der Münchner Wohnung des 80-jährigen Kunsthändler-Sohns Cornelius Gurlitt beschlagnahmten Ermittler die verschollen geglaubte Sammlung dessen Vaters, darunter Werke von Picasso, Chagall, Matisse, Beckmann und Nolde. Hunderte Bilder stehen im Verdacht, Nazi-Raubkunst zu sein.

Im Interview der Nachrichtenagentur dpa sagt Experte Hartmann, wie es um die Suche nach NS-Raubkunst in deutschen Museen steht und was sich ändern muss.

Befördern der Fall Gurlitt und die angestoßene Debatte die Forschung nach der Herkunft der Werke - die Provenienzforschung - in Deutschland?
Uwe Hartmann: Er dient der Aufklärung und Aufarbeitung. Es wird ganz gewiss einen neuerlichen Schub für eine gründlichere Behandlung der Problematik ungesicherter Provenienz von Kunst- und Kulturgut auslösen. Bei allen, die Kunst sammeln und bewahren, vermitteln und weitergeben – ob aus privatem Interesse, im öffentlichen Auftrag oder in Umsetzung eines Geschäftsmodells.

Warum braucht dieser Bereich der Kunstwissenschaft überhaupt mehr Aufmerksamkeit?
Derzeit können nur wenige Museen in Deutschland die überlieferten und aufbewahrten historischen Dokumente Wissenschaftlern oder auch den Nachfahren verfolgter jüdischer Sammler so zur Einsicht zur Verfügung zu stellen, wie man es von einem öffentlichen Archiv erwartet. Auch wenn Bund, Länder und Kommunen noch stärker Mittel für Forschungen zum Verbleib von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut bereitstellen würden und weitere Forschungsstellen eingerichtet werden, haben wir nach wie vor strukturelle Probleme.

Das heißt, es fehlt auch an Personal, an entsprechenden Experten?
Ja, viele Kunsthistoriker machen Provenienzforschung nebenbei oder nur auf Zeit. Es braucht Geld und Kompetenz. Wenn Provenienzforschung nachhaltig sein soll, brauchen die Museen neben finanzieller Unterstützung direkte Investitionen in ihre Infrastruktur. Die Aufgabe zur Forschung ist insbesondere in den vielen kleineren städtischen Museen neben dem Bewahren, Vermitteln und vielleicht auch noch dem Sammeln nicht oder nicht mehr vorgesehen.

Welche Forderungen resultieren daraus?
Provenienzforschung sollte Chefsache sein. Das bedeutet eine regelmäßige Erfolgskontrolle auf diesem Gebiet, die Einbeziehung von Personal und Kompetenz über die unmittelbare Provenienzforschung hinaus bis zu Restauratoren, Dokumentaren und Depotverwaltern. Erfolgreiche Provenienzforschung ist auch Ergebnis guter Teamarbeit. Die Verantwortung endet aber nicht an den Mauern eines Museums. Auch Verwaltungen und vorgesetzte Behörden müssen sich in der Pflicht sehen, die strukturellen Voraussetzungen für eine intensive und erfolgreiche Suche von NS-Raubgut in öffentlichen Sammlungen zu schaffen.

Reicht das aus, um das dunkle Kapitel der Kunstgeschichte aufzuarbeiten?
Ich sehe schon seit längerem die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen, privatwirtschaftlich geführten Kunsthandelsunternehmen und Eigentümern von Kunstsammlungen, um Provenienzen zu klären. Es muss nicht immer nur Geld aus öffentlichen Haushalten in die Aufarbeitung nationalsozialistischen Kunst- und Kulturgutraubs fließen. Bislang gibt es aber nur ein Kunsthandelsunternehmen, das seine Verkäufe an Museen und öffentliche Sammlungen gemeinsam mit Kunsthistorikern und den Museen prüfen lässt. Ich wünsche mir mehr solche Kooperationen und erinnere an die Entschädigung der Zwangsarbeiter Ende der 1990er Jahre. Ein ähnliches Modell könnte angewandt werden, um bessere Lösungen für die Nachfahren der Verfolgten zu finden, die keine Gerechtigkeit hergestellt sehen, solange sie die geraubten Kunstwerke nicht zurückerhalten.

Haben Sie einen konkreten Vorschlag?
Ein Fonds, mit dem Provenienzforschung in privaten Sammlungen mit Zustimmung und Unterstützung der Eigentümer finanziert werden könnte und der mit Unterstützung des Wirtschaftszweiges eingerichtet wird, der seine Gewinne traditionell und legitim mit dem Kauf und Verkauf von Kunstwerken und Antiquitäten erzielt – darüber sollte man in nächster Zeit gemeinsam nachdenken.

http://www.monopol-magazin.de/artikel/20107656/Provenienzforscher-Uwe-Hartmann---Kunst-Herkunftsforschung-muss-Chefsache-sein-.html
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