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100-Tage-Bilanz von Kulturstaatsministerin Monika Grütters - "Hier muss der Bund auch mehr Geld ausgeben" - The First 100 Days of Culture Minister Monika Monika Grütters, 'Where the Federal Government Needs to Spend More Money"

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RBB Online 26 March 2014



Ein klares Bekenntnis nach 100 Tagen im Amt: Berlin ist die Hauptstadt und die hat für ihre Kultur auch Anspruch auf Geld vom Bund, sagt Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Die Provenienzforschung privater Sammlungen etwa muss unterstützt werden. Und: Berlin braucht "einen Neubau für die Kunst des 20. Jahrhunderts am Kulturforum".

Monika Grütters ist nun mehr als drei Monate im Amt, zieht eine erste Bilanz und sagt deutlich, wo sie ihre Schwerpunkte sieht. Aktuell im Fokus: Die Berücksichtigung der deutschen Kulturpolitik und -förderung bei der Verhandlung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA. Ebensosehr wie der Schutz der Deutschen Kultur vor einem Ausverkauf liegt der Staatsministerin die besondere Bedeutung Berlins und der Berliner Kultur am Herzen: "Hier muss der Bund natürlich auch mehr Geld ausgeben", erklärt sie.

Frau Grütters, sie sind 100 Tage im Amt. Als Sie hier begonnen haben – sie sind ja eine erfahrene Politikerin - was hat sie am meisten überrascht?

Die luftigen Höhen dieses Ortes, in dem die Kulturstaatsministerin sitzt. Aber was schön ist, dass ich von meinem Schreibtisch aus einen direkten freien Blick auf das Parlament, auf den Reichstag, auf den Deutschen Bundestag habe. Das erinnert mich nicht nur daran, dass ich selber Abgeordnete bin, sondern dass bestes Regierungshandeln nur dann erfolgreich ist, wenn der Bundestag, das Parlament, mithilft.

Sie haben eine Menge angepackt in den ersten 100 Tagen. Was ist ihnen gelungen? Stolz ist sicher nicht ihre Charaktereigenschaft – aber wo sagen sie: Mensch, das habe ich ganz gut hingekriegt!

Ich hoffe, dass es glücklich war, meine erste Dienstreise in eine Kommune, in die Stadt Frankfurt gemacht zu haben und dort nicht in einen Tempel der Hochkultur, sondern in das kommunal getragene Jüdische Museum. Dort wurde eine Ausstellung mit dem Titel "1938" gezeigt, in der es darum ging, dass die Nazis damals nicht nur die Kunst dasavouieren und als entartet erklären wollten, sondern dass es vor allem darum ging zu zeigen, dass jüdische Kunsthändler tatsächlich auch aus der Gesellschaft entfernt werden sollten. Und das war für mich Anlass anzukündigen, dass ich die Anstrengungen zum Thema Provenienzrecherche und Restitution von Raubkunst erheblich verstärken und intensivieren möchte,  ein deutsches Zentrum "Kulturgutverluste" gründen – German Foundation "Lost Art" – , um deutlich zu machen, dass wir zwar einiges getan haben, dass aber zu wenig sichtbar ist. Und dass wir vor allen Dingen erst am Beginn eines noch sicher langen Weges stehen, um dieses Kapitel unserer Geschichte mit fairen und gerechten Lösungen auch tatsächlich aufzuarbeiten.

Provenienzforschung

Tatsächlich sind es die Bundesmuseen, die wissen, dass sie künftig nicht nur daran gemessen werden müssen, wie sie Ausstellungen machen, oder Ankäufe tätigen, sondern daran, wie sie mit ihren eigenen Sammlungen und auch ihrer eigenen Geschichte umgehen.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU)

Gurlitt hat sie ja gleich von Anfang an begleitet, Frau Grütters. Jetzt ist die große Frage: Wie schaffen Sie es, dass die Museen tatsächlich ihre Depots öffnen. Sie haben ja nicht mehr so viele Ausreden: Es gibt jetzt mehr Geld für die Provenienzforschung – sie haben den Etat verdoppelt. Aber wie schaffen Sie es, dass die Museen wirklich sagen: Okay, wir machen die Depots auf! Beziehungsweise: Ja, wir stellen uns dem und wir geben tatsächlich zurück! Denn man hängt ja an dem, was man so hat.

Tatsächlich sind es die Bundesmuseen, die wissen, dass sie künftig nicht nur daran gemessen werden, wie sie Ausstellungen machen oder Ankäufe tätigen, sondern daran, wie sie mit ihren eigenen Sammlungen und auch ihrer eigenen Geschichte umgehen. Tatsächlich ist es aber so, dass natürlich auch in den neuen Bundesländern und in kommunaler Trägerschaft viele kleinere Häuser sind, die einfach überfordert sind, personell und finanziell, diese Aufarbeitung der Depots zu leisten. Deshalb gibt es die Arbeitsstelle für Provenienzrecherche, die wir mit zwei Millionen, künftig vier Millionen bundesseitig finanzieren und wo Sammlungen künftig auch private Anträge stellen können, diese Überarbeitung und Evaluierung und Begutachtung der Sammlungen vornehmen zu lassen. Das müssen wir in der Tat noch stimulieren.

Hilft es eigentlich, dass Sie in großer Nähe zur Bundeskanzlerin hier wohnen, residieren.

Weder "Wohnen" noch "Residieren", eher "Arbeiten". Die Kanzlerin hat ihr Büro in der siebenten Etage und ich in der achten. Die Nähe ist auf jeden Fall hilfreich und nützlich. Erst recht, wenn man es mit einer Kanzlerin zu tun hat, die ja selber sehr kulturinteressiert und -affin ist.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters, CDU - Foto: dpa
Neue Mittel und Wege für die Provenienzforschung - eines der Hauptanliegen der Kulturstaatsministerin

Ein anderes, sehr wichtiges Thema ist das Freihandelsabkommen. Und da haben Sie sich sehr deutlich positioniert: Wie steht es denn um die Buchpreisbindung, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das Urheberrecht? Gibt es da Chancen, dass wir einen Sonderweg gehen, so wie Frankreich das auch plant?

Also, das Freihandelsabkommen, was den Handel zwischen der gesamten EU und den USA vereinfachen soll, ist auch im großen Interesse der Kultur, weil die Kreativwirtschaft ja bei uns in Deutschland an Stelle zwei nach der Automobilindustrie ja schon als Wirtschaftsfaktor kommt. Trotzdem ist es natürlich wichtig, auf die besonderen Schutzbedürfnisse der Kultur hinzuweisen.

Zusammen mit den Franzosen ist es gelungen, die audiovisuellen Medien direkt schon vor Beginn der Verhandlungen auszuklammern aus dem so genannten Verhandlungsmandat. In das Mandat hereingekommen ist aber – Gott sei dank! – eine weitreichende Schutzklausel für die Kultur, nämlich der explizite Verweis auf die UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt, der ja Deutschland 2005 beigetreten ist. Und das bedeutet, dass zum Beispiel beim Thema "Buchpreisbindung", die ja auch nur in sieben Ländern praktiziert wird, tatsächlich Deutschland seine Optionen und seinen Schutz und seine Interessen wird verteidigen können. Dasselbe gilt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Aber wir brauchen eine Generalklausel, die tatsächlich in allen einzelnen Verhandlungskapiteln den Aspekt Kultur als besonders schutzwürdig immer wieder mit memoriert. Aber diese Generalklausel ist tatsächlich wichtig, weil es auch Bereiche wie das Telekommunikationsrecht, das Urheberrecht, den Investitionsschutz beispielsweise tangiert und überall da, wo man es nicht direkt vermutet, aber doch Kulturinteressen tangiert werden.

In San Diego hat gerade die Oper geschlossen, ich glaube vorgestern. Die New York City Opera ist geschlossen. Droht da, wenn die Amerikaner sich durchsetzen, gerade wegen der Subventionen für all diese Kulturgüter, Ungemach?

Richtig ist, dass wir es mit zwei durch und durch unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen zu tun haben, die hier einander gegenüberstehen. Und das macht sich explizit am Bereich der Kulturförderung bemerkbar. In den USA werden 87 Prozent der Kulturleistungen von Privatleuten erbracht. In Deutschland ist das exakt umgekehrt: Eine direkte Lehre aus dem Zusammenbruch des Dritten Reiches haben wir gezogen, indem wir die Kultur und Wissenschaft sehr prominent im Artikel 5 unserer Verfassung sichern und ihre Freiheiten schützen. Frei sein können sie aber nur, nach unserer Auffassung, wenn der Staat ihre Freiheiten durch eine auskömmliche Finanzierung sicherstellt. Deshalb werden in Deutschland 87 Prozent der Kulturleistungen staatlich finanziert. Wir verteidigen hier ein Gesellschaftsmodell als Kulturnation.

 

Sie leben als Münsteranerin schon lange in Berlin und setzen sich sehr für die Hauptstadtkultur ein. Was heißt denn das für Stuttgart, München, Leipzig und Köln?

Ich bin Staatsministerin für ganz Deutschland. Das ist klar. Und wenn wir in Marbach das Literaturarchiv finanzieren, dann freue ich mich heute schon auf meinen ersten Besuch als Staatsministerin bei Ulrich Raulff, den ich natürlich aus meiner Zeit als Abgeordnete und Ausschussvorsitzende schon lange kenne. Oder: Die Weimarer Klassik Stiftung gehört zu meinem Ressort, genauso wie das Ozeaneum in Stralsund oder wie die Festspiele in Bayreuth, die vom Bund mitfinanziert werden. Im Sinne eines echten kooperativen Kulturförderalismus ist es aber eben auch wichtig, daran zu erinnern, dass 44 Prozent der Kulturleistungen von den Kommunen erbracht, 43 Prozent von den Ländern, die hoheitlich dafür zuständig sind und 13 Prozent vom Bund. Und der Bund gibt eben einen Großteil seines Geldes in der Hauptstadt aus in echter und bewusster Anerkennung der Rolle, die Berlin eben als Hauptstadt spielt. Es ist kein konkurrierendes Bundesland wie alle anderen, sondern aufgrund seiner Geschichte – hier war das preußische Erbe, hier war früher die Hauptstadt und sie ist es jetzt wieder, hier muss der Bund, wenn er eine gesamtstaatliche Verantwortung für einzelne Einrichtungen anerkennt, natürlich auch mehr Geld ausgeben als in der Fläche.

Sie ärgern sich über die Fashion-Show vor dem Brandenburger Tor - ist das wirklich die Aufgabe einer Kulturstaatsministerin, das zu bedenken, oder das eher Sache unseres Kultursenators Wowereit oder anderer Berliner Lokalpolitiker?

Das ist Sache der CDU-Abgeordneten Monika Grütters und stellvertretenden Landesvorsitzenden hier in Berlin, die auf einem CDU-Frühschoppen von den Wählern gefragt wurde, was sie davon hält. Und die Kulturstaatsministerin erinnert natürlich daran, dass wir mit dem Brandenburger Tor das bedeutendste nationale Denkmal zu verteidigen haben und das nicht zu einer Werbekulisse herunterdegradieren dürfen.

Ein Gebäude wird für die kommenden Fashion Week 2014 vor dem Brandenburger Tor errichtet (Quelle: dpa)
Modenschau-Container vor dem Brandenburger Tor - für Monika Grütters ein Auslaufmodell

Sie wünschen sich  ein Museum für die klassische Moderne am Kulturforum – als erstes. Und später, irgendwann, ein neues Haus für die alten Meister. Haben Sie da schon ein konkretes Datum, ein Jahr?

Das wäre unseriös, hier in Jahreszahlen zu denken. Es geht ja um eine langfristige Vision, die allerdings seit den 90er Jahren bekannt ist: Nämlich die Idee, die Sammlungsbestände der Stiftung Preußischer Kulturbesitz tatsächlich nach Sparten und Jahrhunderten zu versammeln. Und dann gehören die Alten Meister von der frühen Neuzeit an bis ins 19. Jahrhundert eben auf die Museumsinsel, wo die anderen Kulturen aus diesen Jahrhunderten ja auch schon sind. Bis dahin müssen wir aber vordringlich akute Probleme lösen, und die bestehen darin, das wir für die Kunst des 20. Jahrhunderts viel zu wenig Platz haben; wir können gerade einmal 20 Prozent ausstellen. Und das ist deshalb dramatisch, weil es das große deutsche, das große Berliner Jahrhundert war. Abgesehen davon stehen ja große private Sammlungen an, von den Staatlichen Museen übernommen zu werden. Da muss man aber auch Platz haben, sie zu zeigen. Deshalb benötigen wird dringend einen Neubau für die Kunst des 20. Jahrhunderts am Kulturforum, wo genau dieser Zeitraum konzentriert präsentiert werden soll.

Frau Grütters, ihr Wahlkreis ist in Berlin-Marzahn-Hellersdorf. Und dort gehen sicher nicht so viele Leute in eine Wagner-Oper oder in eine Handschriften-Ausstellung wie in Berlin-Zehlendorf. Viele dort haben nichts von subventionierter Kultur. Wie wollen Sie eigentlich die Hochkulturinstitutionen näher zu den Leuten bringen? Ich sage nicht: Wie die Leute näher daran bringen? Sondern umgekehrt: Also wie könnten Sie sich vorstellen, da Einfluss zu nehmen und ein bisschen zu unterstützen?

Also, das Education Program der Berliner Philharmoniker beispielsweise ist ja ein Musterbeispiel  für kulturelle Bildung, die tatsächlich zu den Adressaten hingeht und sich daran orientiert und in Karlshorst aufgeführt wird beispielsweise. Oder Cabuwazi-Zirkus in Berlin-Marzahn, den wir mit dem "Kultur macht stark"-Programm finanzieren. Oder sehen Sie das Projekt "Jedem Kind ein Instrument", was ja in der Fläche und in schwierigen Gebieten, auch im Ruhrgebiet, von der Bundeskulturstiftung mitfinanziert wird. Es gibt da zahllose Beispiele genau für die Idee, Kultur vor Ort zu praktizieren. Umgekehrt ist es aber auch die Pflicht vieler staatlich geförderter Kultureinrichtungen, sich im Rahmen der kulturellen Bildung auch mit Schulklassen zu beschäftigen. Und das heißt allerdings: Man muss sie ins Theater locken, man muss sie ins Museum mitnehmen. Und man muss sie auch einmal im Konzertsaal beglücken. Gerade in Berlin funktioniert das aber gerade in vorbildlicher Weise. Und ich selber kenne alle Marzahner Schulen und gehe immer wieder mit ganzen Schulklassen tatsächlich ins Theater, in den Zirkus oder eben auch mal ins Konzert.

Hundert Tage sind vorbei. Was wollen Sie am Ende der Legislaturperiode erreicht haben? Wo ist das wichtigste Ziel, dass Sie sagen: So, das ist geschafft?

Ich hoffe, dass ich mithelfen kann, das Bewusstsein zu schärfen für den Wert künstlerischer Arbeit in Deutschland. Kultur ist ein Modus des Zusammenlebens, Kultur ist mehr als alles andere, ein Wert an sich. Und mein Anliegen ist zu zeigen, wie wichtig dieses künstlerische Milieu als kritisches Korrektiv unserer Gesellschaft ist, wie wichtig diese Menschen sind, die Grenzen ausloten, die auch mal anecken, die auch mal provozieren, die Fragen stellen, damit wir eine lebhafte, vitale, offene und selbstkritische Demokratie bleiben. Diese Rolle nehmen intellektuelle, kreative Künstler in besonderer Weise wahr. Und es ist unser Auftrag an die Kulturpolitik, diese Möglichkeiten zu geben, den Rahmen dafür sicher zu stellen. Und ich hoffe, dass am Ende meiner Amtszeit von diesen Botschaften einiges hängen geblieben sein wird.

Das Interview führte Maria Ossowski

https://www.rbb-online.de/kultur/beitrag/2014/03/monika-gruetters-kulturstaatsministerin-100-tage-bilanz.html
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