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Gurlitts Vermächtnis bringt Kunstmuseum in Bredouille - Gurlitt's legacy is a predicament for the Kunstmuseum

1998
1970
1945
Berner Zeitung 8 May 2014
Von Stefanie Christ, Helen Lagger

Weshalb erbt das Kunstmuseum Bern die umstrittene Sammlung des verstorbenen Cornelius Gurlitt? Direktor Matthias Frehner kann darüber nur mutmassen. Klar ist, dass das Museum Raubkunstabklärungen zulassen müsste.


Ein ganzes Leben hatte er damit verbracht, möglichst kein Aufsehen zu erregen: Cornelius Gurlitt im November 2013.

Herr Frehner, wie hat es das Kunstmuseum eingefädelt, die Gurlitt-Sammlung nach Bern zu holen?
Matthias Frehner: Wir haben nichts eingefädelt. Am Mittwoch wurden wir aus heiterem Himmel durch Herrn Gurlitts Anwälte informiert, dass das Kunstmuseum als Alleinerbe eingesetzt wurde.

Aber irgendein Bezug zu Bern muss doch bestehen?
Wir können nur spekulieren. Niemandem aus unserem Museum stand je in Kontakt mit Herrn Gurlitt. Bekannt ist, dass er mehrfach die Schweiz besuchte, auch Bern. Vor vier Jahren präsentierten wir unsere Sammlung Schweizer Kunst in der Hypo-Kunsthalle München, über die breit berichtet wurde. Womöglich hat diese sein Interesse für unser Haus beziehungsweise unsere Sammlung geweckt.

Sie erben nicht nur eine interessante Sammlung der klassischen Moderne, sondern auch Probleme. Ein Teil der Sammlung steht unter Raubkunstverdacht.
Wir erben mit der Sammlung natürlich die Verpflichtung, die offenen Fragen rund um die Herkunft der einzelnen Werke – wie von Herrn Gurlitt bereits in die Wege geleitet – zu klären. Das ist nicht nur eine juristische Angelegenheit, sondern auch eine moralische und ethische.

Muss das Kunstmuseum jetzt extra Provenienzforscher anstellen?
Eine unserer Grundvoraussetzung ist, dass die Forschung nicht zu unseren Lasten fällt. Die betreffenden Abklärungen sind ja durch die von der deutschen Bundesregierung eingesetzten Arbeitsgruppe bereits im Gang.

Neben der Raubkunst gibt es weitere kritischen Aspekte. Etwa die umstrittene Rolle der Familie Gurlitt.
Die Aufarbeitung dieser Fragen ist interessant und wichtig. Neben der Provenienzaufarbeitung müssten wir auch die Geschichte dieser Figuren recherchieren. Diese Hintergründe interessieren mich persönlich stark.

Steht überhaupt schon fest, ob Sie die überhaupt Sammlung annehmen? Sie haben rechtlich ein halbes Jahr Zeit, sich zu entscheiden.
Es handelt sich natürlich um ein einmaliges, grosszügiges Geschenk, aber auch um eine grosse Herausforderung. Darum können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts Verbindliches kommunizieren. Der Stiftungsrat des Museums wird jetzt eine Auslegeordnung machen und aufgrund der Auswertung entscheiden, ob er die Erbschaft annehmen will. Erst wenn dieser Entscheid gefallen ist, können wir unsere Arbeit aufnehmen.

Hätte das Kunstmuseum überhaupt Platz für die rund 1300 Grafiken und Gemälde? Immerhin herrschst Platznot – sowohl im Ausstellungsbereich wie auch im Depot.
Wir müssen jetzt erst einmal nach Deutschland fahren und uns ein Bild machen, was da an Aufwand auf uns zukäme. Wenn sich zeigt, dass in dieser Sammlung viele bedeutende Werke der klassischen Moderne vertreten sind, sollten diese auch ausgestellt werden. Wir müssten also überlegen, wie und wo wir Platz schaffen könnten.

Mehr Platz bedeutet auch höhere Kosten.
Es wird dem Stiftungsrat sicher ein wichtiges Anliegen sein, dafür auf die Mittel der Erbschaft zurückzugreifen. Es kann nicht sein, dass wir das finanzieren.

Was für Mittel?
Das Kunstmuseum ist Universalerbe, wir erben also neben der Sammlung auch andere Aktiva, Liegenschaften zum Beispiel. Es handelt sich um einen hohen Vermögenswert, aber ein genaues Bild haben wir noch nicht.

Sie schauen dem geschenkten Gaul also ins Maul?
Wir werden die Erbschaft selbstverständlich erst absolut seriös prüfen. Das ist alles Teil von diesem Prozess, in den wir uns nun begeben.

Sind mit der Erbschaft Auflagen verbunden?
Nein.

Wie würde sich der Zuwachs auf die angestrebte Kooperation mit dem Klee-Zentrum auswirken?
Es wäre doch toll, wenn wir mehr Werke des klassischen Expressionismus in Bern hätten. Wenn einer der Kooperationspartner seine Position durch den Zugewinn einer grossen Sammlung stärken kann, ist das für beide positiv und verbessert die internationale Positionierung des Museumsstandorts Bern.

Was würde der Zuwachs für die bestehende Sammlung heissen?
Bis jetzt weiss niemand genau, was in diesem «Sesamschatz» alles enthalten ist. Die Qualität dürfte unterschiedlich sein, es sind aber bedeutende Werke der klassischen Moderne enthalten, die zum Teil noch nie ausgestellt waren. Es ist grossartig, sich mit einer solchen Sammlung auseinanderzusetzen, und wenn die Herkunft nachgewiesen und klar ist, dass sie ausgestellt werden können, würden sie sicher zu einer Aufwertung unserer Sammlung beitragen.


«Wir können nur spekulieren»: Direktor Matthias Frehner.


Auktionshaus Kornfeld

Gurlitt und Bern – war da nicht was? Als letzten November die Sammlung Gurlitt bekannt wurde, geriet der Berner Kunsthändler Eberhard W. Kornfeld unverhofft in den Fokus der Öffentlichkeit. 2010 hatten Zollfahnder bei Gurlitt auf einer Zugreise von Zürich nach München 9000 Euro entdeckt. Gurlitt gab an, das Geld stamme aus geschäftlichen Kontakten mit Kornfeld 2010 – was dieser umgehend bestritt. Laut Kornfeld gehen die letzten Geschäftskontakte auf das Jahr 1990 zurück. Damals verkaufte Gurlitt in einer Kornfeld-Auktion Arbeiten auf Papier von Künstlern, «die», so Kornfeld, «wohl aus dem Bestand der von der Reichskammer für Kunst 1937 beschlagnahmten ‹entarteten Kunst› stammten». Mehrere deutsche Medien erinnerten gestern daran, als sie der Frage nachgingen, weshalb Gurlitt Bern seine Bilder vermacht hat. «In Bern hatte Gurlitt dem Kunsthändler Kornfeld, der ebenfalls zu den Förderern des Kunstmuseums Bern zählt, Bilder aus seiner Sammlung verkauft, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten», schrieb «Spiegel online».

Und die Onlineausgabe der «FAZ» hielt fest: «Ein () Grund dafür, das Kunstmuseum Bern als Erben einzusetzen, könnte in einer alten Geschäftsverbindung liegen. Über den Berner Kunsthändler Kornfeld hatte Gurlitt bereits in der Vergangenheit einige Werke verkauft. Ob dieser seinem Kunden riet, sich an das Berner Museum zu wenden, ist unbekannt. Der Galerist wollte sich auf Anfrage dieser Zeitung nicht dazu äussern», so die «FAZ».

Gegenüber dieser Zeitung hielt Bernhard Bischoff, Partner beim Auktionshaus Kornfeld, auf Anfrage fest: «Wir sind überrascht von der Nachricht, mehr kann ich dazu nicht sagen.»

Das sagen die Experten aus der Schweiz und aus Deutschland

Für das Kunstmuseum Bern schlug die Nachricht ein wie «ein Blitz aus heiterem Himmel.» Und auch für Kunstexperten ist es eine riesige Überraschung, dass Gurlitts Sammlung in die Hauptstadt der Schweiz gehen soll. «Einzigartig» sei das, sagen der Zürcher Kunstrechtsexperte und Anwalt Marc Weber und der Winterthurer Kunsthistoriker und Raubkunstspezialist Thomas Buomberger auf Anfrage.

Weshalb Gurlitt ausgerechnet das Kunstmuseum Bern als Erbe seiner knapp 1300 Kunstwerke bestimmt hat, darüber könne nur gemutmasst werden, sagt Buomberger. «Der Mann hatte ja offenbar keinerlei Beziehung zu Bern.» Ab und zu sei Gurlitt zwar in der Galerie Kornfeld gewesen. «Aber ob das eine Rolle gespielt hat?» Marc Weber ist überzeugt, dass es einen «Link» zwischen Gurlitt und Bern geben muss.

«Vielleicht kannte Gurlitt einen früheren Museumsdirektor», sagt er. Klar ist nur, dass Gurlitt aufgrund der Ermittlungen und Kritik gegen ihn zutiefst enttäuscht war über die deutsche Justiz und Kunstszene.

Das grosse «Geschenk» – der Wert der Gurlitt-Sammlung wird auf eine zweistellige Millionensumme geschätzt – bedeutet für das Kunstmuseum eine grosse Bürde. Vier Wochen vor seinem Tod hatte Gurlitt zugesichert, seine Sammlung von Provenienzexperten untersuchen zu lassen und «faire und gerechte» Lösungen nach den Washingtoner Prinzipien zu ermöglichen. Diese Verpflichtung müsste das Kunstmuseum übernehmen – falls es das Erbe annimmt. Die Schweiz hatte 1998 die Washingtoner Erklärung zur Rückgabe von NS-Raubkunst unterzeichnet. Dennoch müssten Anspruchsteller damit rechnen, dass die Verhandlungen mit dem neuen Vertragspartner wieder «bei null» beginnen, erklärt der Kölner Raubkunstexperte Stefan Koldehoff.
Für das Kunstmuseum könnten die anstehenden Provenienzrecherchen eine erhebliche Behinderung bedeuten, meint Thomas Buomberger. Erst wenn man wisse, welche Bilder «sauber» seien, könne man abschätzen, ob diese eine Bereicherung für das Museum seien. Oder wie es Marc Weber ausdrückt: «Ich bin mir nicht so sicher, ob Kunstmuseum-Direktor Matthias Frehner glücklich über diese Schenkung sein kann.»

 

http://www.bernerzeitung.ch/kultur/kunst/Gurlitts-Vermaechtnis-bringt-Kunstmuseum-in-Bredouille/story/17440262
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