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Ein schwieriges Erbe - A difficult legacy

1998
1970
1945
Neue Zürcher Zeitung 14 May 2014
By Claudia Schoch

Gurlitt soll für seine Sammlung das Kunstmuseum Bern als Erben eingesetzt haben. Das stellt das Museum vor Herausforderungen und wirft rechtliche Fragen auf. Dabei beurteilen die Schweiz und Deutschland die Restitution von Raubkunst unterschiedlich.


Das Kunstmuseum in Bern bekommt ein millionenschweres Erbe.

Eine rechtsgültige Gurlitt-Erbschaft für das Berner Kunstmuseum wäre ein «Geschenk», das Kunstverständigen Kopfzerbrechen bereitet und den Beizug von Juristen verlangt. Es stellt sich die Frage, ob das Museum die Erbschaft annehmen will, und wenn Ja, wie mit den problematischen Teilen zu verfahren ist. Insbesondere werden die 430 Werke, die möglicherweise zur Raubkunst zählen oder Werke sind, die von den Nazis als «entartete Kunst» aussortiert wurden, sorgfältig geprüft werden müssen.

Es geht darum, deren Provenienz abzuklären, was gerade bei Raubkunst oft eine aufwendige und konfliktreiche Angelegenheit ist. Cornelius Gurlitt selbst hatte sich noch vor seinem Tod in einer Vereinbarung mit den deutschen Behörden im Fall von Raubkunst zu den Washingtoner Prinzipien von 1998 bekannt. Die Vereinbarung wäre für den Erben bindend. Dieser tritt, wie der Zürcher Fachanwalt für Erbrecht Mirko Roš erläutert, in sämtliche Rechte und Pflichten des Erblassers ein.

Die Washingtoner Erklärung verlangt, die ursprünglichen Eigentümern beziehungsweise deren Erben ausfindig zu machen und die notwendigen Schritte zu unternehmen, um zu einer «fairen und gerechten Lösung» zu kommen. Eine von der deutschen Regierung eingesetzte Task Force arbeitet bereits daran, die Herkunft der Bilder zu ermitteln. Auch die Schweiz hat die Prinzipien unterzeichnet, die zwar Soft Law sind, aber zunehmend direkter Wirkung entfalten. Sie gelten für alle öffentlichen oder mit öffentlichen Geldern finanzierten Institute. Vereinzelt haben sich ihr in Deutschland inzwischen auch private Sammlungen unterstellt, wie dies auch Gurlitt in vorbildlicher Weise an seinem Lebensende getan hat.

Deutschland hat mehr Erfahrung

Die deutschen Museen und Behörden haben weit mehr Erfahrung als schweizerische oder Institutionen anderer Länder mit der Erforschung der Provenienzen von Werken, die zumeist jüdischen Besitzern während der NS-Zeit geraubt oder abgepresst wurden. Sie verfügen über eine Koordinierungsstelle in Magdeburg, haben die Datenbank Lost Art (www.lostart.de) zur Verfügung gestellt und die Limbach-Kommission eingesetzt, welche von Betroffenen bei Restitutionen angerufen werden kann. Die Schweiz, für deren Institute sich die Frage von Raubkunst sicher weniger häufig stellt, obwohl das Problem auch in unserem Land nicht unterschätzt werden sollte, ist weit entfernt eine ähnlich professionelle Organisation aufgebaut zu haben.

Kaum ein mit öffentlichen Geldern finanziertes Museum in Deutschland leistet es sich heute, auf Provenienzforschung zu verzichten, wie der Zürcher Kunstrechtsexperte Andrea Raschèr feststellt. In der Schweiz ist man bei der Durchforstung der Museumsbestände weniger akribisch. Dies zeigte nicht zuletzt ein Bericht des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) von Anfang 2011.

Um die Provenienzprüfung wird bei einer Annahme des Gurlitt-Erbes das Kunstmuseum Bern nicht herumkommen. Überlässt es diese den deutschen Behörden beziehungsweise beauftragt es diese damit, würden beraubte Familien wie auch Bern von deren Kompetenz und Erfahrung profitieren. Dabei wären sinnvollerweise, wie Raschèr meint, auch die in Salzburg befindlichen Konvolute von Gurlitt mit einzubeziehen. Es fragt sich allerdings, wie sich die österreichischen Behörden dazu stellen würden.

Doch die Schweizer Museen und Behörden interpretieren die Washingtoner Richtlinien weit restriktiver als die deutschen. Die Schweiz hält sich eng an den Wortlaut und leistet Restitution nur bei Werken, die durch die Nazis geraubt, abgepresst oder abgenötigt wurden. Deutschland trägt den historischen Gegebenheiten bessere Rechnung, indem es die Prinzipien auf alle «verfolgungsbedingt entzogenen» Kulturgüter anwendet.

Das heisst, darunter fallen, wie Raschèr bestätigt, auch Verkäufe von Werken – zumeist unter Wert –, die namentlich jüdische Verfolgte tätigen mussten, nachdem ihnen durch Diskriminierung und antisemitische Hetze ab 1933 ihre Einkommensgrundlagen zerstört worden waren, deren Geschäfte ruiniert, die als Beamte entlassen oder denen die Berufszulassungen etwa als Anwälte, Wirtschaftsprüfer oder Ärzte weitgehend entzogen worden waren. Ebenso zählen Verkäufe dazu, die die Flucht und die Bezahlung der Reichsfluchtsteuer ermöglichten sowie Veräusserungen nach der erzwungene Emigration zur Bestreitung des Unterhalts. Wer auch immer Provenienzen und Restitutionsfragen klären wird, es würde kaum verstanden, wenn sich das Kunstmuseum Bern beim Gurlitt-Erbe auf die restriktive Praxis der Schweiz zurückziehen würde. Dieser Einschätzung pflichtet Raschèr bei, der bei der Ausarbeitung der Washingtoner Prinzipien Ende der 1990iger Jahre Verhandlungsleiter der Schweiz war.

Rückgabe von "entarteter Kunst"?

Die Rückgabe sodann von «entarteter Kunst» an deutsche Museen erfasst die Washingtoner Erklärung nicht. Bisher erfolgten keine solchen Restitutionen. Doch Raschèr ist überzeugt, dass es für das Berner Kunstmuseum aus museumsethischer Sicht heikel würde, solche Werke nicht an die Museen herauszugeben. Er gibt zu bedenken, dass die Museen oft kommunale Einrichtungen waren, die von den Nazi–Schergen nicht selten gezwungen wurden, die inkriminierten Kunstwerke – gegen ihren Willen – herauszugeben oder gar zu zerstören. Sie seien somit auch beraubt worden. Ferner erinnert Raschèr daran, dass Vater Gurlitt als Kunsthändler Hitlers direkt an die Bilder gekommen war. Ob er sie dabei rechtmässig erworben hatte, ist fraglich.

Weiter stellen sich im Zusammenhang mit der Erbschaft Fragen des Kulturgüterschutzes sowie des Steuerrechts. Ob deutsche Behörden das Kunstmuseum Bern als steuerbefreite Stiftung anerkennen, ist offen. Und eine Ausfuhr bedeutender Werke in die Schweiz könnte schliesslich in Konflikt mit dem Kulturgüterschutzrecht geraten.

 

http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/kunst_architektur/ein-schwieriges-erbe-1.18301735
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